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UN-Klimakonferenz: lebenserhaltende Massnahmen für den Verhandlungsprozess beschlossen

12.12.2011 von

Nach über zwei Wochen zähen Verhandlungen hat die UN-Klimakonferenz «COP17» in Durban minimale Fortschritte erzielt. Dies nachdem die Konferenz nach einer über anderthalbtägigen Verlängerung kurz vor dem Scheitern stand. Die Beschlüsse von Durban kommen lebenserhaltenden Massnahmen für den Verhandlungsprozess gleich. Auf dem Weg der Besserung, sprich auf dem Weg zum Erreichen des allseits akzeptierten 2-Grad-Ziels, ist der Patient Erde noch lange nicht.

EU schützt ihr Handelssystem für Treibhausgas-Emissionen

Die EU hat sich verpflichtet, ihre «20-20-Absicht» (20% Reduktion der Treibhausgas-Emissionen unter das Niveau von 1990 bis im Jahr 2020) in den rechtlich verbindlichen Rahmen das Kyoto-Protokolls zu stellen und das Protokoll damit ab 2013 in eine zweite Verpflichtungsperiode zu führen – die erste Verpflichtungsperiode endet 2012. Im Gegenzug haben die über 190 Mitgliedsstaaten der Klima-Rahmenkonvention zugesagt, nächstes Jahr in Verhandlungen einzutreten, die bis 2015 in ein für alle verpflichtenden Abkommen münden sollen. Dieses Abkommen soll spätestens 2020 in Kraft treten.

Mit dieser Konstruktion schützt die EU letztlich ihr Handelssystem für Treibhausgas-Emissionen (Emissions Trading System, ETS), das Herzstück der EU-Klimapolitik (siehe auch meinen Beitrag «EU will Flugverkehr in Emissionshandel einbinden» >hier). In diesem Handelssystem würden ohne eine zweite Verpflichtungsperiode die Preise für Emissionsrechte wohl zusammenbrechen und das System als solches würde wirkungslos. Die EU schützt sich mit den Beschlüssen von Durban auch gegen Kritik innerhalb Europas an kostspieligen einseitigen Klimaschutzmassnahmen.

USA, Japan, Kanada und Russland sperren sich

Insgesamt ist der in Durban beschlossene neue «Fahrplan» jedoch auf Sand gebaut. Bis Mai 2012 sollen die Industriestaaten bekannt geben, wie weit sie ihre Emissionen in einer zweiten Kyoto-Phase zu reduzieren bereit sind. An der nächsten UN-Klimakonferenz in Katar soll dann über diese Emissionsziele entschieden werden. Entschieden wird dann auch, ob die zweite Verpflichtungsperiode bis 2017 oder bis 2020 dauern soll.

Die USA, die grösste Emittentin unter den Industrieländern, hat allerdings weder in der ersten Verpflichtungsperiode mitgewirkt, noch wird sie es in einer zweiten Verpflichtungsperiode tun. Kanada hat offen deklariert, dass es weder fähig noch willig ist, seine rechtlich bindenden Verpflichtungen aus der ersten Phase des Kyoto-Protokolls (2008-12) zu erfüllen. Und Japan, Kanada sowie Russland haben klar gemacht, dass sie in einer zweiten Verpflichtungsperiode nicht mitmachen werden.

Angesichts dieser unkooperativen Haltung der USA sowie Japans, Kanadas und Russlands erstaunt es nicht, dass Brasilien, China und Indien sich in Durban nur dazu drängen liessen, Verhandlungen im Zeitraum 2012-2015 grundsätzlich zuzustimmen und – falls diese Verhandlungen erfolgreich sind – ab 2020 konkrete, aber noch undefinierte Verpflichtungen für Emissions-Reduktionen zu übernehmen.

