Sustainability Transitions: Wirtschaftssektoren im nachhaltigen Wandel
16.07.2013 von
«Sustainability Transitions» heisst das junge Forschungsgebiet, das der Frage nachgeht, unter welchen Bedingungen sich bestehende Wirtschaftssektoren wie etwa die Energieversorgung, die Landwirtschaft, die Siedlungswasserwirtschaft oder der Verkehrssektor in Richtung grösserer Nachhaltigkeit entwickeln, und wie man diese Entwicklung beeinflussen kann.1 Bei solchen Transitionen oder Übergängen geht es um tiefgreifende Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie bringen nicht nur neue Technologien mit sich, sondern auch neue Geschäftsmodelle, veränderte institutionelle Strukturen, andere Nutzungspraktiken und Lebensstile.
Transitionen sind Veränderungsprozesse über lange Zeiträume – sie können 50 Jahre und länger dauern. Ein Beispiel ist die angestrebte Energiewende. Der Energiesektor hat bereits in der Vergangenheit mehrere Transitionen durchlaufen. Im Heizungsbereich zählen dazu der Übergang von Holz zu Kohle und später jener von Kohle zu Erdöl und Erdgas. Falls in Zukunft ein grosser Teil unserer Energieversorgung auf erneuerbaren Energien basieren würde, wäre dies die Folge einer erneuten Transition, die in Bezug auf Nachhaltigkeit vermutlich echte Fortschritte brächte.

Illustration: historische Transition im Transportsektor2
Gesellschaftlicher Umbruch
«Sustainability Transitions» müssen hohe Hürden nehmen. Diese sind in erster Linie gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Natur: Konsumenten sind mitunter nicht bereit, höhere Strompreise zu bezahlen oder auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen. Elektrizitätswerke (und ihre Eigentümer) haben ein Interesse, bestehende Kraftwerke so lange wie möglich zu nutzen. Und Automobilhersteller wollen strengere Abgasvorschriften verhindern. Im Zuge von Transitionen gibt es Gewinner, aber auch Verlierer – und dementsprechend Widerstände. Daher werden grundlegende Veränderungen meist erst möglich, wenn die bestehenden Strukturen in einer tiefen Krise sind oder durch besondere Ereignisse destabilisiert werden, wie zum Beispiel durch Fukushima oder steigende Ölpreise.
Der grundlegende Wandel von Wirtschaftssektoren (im Fachjargon spricht man von sozio-technischen Systemen) ist eines der komplexesten Phänomene in den Sozialwissenschaften. Es geht nicht allein um die Dynamik von einzelnen Technologien wie etwa der Photovoltaik3, sondern um das Zusammenspiel zahlreicher komplementärer Technologien, darunter Windkraft, Biogas, Wärmepumpen, Stromspeicher oder intelligente Stromnetze (Smart Grids). Es geht nicht allein um die Technik, sondern insbesondere auch um die Wirtschaft: etablierte Wertschöpfungsnetzwerke verändern sich, neue Firmen und Geschäftsmodelle entstehen und letztlich auch neue Berufe und Studiengänge. Auf Konsumentenseite wiederum geht es nicht nur um Information und Aufklärung, sondern um die Veränderung von Gewohnheiten, Werten, Praktiken und Routinen.
Herausforderungen für die Forschung
Es bedarf daher Beiträge und Fachkenntnisse aus einer Vielzahl von Disziplinen, von den Ingenieur- und Naturwissenschaften über die Wirtschaftswissenschaften bis hin zu Soziologie und Politikwissenschaft. Dieser interdisziplinäre Mix stellt gleichermassen eine Bereicherung und Herausforderung dar. Es gilt, Konzepte und Modelle zu entwickeln, die Erkenntnisse aus verschiedenen Fachgebieten vereinen – oder aber parallel mit verschiedenen Ansätzen zu arbeiten und damit unterschiedliche Sichtweisen auf das gleiche Phänomen zu ermöglichen. Ähnliches gilt für die Methodenvielfalt.
Eine weitere Herausforderung für die Forschung ist es, die Grenzen des Vorhersagbaren und Beeinflussbaren anzuerkennen. Aufgrund der Komplexität von «Sustainability Transitions» wird es letztlich nur bedingt möglich sein, klassische Gestaltungsvorschläge zu machen oder Politik- und Strategieempfehlungen zu geben. Umso wichtiger wird es sein, sowohl künftige Infrastrukturen als auch organisatorische und institutionelle Strukturen (einschliesslich politischer Instrumente) flexibel zu gestalten, damit sie besser in der Lage sind, sich an zukünftige Veränderungen anzupassen.
Unlängst fand an der ETH Zürich eine internationale Konferenz zu «Sustainability Transitions» statt. Rund 200 Forschende aus der ganzen Welt trafen sich während drei Tagen, um Forschungsergebnisse auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Die Konferenz hat gezeigt, dass es mittlerweile ein stabiles Netzwerk von Forschenden gibt, die sich diesem komplexen Thema verschrieben haben.4 Das neue Forschungsfeld wird auch in den folgenden Jahren weiter wachsen – nicht zuletzt getrieben durch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die uns bevorstehen.
1 Markard, J., Raven, R., Truffer, B., 2012. Sustainability Transitions: An emerging field of research and its prospects. Research Policy 41, 955-967.
2 Geels, F.W., 2005. The Dynamics of Transitions in Socio-technical Systems: A Multi-level Analysis of the Transition Pathway from Horse-drawn Carriages to Automobiles (1860–1930). Technology Analysis & Strategic Management 17, 445–476.
3 Siehe auch die Blogbeiträge von Bernhard Truffer («Energiewende: Nützt das Engagement von Bürgern?») und Klaus Ragaller (Steht ein Durchbruch der Photovoltaik bevor?)
