ETH-Klimablog - Klimaforschung - Politischer Zündstoff im IPCC-Klimabericht

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Politischer Zündstoff im IPCC-Klimabericht

03.10.2013 von

Conflict_bplanet_freedigitalphotos_161x97_teaserLetzten Freitag wurde der neue UN-Klimabericht vorgestellt. Es ist interessant, die Berichterstattung dazu zu beobachten. Das Bild sei vervollständigt, die Tendenz bestätigt, die Erwärmung klar, ja der Einfluss des Menschen erwiesen, so die meisten Reaktionen. Aus meiner Sicht greift das zu kurz.

Im Zuge der medialen Berichterstattung zum Klimabericht des IPCC war der höhere Meeresspiegel-Anstieg in der Zukunft der wohl häufigste Titel in den Zeitungen. Dass der Anstieg höher sein würde als im letzten Sachstandsbericht, war keine Überraschung. Denn der neue Bericht berücksichtigt im Gegensatz zu früher auch die schmelzenden Eisschilder. Die schwache Erderwärmung während der letzten 15 Jahre war ebenfalls prominent vertreten in den Medien. Dies obwohl die IPCC-Zusammenfassung für Entscheidungsträger ausdrücklich sagt, dass auf Grund von natürlichen Schwankungen die kurzfristigen Trends die langfristigen Klimaveränderungen nicht reflektieren (siehe dazu auch den Beitrag vom 28.01.2013).

Die entscheidende Schlagzeile

Nur wenige Medien haben den entscheidenden Punkt prominent aufgegriffen: die zulässigen CO2-Emissionen für das international akzeptierte Zwei-Grad-Ziel. Die letzte Figur in der Zusammenfassung für Entscheidungsträger (siehe Grafik) zeigt einen erstaunlich einfachen Zusammenhang: die globale Temperatur ist proportional zu den totalen CO2-Emissionen seit vorindustrieller Zeit. Das bedeutet, dass jedes Temperaturziel einer maximalen Menge CO2 entspricht, die wir ausstossen können. Je mehr wir heute ausstossen, desto weniger dürfen wir später. Um das Zwei-Grad-Ziel mit mindestens 66 Prozent Wahrscheinlichkeit zu erreichen, haben wir ein Budget von 1000 Milliarden Tonnen Kohlenstoff (1000 GtC). Das vernachlässigt allerdings andere Faktoren wie Methan (CH4) und Lachgas (N2O), die unter anderem aus der Landwirtschaft kommen. Wollen wir auch in Zukunft Landwirtschaft betreiben und stossen entsprechend weiter Methan und Lachgas aus, dann reduziert sich das Budget auf rund 800 GtC. Dies ist das wirkliche Budget. Fast 550 GtC davon haben wir schon ausgestossen, also zwei Drittel. Mit heutigen Emissionen (10 GtC pro Jahr) reichen die verbleibenden 250 GtC noch rund 25 Jahre. Wie das verbleibende Drittel unter den Ländern und über die Zeit verteilt werden soll, kann und darf der Weltklimarat nicht beurteilen. Das ist eine Frage, die alle Länder beantworten müssen (siehe Beitrag vom 14.08.2012). Offensichtlich ist, dass wir überhaupt nicht auf dem Weg zum Zwei-Grad-Ziel sind (siehe Beitrag vom 27.11.2012).

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Korrelation zwischen Temperaturanstieg und CO₂-Ausstoss seit 1870 (Grafik: IPCC AR5 WG1, Summary for Policymakers)

Verantwortung für die Zukunft

Aus dem CO2-Budget lässt sich auch einfach ein Argument der historischen und zukünftigen Verantwortung konstruieren: jedes Land ist verantwortlich für den Klimawandel gemäss seinen totalen CO2-Emissionen seit vorindustrieller Zeit. Und damit ist klar, es geht um viel Geld.

Die Regierungsvertreter in Stockholm hatten die Brisanz dieser Aussage sehr wohl begriffen. Einige Schwellenländer versuchten mit allen Mitteln die Aussagen abzuschwächen und Zahlen zu entfernen. Der Vorwand: zu kompliziert, nicht relevant oder wissenschaftlich nicht haltbar sei der lineare Zusammenhang zwischen Emissionen und Temperatur. Tatsächlich hätten sie den expliziten Zusammenhang lieber nicht gesehen. Erst nach stundenlangen Verhandlungen akzeptierten die Länder letzten Freitag um fünf Uhr früh, dass ihre Klimapolitik die Fakten der Wissenschaft nicht ändern konnte.