Neben der Einigung darüber, mit welchen Zielen weiter verhandelt werden soll, wurde in Durban auch die Einrichtung eines globalen Klimafonds beschlossen. Durch ihn sollen ab 2020 jährlich 100 Milliarden Euro in Klimaschutzprojekte investiert werden. Wer diese Ausgaben finanzieren wird, bleibt vorläufig offen.

Kollaps des Kyoto-Protokolls verhindert

Das Hauptresultat von Durban besteht vor allem darin, dass der Kollaps des Kyoto-Protokolls sowie der Verhandlungen für dringend erforderliche weitere Schritte verhindert wurde. Vorläufig fährt der Kyoto-Zug jedoch nur mit wenigen «bezahlenden» Fahrgästen weiter, nämlich der EU sowie einigen wenigen anderen, kleineren Industrieländern wie der Schweiz.

Als Gegenleistung sind die anderen Länder willig, bis 2015 über ein neues Abkommen zu verhandeln, das allen Ländern Verpflichtungen auferlegt. Allerdings bleiben sowohl die rechtliche Form (es ist momentan von «an agreed outcome with legal force» die Rede) als auch die möglichen Inhalte dieses Abkommens umstritten.

Schlüsselrolle für die EU

Die kommenden drei Jahre werden zeigen müssen, ob es der EU gelingt, die anderen Industrieländer, allen voran die USA, Japan, Russland und Kanada, zu einer kooperativeren Haltung zu bewegen. Dazu muss sie natürlich mit gutem Beispiel vorangehen und ihre eigenen Versprechen vollständig umsetzen sowie weiterführende Massnahmen ergreifen. Letztere sollten unter anderem auch eine Integration des internationalen Flug- und Schiffverkehrs in das ETS umfassen. Dies würde letztlich auch Nicht-EU-Staaten stärker motivieren, sich den EU-Standards anzupassen.

Wenn es nicht gelingt, die USA, Japan, Russland und Kanada wirksam in die globale Klimapolitik einzubinden, wird alles Zureden auf die BASIC-Staaten (Brasilien, Südafrika, Indien, China) nichts nützen.

.

Hinweis: Einen Tag nach Veröffentlichung dieses Blogbeitrags wurde bekannt, dass Kanada aus dem Kyoto-Abkommen aussteigt. Wie Prof. Thomas Bernauer die neue Situation einschätzt, erfahren Sie im Interview mit ihm:

Tages Anzeiger: «Kanada hat den Eklat verursacht, das Problem sind aber die USA», 13. Dezember 2011; Interview mit ETH-Professor Thomas Bernauer >hier

Zum Autor

Thomas Bernauer ist Professor für Politikwissenschaft an der ETH Zürich. Er nahm als Vertreter der ETH Zürich als Beobachter an der UN-Klimakonferenz in Durban teil. Persönliches Zitat und Biografie

In den Medien: Professoren der ETH Zürich zur UN-Klimakonferenz
  • Basler Zeitung, Artikel «Aus Sicht des Klimas ist Durban eine Nullrunde», 12. Dezember 2011; Interview mit ETH-Professor Reto Knutti >hier
  • Radio DRS1, Sendung «Heute Morgen», 12. Dezember 2011; mit ETH-Professor Andreas Fischlin >hier
  • Tages Anzeiger, Artikel «Kanada hat den Eklat verursacht, das Problem sind aber die USA», 13. Dezember 2011; Interview mit ETH-Professor Thomas Bernauer >hier




Kommentare (6) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen

Herr Bernauer,
Am 12.12. habe Sie geschrieben:

„Kollaps des Kyoto-Protokolls verhindert
Das Hauptresultat von Durban besteht vor allem darin, dass der Kollaps des Kyoto-Protokolls sowie der Verhandlungen für dringend erforderliche weitere Schritte verhindert wurde.“

Am gleichen Tag erklaert Kanada den Austritt.
die FAZ http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kyoto-kommentar-lob-fuer-kanada-11561730.html

schreibt dazu:
„Lob für Kanada“

und die BBC news:
http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/4650878.stm
Will Kyoto die at Canadian hands?

