Video Analytics: wann und wie benutzen Studierende Lernvideos?

Seit anderthalb Jahren betreibt das Departement Physik ein eigenes Videoaufnahmestudio, in welchem Lehrende Videos in Selbstbedienung erstellen können. Mit mittlerweile 135 Lernvideos aus 10 Vorlesungen und insgesamt über 20‘000 Aufrufen liegen genügend Daten vor, um die Benutzung der Videos über das Semester hinweg zu untersuchen. Youtube stellt dazu mit Analytics eine umfassende Datenbasis zur Verfügung.

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(Klicken Sie das Bild, um zum youtube Kanal der Physikvideos zu gelangen)

Datengrundlage: Als Untersuchungsbeispiel werden im Folgenden die Videos einer Physik-Einführungsvorlesung für Bauingenieure (Phys_BAUG) herangezogen. Diese Vorlesung wurde im Herbstsemester 2013 und im Herbstsemester 2014 für jeweils ca. 200 Studierende angeboten. Während der Vorlesungszeit erhielten die Studierenden jede Woche eine Videolösung (bestehend aus 1 bis 2 Einzelvideos). Somit liegen für den Untersuchungszeitraum von Sep 13 bis Feb 15 insgesamt 34 Videos (2×13 Videolösungen) vor. Jede Vorlesung hatte eine eigene Videosammlung, bestehend aus jeweils 13 unterschiedlichen Videolösungen.

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Daten aus Phys_BAUG (HS13 und HS14)

Analyse:

In der Grafik werden zwei Kenngrössen im monatlichen Verlauf abgebildet:

  • views (Aufrufe): absolute Anzahl der von youtube registrierten Videoaufrufen (Balken),
  • percetage viewed: durchschnittlicher Anteil der angeschauten Videolänge, gemessen an der Gesamtlänge (Linie).

In Oct 13 wurden somit 655 Aufrufe registriert, wobei die dort aufgerufenen Videos im Schnitt zu 54% angeschaut wurden. Diese Kennzahlen sind laut youtube wichtige Indikatoren für die Zuschauerbindung und beeinflussen sicher auch die Vergütung von zugeschalteter Werbung (falls vorhanden).

Die absoluten Werte sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren. Als Aufruf wird jeder Click auf den Play-Button bewertet, wobei aber Manipulationen durch wiederholtes Clicken möglichst verhindert werden. Wie der Wert von percentage viewed genau ermittelt wird, ist in der Dokumentation nicht ersichtlich. Für den monatlichen Vergleich, wie hier angestrebt, sind diese Bedenken jedoch zweitrangig. Anzumerken ist, dass bei percentage viewed ein Anteil von 30-60% für eine durchschnittliche Videolänge von knapp 15 Minuten von youtube als hohe Zuschauerbindung angesehen wird. Zudem haben Befragungen ergeben, dass 86% der betroffenen Studierenden die Videolänge als „genau richtig“ angeben und somit kein Problem mit Videos von 15 bis 20 Minuten Dauer haben.

Weiterhin ist in der Grafik der Zeitraum in unterschiedliche Perioden unterteilt:

  • lecture period (Sep-Dec): Zeit in welcher die Vorlesung angeboten wird und die Studierenden wöchentlich eine neue Videolösung erhalten,
  • exam period (Jan): Ende Januar findet jeweils die Abschlussprüfung statt,
  • re-test period (Aug): eine Nachprüfung, an der aber nur sehr wenige Studierende teilnehmen,
  • no-lecture (Feb-Jul): in diesem Zeitraum finden weder Vorlesungen noch Prüfungen statt.

Diskussion:

In der Grafik fällt zunächst auf, dass sich die Aufrufe (views) während der Prüfungszeit (Jan 14, Jan 15) deutlich erhöhen. Die Videos wurden also verstärkt zur Prüfungsvorbereitung eingesetzt. Während der Vorlesungszeit (Sep bis Dec) fallen die Einbrüche im Sep und Dec auf. Sie sind darauf zurückzuführen, dass das Semester erst Mitte September beginnt und die Weihnachtszeit eher als lernfrei zu betrachten ist. Im Oct 13 wurden die Videos erstmalig in einer Physikvorlesung eingesetzt und daher auch stark beworben. Dies mag den deutlich erhöhten Wert in diesem Zeitraum erklären, der sich in Oct 14 nicht wiederholt. Insgesamt kann man also feststellen, dass in der Vorlesungszeit die Videos ziemlich gleichmässig (im wöchentlichen Rhythmus ihres Erscheinens) benutzt werden.

Bei percentage viewed liegen die Werte während der Vorlesungs- und der Prüfungsvorbereitungszeit etwa gleich hoch. Im Vergleich zu 2013 fallen sie 2014 jedoch geringer aus. Im Gegenzug erhöhen sich dann aber in Jan 15 die Aufrufe deutlich. Diese Abweichung lässt sich entweder auf die unterschiedlichen Videosammlungen, oder auf ein unterschiedliches Benutzerverhalten zurückführen. In 2014 wurden die Videos während der Vorlesungszeit eher partiell aufgeteilt geschaut und deutlich verstärkt in der Prüfungsvorbereitungszeit benutzt. Zum Benutzerverhalten kann noch angemerkt werden, dass laut Befragung 42% der Studierenden zwischen 30 und 60 Minuten mit jedem Video aufwenden. Dies entspricht etwa 2-4 Mal der eigentlichen Videodauer. Beim Anschauen habe 54% der Befragten zusätzlich noch das Vorlesungsskript konsultieren. Ein Grossteil der Studierenden setzt sich also intensiv mit dem Videoinhalt auseinander. Eventuell hat dieses Verhalten einen Einfluss auf die abweichenden Werte von percentage viewed.

Ergebnisse:

  • Insgesamt liefert youtube Analytics brauchbare Daten, um den langfristigen Verlauf der Benutzung von Lernvideos zu analysieren. Detaillierte Informationen zur Generierung der entsprechenden Kernzahlen wären bei der Interpretation jedoch hilfreich.
  • Im Hinblick auf die untersuchte Lernveranstaltung kann festgehalten werden, dass die Videos während der Vorlesung und ebenfalls während der Prüfungsvorbereitung intensiv benutzt wurden. Beim Design von Lernvideos ist daher dieser doppelte Anspruch, Unterstützung der Wissensaneignung und der Wissenskonsolidierung, unbedingt mit zu bedenken.
  • Zusätzlich zur vorliegenden Untersuchung liegen noch Daten aus verschiedenen Befragungen und Interviews vor. Diese und weitere Analysen aus youtube Analytics werden Gegenstand einer umfassenden Studie zum Nutzerverhalten und zur Lernwirksamkeit von Lernvideos darstellen.