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Das «Schwarm-Konzept»: dezentrale Stromproduktion mit biogenen Energieträgern

18.12.2012 von

Neue Erneuerbare Energien werden in den nächsten Jahrzehnten einen deutlich höheren Anteil im Stromangebotsportfolio der Schweiz erobern. Die aus Wind und vor allem aus Sonne erzeugte Elektrizität fällt jedoch unregelmässig an. Zwar sind die Prognosen zur Energieerzeugung auf 24 Stunden hinaus möglich und zunehmend robust, dennoch erfordert diese Unregelmässigkeit erhöhte Speicherkapazität und/oder einen Netzausbau.

Ein Paradigmenwechsel – weniger Grundlast, mehr Power-on-Demand

Ein höherer Anteil an unregelmässig anfallender Energie lässt sich nicht kombinieren mit grösseren Grundlastkapazitäten für die Stromerzeugung, wie sie durch Nuklear- oder Kohlenkraftwerken verfügbar sind, da diese nicht schnell genug zu- und abgeschaltet werden können. Im zukünftigen Energiesystem der Schweiz sind spitzenlastfähige Kraftwerke als Reserve optimal. Diese decken bei erhöhtem Strombedarf die Nachfrage, da sie zeitlich flexibel einsetzbar sind («Power-on-Demand»). Mögliche Reserve-Kraftwerke sind

  • Gaskraftwerke (etwa 500 Megawatt elektrische Leistung)
  • Dezentrale Strom-/Wärme-/Kälteanlagen (mit elektrischen Leistungen von wenigen Kilowatt bis zu etwa 20 Megawatt): In diesen Anlagen werden idealerweise biogene Energieträger eingesetzt, was die CO₂-Problematik entschärft.

Im Folgenden wollen wir die biogenen Energieträger näher anschauen.

Biomasse und Abfall – ein unterschätztes Potential hochwertiger Energie

Das Potential der ökologisch sinnvoll verwertbaren Biomasse, bzw. der Landwirtschafts- und Siedlungsabfälle für die Schweiz wird gemäss neusten Studien1 auf etwa 23 Terawattstunden chemischer Energie veranschlagt. Heute wird jedoch nur ein Teil davon genutzt und zwar meistens für die Erzeugung von Niedertemperaturwärme. Viel sinnvoller wäre die kombinierte Strom- und Wärmeerzeugung, denn damit kann höherwertige Nutzenergie gewonnen werden. Würde das ganze Potenzial der Biomasse ausgenutzt, könnten mittelfristig bis zu 8 Terawattstunden Strom und 12 Terawattstunden hochwertiger Wärme (oder Kälte) bereitgestellt werden. Das entspricht etwa 12 Prozent des gesamtschweizerischen Strombedarfs beziehungsweise 14 Prozent der fossilen Energie für Wärme im Jahr 2010.

Als Energiewandler, die aus der Biomasse Strom und Wärme produzieren, bieten sich sowohl Hochtemperaturbrennstoffzellen (SOFC, MCFC) als auch hocheffiziente Gasmotoren an. Beide Technologien können als «Null»-Emissionssysteme gestaltet werden. Elektrochemische Wandler können einen leicht höheren elektrischen Wirkungsgrad haben, sind aber deutlich teurer und nur für den stationären Betrieb geeignet. Strebt man den flexiblen hochdynamischen Einsatz dezentraler Anlagen zur Netzstabilisierung an, sind verbrennungsbasierte Systeme mit Reaktionszeiten von Null- auf Volllast (und zurück) von weniger als fünf Minuten unschlagbar.

Das Schwarmkonzept – eine komplexe Systemoptimierung

Der Ansatz des «Schwarms» von dezentralen Kraftwerken wird neuerdings an vielen Orten konzeptionell angedacht. Beim Schwarm handelt es sich um eine grosse Anzahl dezentraler Kraftwerke unterschiedlicher Grösse, welche je nach Bedarf an Strom und Wärme sowie ja nach Auslastung des lokal-/regionalen Stromnetzes flexibel zu- und abgeschaltet werden können.

Eine technisch robuste und wirtschaftlich attraktive Umsetzung des Schwarmkonzepts ist jedoch hochkomplex; es müssen nämlich verschiedene Energieträger, -verbraucher und -netze (Strom, Biogas, Nah- und Fernwärme/-Kälte) aufeinander abgestimmt werden.

Abbildung 1: Netzstabilisierung bei hohem fluktuierenden Eintrag: während der Überschuss (A), gespeichert, wieder verwendet wird (B), ist der Beitrag spitzenlastfähiger Kraftwerke während Mangelperioden entscheidend.

