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Was braucht das «Flugzeug Schweiz» auf seinem Armaturenbrett?

28.02.2013 von

Flugzeuge ohne Treibstoffanzeige auf dem Armaturenbrett sind gefährlich. Fürs Starten geht’s. Aber sind wir mal in der Luft und fliegen ein paar Stunden, so ist es gut zu wissen, wie viel Kerosin noch im Tank ist, und wann wir landen sollten.Erstaunlicherweise aber hat das Armaturenbrett unserer Wirtschaft keine «Treibstoffanzeige».

Obwohl alle Ressourcen, die wir konsumieren, von der Natur kommen, finden wir im klassischen Instrumentarium der Politik keine Anzeige, die uns sagt, wie viel Natur uns zur Verfügung steht und wie viel wir brauchen. Einzelne Angaben kennen wir zwar – zum Beispel wie viel Elektrizität wir verbrauchen, oder wie viele Autos wir fahren. Aber die Nettobilanz? Wie sieht es, aus wenn wir alles zusammenzählen? Und ist das überhaupt möglich?

Limitierender Faktor unserer Wirtschaft

Ja es ist. Besonders, wenn wir erkennen, was der limitierende Faktor ist. Denn dieser wird zur Währung der Analyse. Es wird immer offensichtlicher, dass der limitierende Faktor für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts die Regenerierfähigkeit der Natur ist. Sie wird «Biokapazität» genannt. Diese Biokapazität ist letztenendlich der limitierende Treibstoff für menschliche Aktivitäten – nicht die raren Erdmetalle. Denn mit mehr Energie können wir tiefer bohren und finden dann noch mehr Erze.

Wieso ist es nicht die kommerzielle Energie, die uns limitiert? Weil auch da die Biokapazität das Nadelöhr ist: Auch für fossile Energie ist Biokapazität – in diesem Fall die CO₂-Absorptionsfähigkeit der Natur – die limitierende Grenze. Denn würde alle schon gefundene Fossilenergie verbrannt, stiege die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf über 1700 ppm, wie dies Wissenschaftler berechnet haben. Klimaforscher aber raten 450 ppm (oder gar 350 ppm) nicht zu übersteigen, um den weltweiten Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius zu beschränken. Anders gesagt: Wir haben auf diesem Planeten schon fünf mal mehr Fossilenergie gefunden als wir verbrennen können, um unter den 450 ppm zu bleiben.

Zu viele fossile Energie, zu wenig Biokapazität

Nun stellt sich die Frage, ob wir genügend Geld haben, um die Besitzer von 80 Prozent der gefundenen Fossilenergie zu entschädigen, und zwar so, dass sie diese Energie im Boden lassen? Und wie funktionierte eine Wirtschaft ohne diese Fossilenergie, die auch noch das Geld für die Entschädigungen produzieren müsste?

Das ist das Dilemma. Wir haben zu viel Fossilenergie und zu wenig Biokapazität. Wenn wir die Weisheit nicht haben, unseren Fossilenergieverbrauch zu beschränken, dann geht’s der Biokapazität an den Kragen. Haben wir aber die Weisheit, dann stellt sich die Frage, ob es genug Biokapazität gibt, um unsere Wirtschaft auch ohne Fossilenergie am Laufen zu halten? Hat unser «Flugzeug» dann genügend Treibstoff?

Biokapazität in der Schweiz

Wie steht es denn mit der Biokapazität in der Schweiz? Die Schweiz braucht viermal mehr Biokapazität als es in der Schweiz gibt. Drei Viertel der von uns beanspruchten Natur stammen netto aus dem Ausland. Das zeigt die Footprint-Buchhaltung. Die Rechnung wurde vom Schweizer Bundesamt für Statistik bestätigt.

Deutschland, zum Beispiel, braucht fast dreimal mehr Biokapazität als es in Deutschland gibt. Die Welt als ganzes braucht 50 Prozent mehr Biokapazität als die Welt hergibt. Auch das dokumentiert die Footprint-Buchhaltung.

Riskante Strategie

Im Zeitalter zunehmender Ressourcenknappheit so viel von der Welt zu wollen, ist eine riskante Strategie. Besonders für Länder, in denen die Kaufkraft pro Kopf relativ zum Welteinkommen abnimmt. Wie dies zum Beispiel in der Schweiz der Fall ist.

Die Zahlen aus der Footprint-Buchhaltung sind bedeutsam. Daher haben wir Regierungen eingeladen, die Zahlen zu prüfen. In der Folge wurde die Footprint-Rechnung vom Deutschen Umweltbundesamt, dem Schweizer Bundesamt für Statistik, wie auch dem französischen Umweltministerium bestätigt. Die Gutachten sind auf dem Internet zugänglich: www.footprintnetwork.org/reviews

Was bedeuten denn die Footprint- und Biokapazitätszahlen? Primär, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit gestärkt würde, nähmen wir unsere Ressourcensituation ernst. Oder nähmen wir Artikel 73 unserer Bundesverfassung ernst. Er rät uns, innerhalb der Möglichkeiten der Natur zu leben.