Werden Sie jetzt Ihren Artikel zurueck ziehen?

Was hat Durban gebracht?
1) Brasilien, China und Indien stimmen Verhandlungen im Zeitraum 2012-2015 zu mit der Option ab 2020 Verpflichtungen für Emissions-Reduktionen zu übernehmen (falls es ihnen passt)
2) die Industrieländer „verlängern“ Kyoto bis 2017/2020
3) Einrichtung eines globalen Klimawandelanpassungs-Fonds von 100 Milliarden Dollar pro Jahr (ungefährige Höhe der Entwicklungshilfe) ab 2020

Damit ist der obige Titel lebenserhaltende Massnahmen für den Verhandlungsprozess erklärt. Ohne das Versprechen eines Klimafonds hätte es wahrscheinlich keine Fortsetzung der Klimaverhandlungen gegeben und selbst mit Klimafonds ist noch völlig offen zu welchen Zugeständnissen die CO2-Grossemittenten China und Indien bereit sind. Die USA wollen sich zudem zu gar nichts verpflichten.

Der New Scientist Artikel Dangerous decade: What follows the Durban climate deal schreibt darum zurecht, dass in den nächsten 10 Jahren die Emissionen wohl stark ansteigen, wird doch jedes Jahr 1 Billion Dollar für Energieinfrastruktur ausgegeben und vieles davon für Kohlekraftwerke. Es gibt zwar viele freiwilligen „Verpflichtungen“, jedoch betreffen die oft die CO2-Intensität nicht die absolute Höhe der CO2-Emissionen.

Fazit:
(Zitat New Scientist)The Durban agreement is essentially a pact to start again, with some added text about the legal nature of the future deal.

Sehr geehrter Herr Professor Bernauer,
könnte es sein, dass mit der Übernahme des durch Klimawissenschaftler festgelegten CO2-Emissionsreduktionsziels bis 2050 die CO2-Emissonen weltweit um die Hälfte zu reduzieren,
der Politik ein ähnlicher Fehler passiert ist wie dem letzten IPCC-Klimabericht, der das
Abschmelzen der Himalayagletscher auf das Jahr 2050 prognostizierte anstatt auf das Jahr 2150.
Gerade Kanada, das jetzt aus dem Kyoto-Vertrag ausgestiegen ist, scheint das zu demonstrieren. Kanada sollte gemäss Kyoto-Vertrag den Ausstoss der Treibhausgase bis 2012 um 5% gegenüber 1990 senken, hat die Emissionen aber in diesem Zeitraum eher erhöht als gesenkt (ähnlich wie die Schweiz).
Kanada will weiterhin seine CO2-Emissionen senken und weiterhin um 5% bis 2012 und 17% bis 2020 aber nun relativ zum Jahr 2005/2006 und nicht mehr relativ zu 1990. Im Spiegel-Artikel Kanada reduziert Klimaziele drastisch“ steht als Überschrift „Zum Schutze der Wirtschaft“. Ja, die Wirtschaftsentwicklung hat ja weltweit die höchste Priorität und es gilt leider weiterhin, dass Wirtschaftsentwicklung und Verzicht auf fossile Energien schwierig miteinander in Vereinbarung zu bringen sind. Das gilt allerdings nicht allgemein. Gerade die Schweiz hat gezeigt, dass man mit einer Kombination von Wasserkraft und Nuklearenergie die CO2-Emissionen in einem mittleren Bereich (verglichen mit den USA oder Deutschland) halten kann. Später können durchaus die neuen Erneuerbaren Energien diese Rolle übernehmen, doch bis es so weit ist, dürften noch ein bis zwei Jahrzehnte vergehen.

UN-Klimakonferenz: „lebenserhaltende Massnahmen für den Verhandlungsprozess beschlossen“
(oder wir ueberlegen weiter und lassen uns dafuer bezahlen)

Leider liegt der Patient schon im Sterben und es gibt nicht genug
Rettungsboote und die pro Kopf groessten CO2
Produzenten haben sich schon einen Platz reserviert
waehrend die anderen weiter diskutieren.