 

In Zukunft wird es in der Schweiz während der meisten Zeit grosse Abweichungen geben zwischen Stromangebot und -nachfrage – dies auf Grund des deutlich höheren Beitrags insbesondere der Photovoltaik zur gesamten Stromerzeugung2 (in Abbildung 1 qualitativ gezeigt).

Abbildung 2: Lokal-regionale Energiedienstleister (Contractors) nutzen vielfältige Informationen, um verschiedene Energieformen optimal aufeinander abzustimmen.

 

Abbildung 2 stellt die Realisierung des «Schwarm-Konzeptes» exemplarisch dar: Anhand von verlässlichen Prognosen zum Wetter und der davon abhängigen Stromerzeugung durch Wind und Sonne entsteht ein Profil. Dieses zeigt den Unterschied zwischen Stromnachfrage und (konventionellem) Angebot, erstellt zum Beispiel für die nächsten 24 Stunden. Gleichzeitig sind dem Energiedienstleister über moderne Kommunikationsmittel Informationen zugänglich über den lokalen Bedarf an Wärme/Kälte inkl. Status der entsprechenden Speicher. So ergibt sich ein ganzheitliches Monitoring inklusive der Netztopologie. Die einzelnen Teile des Kraftwerkschwarms können damit hochdynamisch aktiviert oder abgestellt werden. Die Robustheit und Dynamikfähigkeit des Elektrizitätssystems wird somit – zusätzlich zu der spitzenlastfähigen Wasserkraft – nochmals gesteigert.

Wirtschaftlichkeit ist entscheidend

Die alles entscheidende Frage ist natürlich, ob ein solcher Kraftwerkschwarm wirtschaftlich betrieben werden kann. Um erste Erkenntnisse zu gewinnen und die einzelnen Technologiemodule zu entwickeln, verfolgen wir am Laboratorium für Aerothermochemie und Verbrennungssysteme (LAV) verschiedene Stränge. So ist im Rahmen einer kürzlich abgeschlossenen Masterarbeit3 ein Modell entstanden, das wir anhand realistischer Daten validiert haben. Das Modell optimiert den kosteneffizienten Betrieb4 der einzelnen Komponenten des «Schwarms» für den Energiedienstleister.

Gleichzeitig arbeiten wir gemeinsam mit Schweizer Industriepartnern daran, effiziente, kostengünstige verbrennungsbasierte Energiewandler mit praktisch Null-Schadstoffausstoss auch im hochdynamischen Betrieb zu realisieren.

Schliesslich starten wir gerade mit mehreren ETH-internen und -externen Partnern ein Projekt zur umfassenden Optimierung eines solchen Schwarm-Systems. Hierzu untersuchen wir konkrete Regionen in der Schweiz mit unterschiedlichen Gegebenheiten in Bezug auf das energierelevante Potenzial der Photovoltaik und der Windkraft sowie die Verfügbarkeit von Energie aus Abfall und Biomasse. Zusammen mit der Struktur des lokalen beziehungsweise regionalen Stromnetzes und der Nachfrage nach verschiedenen Nutzenergieformen werden diese Daten in ein dynamisches Modell eingespeist. Das Modell optimiert das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung und erlaubt Aussagen über die Stabilität und Robustheit des Stromnetzes sowie die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit.

 .

1 Steubing, B., R. Zah, et al. (2010). „Bioenergy in Switzerland: Assessing the domestic sustainable biomass potential.“ Renewable & Sustainable Energy Reviews 14(8): 2256-2265.

2 Studie «Energiezukunft Schweiz», http://www.esc.ethz.ch/publications/Energiezukunft_Schweiz_2011_11.pdf, November 2011

3 Sonja Kallio: Modelling of a Combined Heat and Power System, Masterarbeit ETH Zürich, August 2012 (Betreuer Ph. Vögelin/LAV)

4 Das Modell maximiert den sogenannten «Net-Present-Value», den diskontierten Gewinn einer Investition.

Zum Autor

Konstantinos Boulouchos ist Professor für Aerothermochemie und Verbrennungssysteme an der ETH Zürich. Persönliches Zitat und Biografie

 





Kommentare (3) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen

Ich halte die Verfolgung dieses Wegs für selbstverständlich. Teilweise ist er schon realisiert, denn heutige Solarwechselrichter überwachen das Strom-Netz und schalten sich innert Millisekunden aus wenn es lokal (Spannung zu hoch) oder total (Frequenz zu hoch) überlastet ist. Eine Überproduktion kann es nicht geben.
Daselbe funktioniert auch mit der Produktion, wobei dann als weiteres Kriterium der momentane Strom-Preis dazu kommt. Ich werde in den nächsten Jahren meine existierende Pellets-Heizung so umrüsten, dass 10% der Gesamtleistung als Strom produziert wird. Wir haben bereits einen Wärmespeicher mit mehreren Tagen Autonomie, und so kann ich den Strom dann zum günstigsten Tageskurs an den meistbietenden verkaufen. Das werde viele andere auch tun, ganz einfach weil es Spass macht.