Wäre es für die Passagiere des «Flugzeugs Schweiz» nicht beruhigender, hätte dieses einen Footprint- und Biokapazitätsanzeiger auf seinem Armaturenbrett?

Zum Autor

Gastautor Mathis Wackernagel ist Präsident des «Global Footprint Network». Mehr zur Biokapazität und ihren wirtschaftlichen Konsequenzen finden Sie auf www.footprintnetwork.org/de

Mathis Wackernagel eröffnet heute die neue Veranstaltungsreihe «Pioneers in Sustainability» von ETH Sustainability. Die Veranstaltungsreihe richtet sich an Studierende der ETH Zürich und anderer Hochschulen. Sie ermöglicht es den Studierenden, auf Pioniere im Nachhaltigkeitsbereich zu treffen und von ihnen zu lernen.





Kommentare (2) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen

Sehr geehrter Herr Wackernagel,

Ihr Bild vom Flug ohne Treibstoffanzeige passt sehr gut zur Situation nicht nur der Schweiz sondern der ganzen Welt, denn

Wir befinden uns alle im Blindflug
Thomas Malthus 1789 vorausgesagte Verelendung als Folge des exponentiellen Bevölkerungswachstum war unter den Bedinungungen seiner Zeit nicht falsch obwohl seither die Bevölkerung von 1 Milliarde auf 7 gestiegen ist. Dieser Bevölkerungszuwachs wurde durch die fossilen Energien und die Industrialisierung jeglicher Arbeit inklusive der Landwirtschaft ermöglicht. Heute befinden wir uns immer noch in einer ähnlichen Situation: Würden alle Menschen den US-Lebensstandard erreichen, stiege der Öl- und Energiekonsum um den Faktor 5, der Stahl-, Aluminum- und Kupferverbrauch teilweise bis um den Faktor 10, was aus heutiger Sicht unerreichbar ist. Wir wissen auch nur sehr ungenau wieviel Rohstoffe insgesamt zur Verfügung stehen. Ihre Angabe (Zitat)„würde alle schon gefundene Fossilenergie verbrannt, stiege die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf über 1700 ppm“ wird von Leuten bezweifelt, die einen Peak Coal schon im nächsten Jahrzehnt erwarten. Damit wissen wir aber nicht (Zitat) „wie viel Natur uns zur Verfügung steht „
Was wir aber sicher wissen und kennen ist die Begrenzheit und Problematik der fossilen Rohstoffe und die fehlende Nachhaltikeit unserer linearen Wirtschaftsweise.

Forschung und Innovation als Wegbereiter
Neue Energien und Stoffkreisläufe anstatt Förderung gefolgt von Verbrauch und Entsorgung müssen stufenweise aufgebaut werden indem Forschung und Entwicklung und Einsatz der neuen Technologien in „Sonderwirtschaftszonen“ gefördert wird. Unser Schiff ist bildich gesprochen auf offenem Ozean kann aber jederzeit Land sichten und muss dann die Chancen, die sich bieten, nutzen.

Sehr geehrter Herr Wackernagel,
sie präsentieren gleich zwei Themenkomplexe für die noch ein ungenügendes Bewusstsein in der Bevölkerung vorhanden ist:
1) Die Menschen sind inzwischen so zahlreich und wohlhabend, dass die bisherige Art wie der Mensch sich der natürlichen Ressourcen bedient, nicht länger aufrechterhalten werden kann: Bisher sind fossile und andere Rohstoffe Input für die Menschenwelt und der Output in Form von Abfall wird wieder in die Natur entsorgt.
2) Die fossilen Ressourcen sind feste Assets in einer unsichtbaren Zukunfts-Buchhaltung vieler Länder: Saudi-Arabien kann seine Erdölreserven in Dollar umrechnen und plant bereits mit diesen zukünftigen Einnahmen. Das gleiche gilt natürlich auch für die Kohle im chinesischen, indischen und US-amerikanischen Untergrund.

Mindestens das erste Problem ist einigen Forschern schon lange bewusst auch wenn es das Alltagsbewusstsein der meisten Menschen noch nicht erreicht hat.
Das Buch und der Bericht „Limits to Growth“ hat schon in den 1970er-Jahren das Menetekel eines zwangsläufigen Auflaufens auf natürliche Grenzen entweder durch simple Erschöpfung von Rohstoffen oder aber durch menschheitsbedrohende Umweltverschmutzung an die Wand gemalt. Auch schon in den 1970er Jahren wurde die Lösung für dieses Problem in Form einer Kreislaufwirtschaft mit 100%-iger Rezyklierung von Cesare Marchetti in seinem Essay 10^12 entworfen. Kurz zusammengefasst ist die Lösung eine Rückzug des Menschen in seine städtische Umwelt, die ihm neu auch Rohstoffe (urban mining) und Nahrung (vertical farming) bietet.

Zum zweiten Problem – dem Problem der wertvollen fossilen Rohstoffe, die wir unten lassen müssen – gibt es die Lösung, die schon zum Ende der Steinzeit führte: Es wurden bessere Rohstoffe und Energien gefunden. Werden Alternativen zu den Kohlewasserstoffen kostengünstiger und haben diese weniger externe Kosten werden diese Alternativen obsiegen.

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