„Kanada verabschiedet sich vom Kyoto-Protokoll“
(siehe Spiegel heute)

Was soll das Theater also?
Feiern wir weiter auf der Titanic, unser Platz ist im Rettungsboot
ist ja gesichert, selbst falls das unwahrscheinliche tatsaechlich
passieren sollte. Also, Europa .. folgen wir dem Beispiel Kanada
und erinnern uns an die glorreiche Zeit als „wir“ die Welt
in Kolonien unter uns teilen konnten.
(Wir muessen uns nur einigen wie wir nicht wieder Kriege unter
uns anfangen. Dem Rest bringen wir schon wie frueher bei was
Demokratie und Freiheit fuer uns bedeutet.)

„brave new world“ und „1984″ in einem!

Martin,

„Klimaschutz als Verzicht auf fossile Energien ist zu teuer als dass es sich Staaten wie China, Indien oder Südafrika, ja selbst Japan, Russland oder Kanada leisten könnten“

du hast in deiner Liste die USA vergessen!

Andere Kommentare heute sind viel direkter:

World risks climate catastrophe – IEA
http://www.heraldsun.com.au/news/breaking-news/world-risks-climate-catastrophe-iea/story-e6frf7jx-1226220272641

oder besser direkt bei der IEA
(oh Wunder da steht was ganz anderes!
http://www.iea.org/index_info.asp?id=2291

The pace of recovery in Libyan oil production was among the topics discussed)

Sind wir vielleicht doch auf dem Selbstmord Pfad wie manche
Beobachter es vermuten?

Diese sehr gute Zusammenfassung von Herrn Professor Bernauer könnte man noch auf einen einzigen Satz zusammenschnurren, nämlich:
Klimaschutz als Verzicht auf fossile Energien ist zu teuer als dass es sich Staaten wie China, Indien oder Südafrika, ja selbst Japan, Russland oder Kanada leisten könnten

Der Kyoto-Prozess war denn auch begleitet von einer Zunahme der jährlichen CO2-Emissionen von 1% in den 1990ern auf 3% seit dem Jahr 2000.

Das 2-Grad-Ziel (sprich maximal 450 ppm CO2 in der Luft) ist unter diesen Voraussetzungen nicht mehr erreichbar, zumal Indien nun dem Weg Chinas folgt und viele neue Kohlekraftwerke plant. Dass dieses Ziel nicht mehr erreichbar ist, ist aber auch daran erkennbar, dass die absolut notwendige Einbindung aller grossen CO2-Emittenten im Post-Kyoto-Prozess frühestens ab 2020 zu neuen Verpflichtungen führen wird.

Für mich und für andere Kommentatoren in vielen Blogs und News-Artikeln wird aber auch immer klarer, dass die rein negative Zielsetzung des Kyoto-Prozesses, die da lautet Jeder Teilnehmer muss sich eine möglichst grosse CO2-Vermeidung aufbürden zum Scheitern verurteilt ist. Klimapolitik wäre kein Schwarz-Peter-Spiel wie es heute eines ist, wenn Alternativenergien zu den fossilen Energien zur Verfügung stünden, die ebenso billig oder billiger als die fossilen Energien wären.
Das muss das eigentliche Ziel sein: Energiequellen entwickeln, die die fossilen Energien ablösen können. Vielleicht sind es ja tatsächlich die von allen Gutmeinenden vermuteten Erneuerbaren Energien, die das leisten können. Jedoch können sie es momentan noch nicht leisten, weswegen die CO2-Emissionen ja auch ansteigen. Wenn China und Indien und ihnen nachfolgende neue Schwellenländer auf Kohle verzichten, weil sie einfach zu teuer ist, dann ist das CO2-Problem zur Hälfte gelöst.

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