Mein Fazit

Die wichtigste Schlussfolgerung, die ich aus dem IPCC-Bericht ziehe, ist die folgende: jede Tonne CO2 verursacht etwa die gleiche Klimaänderung, egal wann und wo sie ausgestossen wird. Das verbleibende CO2-Budget für das Zwei-Grad-Ziel ist klein. Wir sind nicht auf Kurs, und mit jedem Jahr Untätigkeit wird es schwieriger, zurück auf Zielkurs zu kommen.

Auch das haben wir vorher schon gehört, aber nun steht es zum ersten Mal explizit in einem IPCC-Bericht. Ob das etwas an der Politik ändern wird, ist unklar, und nicht an mir zu beurteilen. Sicher ist, dass die Länderdelegationen in Stockholm im Gegensatz zu den meisten Medien die Brisanz dieser Aussagen sehr wohl verstanden haben. Ich bin gespannt, was sie mit diesen Informationen machen werden.

 

Zum Autor

Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. Persönliches Zitat und Biografie

Veranstaltungshinweis

Prof. Reto Knutti ist heute zu Gast an der Veranstaltung «ETH Klimarunde 2013»

Weitere Hinweise:

New York Times: How to Slice a Global Carbon Pie?

 





Kommentare (5) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen

Sehr geehrter Herr Laser,
Rekonstruktionen von Baumringen werden in der Klimaforschung oft verwendet, und sind auch in IPCC diskutiert (Kapitel Paleoklima). Allerdings sind einzelne Bäume nur bedingt aussagekräftig, sie reflektieren nur ein lokales Signal, nur während den Wachstumsmonaten, und oft eine Kombination von Temperatur, Feuchte, etc. Zudem wird die Aenderung in der saisonalen und lokalen Sonneneinstrahlung auf Grund der Variationen der Erdbahn um die Sonne entscheidend wenn man ein paar Jahrtausende zurückgeht.
Freundliche Grüsse, Reto Knutti

Warum fliessen solche Funde nicht in die Rekonstruktion der Temperaturkurven ein?
Wird von den Klimaforschern des IPCC selektiv ausgewählt um die „gewünschten“ Ergebnisse zu bekommen?

SUBFOSSILER MOORBAUM AUS DER SILVRETTA: ALTER 4900 JAHRE
http://bit.ly/GDHYym

Bedeutung: Es ist der erste bekannte Baumfund aus dieser Höhenlage in Vorarlberg. Er beweist für die Wachstumsperiode wärmere Klimaverhältnisse, da der Standort deutlich über der heutigen Wald- und Baumgrenze lag. Die nacheiszeitliche Klimaentwicklung und deren Schwankungen sind durch verschiedene Befunde aus den Vorfeldern der Alpengletscher (Holz-, Torfproben, Bodenprofile, u. a.) gut rekonstruiert. Demnach gab es in der Nacheiszeit, seit ca. 11.000 Jahren, 7 Phasen mit deutlich höherer Wald-/Baumgrenze als heute. Der Vorarlberger Baumfund passt mit seinem Alter in das
viertletzte wärmere Klimafenster, das mit dem Absterben des Baumes nach ca. 2600 v. Chr. zu Ende geht.

p.s.:
Im übrigen finde ich es sehr gewagt, für ein kompexes System wie das Klima mittels Modellrechnungen Prognosen zu erstellen und die dann als wissenschaftlich aussagekräftig zu verkaufen…

Das Carbon Budget ist nicht zuletzt für alle langfristigen Investoren von Bedeutung: Gemäss der Carbon Tracker-Initiative sind heute Energie-Reserven von 2’900 GtC in den Bilanzen der globalen Energieunternehmen. Was würde mit deren finanziellen Bewertung passieren, wenn das Budget von 250 GtC eingehalten würde?
Frage: Weshalb gehen auch viele Advokaten des „Carbon Bubble“ noch von einem Budget von 800-900 GtC aus, vernachlässigen also den kummulierten Effekt der historischen Emissionen?

danke sehr herr knutti,
das ist die wichtigstes botschaft für alle bürger, konsumenten und politiker. wir haben nur noch 250 gt co2, dann ist schluss. dies muss jeder vestehen! am besten sollte die verbleibende menge sofort nach bevölkerungsgrüsse von 1990 aufgeteilt werden. Damit kann dann jedes Land eigenverantwortlich umgehen.
Weiter so!

Sehr geehrter Herr Prof. Knutti, ich möchte gerne wissen, wie man auf die ominösen 2°C kommt und welche Konsequenzen konkret zu erwarten sind, wenn diese 2°C erreicht werden.

Fig. SPM.1 AR5 zeigt, dass es bereits in der Vergangenheit ähnliche Stillstandsperiode gab wie die aktuelle, die mehrere Jahrzehnte umfassten. Sollte die aktuelle Periode 40 oder 50 Jahre dauern, wann würde dann die „2°C-Grenze“ erreicht werden.

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