Biogene Schwarmkraftwerken in Kombination mit Sonnen-,Wind-und kleinen Wasserkraftwerken könnten einige waldreiche Regionen in der Schweiz weitgehend energieautark und unabhängig von fossilen Energien machen. Allerdings mit deutlich höheren Kosten als heute, denn nicht nur Wind-und Sonnenkraftwerke sind teurer als fossile Alternativen, sondern auch Kraftwerke, die Biomasse verbrennen. Die Beschaffung des Brennmaterials, die Verarbeitung und der Betrieb solcher Biomassenkraftwerke ist zudem arbeitsintensiv.

Das verwandte Konzept von Combined Heat
and Power Systems
, wie es bereits um Kopenhagen herum existiert ist ebenfalls teuer (Zitat)„It is a complex system with di fferent kind of production units, transmission lines and heat storages. Huge costs are related to running the total system,
thus ecient planning is needed.“

Energieautarke vorwiegend auf erneuerbaren Energien basierende Systeme benötigen zudem sehr viel Backup, also Kraftwerke, die bei Flauten und fehlender Sonne die Lücke überbrücken können – und das eventuell für Tage bis Wochen. Dazu fehlt meist die Biomasse. Mit einem gesamteuropäischen Supergrid, das für Ausgleich sorgt, wäre der Backupbedarf um einiges geringer.

Für CH wird wohl die Nachbarschaft zu Deutschland entscheidenden Einfluss auf die Energiezukunft haben. Der immer höhere Anteil an erneuerbaren Energien, der in Deutschland erzeugt wird, wird zu langanhaltenden Stromschwemmen führen. Schon jetzt ist das teilweise der Fall und die Niederlande, Belgien und Frankreich konsumieren einen Teil davon. Auch die Schweiz wird nach Ausbau der Transmissionsleitungen aus dem Norden in den Genuss dieses billigen Überschussstromes komen. CH sollte diesen billigen Strom ebenfalls importieren und mit speziellen Notstrom-Kraftwerken Stromlücken überbrücken. Wäre die billigste Lösung.

Sehr geehrter Herr Professor Boulouchos,

Das Konzept der dezentralen biogenen Lastfolgekraftwerke, das sie hier vorstellen ist die CO2-ärmste Version des allgemeineren Konzepts der Backupkraftwerke. Die deutsche Erneuerbaren Strategie baut auf Backup, nämlich auf die vollständige Abdeckung des maximalen Strombedarfs mittels fossiler Schattenkraftwerke. In Deutschland sind das aus Kostengründen vor allem Kohle- ja sogar Braunkohlekraftwerke. Die von ihnen geforderte kurzfristige Zuschaltbarkeit (innerhalb von Minuten) scheint mir nicht zwingend, kann man doch für Fluktuationen im Sekunden-, Minuten- bis Viertelstunden-Bereich (Böen bei Windkraft, Wolkenfront) zur kurzfristigen Netzstabilisierung Batterien oder Schwungräder einsetzen.

Dezentrale biogene „Schwarm“-kraftwerke sind vor allem interessant, wenn man eine kleine Region selbstversorgend machen will. Allerdings brauchen sie dann eine riesige Backupkapazität, müssen sie doch in der Lage sein tagelang Strom mittels Biomasse zu erzeugen. Wenn die dezentralen biogenen Schwarmkraftwerke auch noch bemannt werden müssen, also nicht automatisch arbeiten, wird das zudem eine äusserst teure Angelegenheit.

Jedes vorwiegend auf Erneuerbaren aufbauende System braucht Backup, umso weniger allerdings je grösser der Netzverbund ist, in den die Erneuerbaren Energien integriert sind. In Power Perspectives 2030, einem Dokument zur roadmap 2050 liest man dazu: Upgrading the grid infrastructure is, however, the most cost–effective way to keep a power system in transition secure and reliable. Less transmission build-out will lead to less optimal use of RES (Renewable Energy Sources) and additional need for backup capacity 12″
Fazit: Regionale Selbstversorgung mit Erneuerbaren benötigt sehr viel Backup und wird teuer.

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