4 Webseite des Forschungsnetzwerks zu Sustainability Transitions: www.transitionsnetwork.org
Zum AutorJochen Markard ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent an der Professur für Nachhaltigkeit und Technologie des Departments Management, Technologie und Ökonomie der ETH Zürich.
Kommentare (17) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen
Im Zusammenhang mit dem Klimawandel durch Anstieg der Treibhausgase wäre die wichtigste «Sustainability Transition» der Verzicht auf Kohle, Öl und Erdgas durch Substitution und Einsparungen. Von den oben erwähnten (Zitat)„hohen Hürden …gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Natur“, die es zu überwinden gilt, scheinen mindestens die technischen Hürden immer kleiner zu werden:
– Erneuerbare Energienquellen wie Wind und Sonne sind an günstigen Standorten bereits heute kompetitiv (Wind) oder werden es im Vergleich zu Kohle, Erdöl und Erdgas bis 2020 (Sonne)
– Batteriebetriebene Fahrzeuge werden bei weiter wie bisher fallenden Batteriepreisen bis 2020 kompetitiv werden und schon im Jahr 2020 kann man mit 10% reinen Elektromobilen und 30% Plugin-Hybriden bei den Neuwagen rechnen.
Nimmt man die historischen Transitionen im Energiebereich als Massstab, werden die erneuerbaren Energien die alten Energiequellen Kohle, Öl und Erdgas aber nicht verdrängen, sondern nur ihren weiteren Anstieg verhindern. Die EE-Strategie, welche Deutschland verfolgt, nämlich Wind- und Sonnenenergie als primäre Energiequelle einzusetzen, sie aber durch fossile Backupkraftwerke abzusichern führt ebenfalls nicht zu den sehr tiefen Kohlendioxidemissionen, die von der Klimawissenschaft gefordert werden. Besser als die Backupstrategie wäre ein globales Stromnetz hoher Kapazität um unregelmässig produzierten EE-Strom überall gleichmässig verfügbar zu machen.
Ferner werden Länder, die selbst über grosse Kohle-, Erdöl und Erdgasreserven verfügen diese solange wie möglich fördern.
Fazit: Technisch und wirtschaftlich wird ein Verlassen der Kohlenwasserstoffe schon ab 2020 ohne grosse Nachteile machbar sein. Doch nur bei globaler Kooperation und globaler Verpflichtung aller Länder wird sich das in sehr niedrigen Treibhausgasemissionen niederschlagen.
@Kommentar von Joseph Meier. 05.08.2013, 11:42
Herr Meier,
Mit Subventionen allein können sie keine weltweiten Transitionen durchsetzen. Weder wäre mit Subventionen allein das Pferdegespann durch Zug und Auto ersetzt worden, noch der Brief durch EMail und die Zeitung durch das Tablet.
Das zu ihrer Aussage (Zitat) „Die Wahrscheinlichkeit einer Transition ist gross. Das Geld geht nachhaltig (für immer) weg vom Steuerzahler zu irgendwelchen Umwelt-Lobbyisten. „
Subventionen gibt es aber übrigens auch heute noch für konventionelle Energien. Jährlich wird vor allem Benzin und Diesel mit 500 Milliarden Dollar subventioniert. Dies allerdings vor allem in Ländern wie Russland, einigen Nahoststaaten und in Schwellenländern wie China und Indien wo Benzin und Diesel aus ähnlichen Gründen subventioniert werden wie Grundnahrungsmittel.
Neue Energieformen können sich über Subvention allein aber nie durchsetzen.
Ebenso kann man mit Angst- und Panikmache keine langanhaltende Wirkung erzielen (Zitat) „Die Methoden dieses Überganges werden wie immer Panikmache sein und das Propagieren vom “Allgemeinwohl”.“
Eine erfolgreiche Transition im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich wird wohl von mehreren Kräften angetrieben werden:
1) Von Technologien, die einen Übergang überhaupt ermöglichen
2) Von der Einsicht in die Notwendigkeit der Transition
3) Von der Wirtschaftlichkeit durch die Massenproduktion (economy of scale)
4) Von den Vorteilen durch Verlassen der alten Technologie
Das Verlassen von Kohl, Öl und Erdgas z.B. wird die Umweltverschmutzung reduzieren (Punkt 4) und wird wohl erst dann und dort richtig an Fahrt gewinnen, wo die Ersatzenergien nicht teurer sind als die zu ersetzenden Energien (Punkt 1). Dieser Substitutionsvorgang wird durch die massenhafte Anwendung der Ersatztechnologien zu einer economy of scale (Punkt 3) führen und damit die Transition noch einmal beschleunigen. 2) wird dann die letzten Reste fossiler…
@Kommentar von Peter Bühler. 30.07.2013, 23:44
Einen Totalitarismus wie sie ihn an die Wand malen hat es für die ganze Welt noch nie gegeben. Transititionen mit weltweiter Wirkung auf freiwilliger Basis gibts jedoch zuhauf: Impfungen gegen Krankheiten gibt es weltweit und auch die Bedeutung von Hygiene wird weltweit ähnlich gesehen. Die Kommunikationsmittel heute sind ebenfalls völlig andere als noch vor 30 Jahren.
Es stimmt allerdings, dass viele Klimaforscher glauben wollen (sich einbilden), es führe ein fast direkter Weg von der Einsicht in den Klimawandel und seine Folgen zu den Aktionen, die ihn stoppen. Diese Leute überschätzen die Macht der Einsicht und sehen die Politik fälschlicherweise als direkten Transmissionsriemen für Absichten und Verträge – Verträge übrigens, die eben nicht zufällig bis jetzt gar nicht zustande gekommen sind. Globale Umverteilungsprogramme wie von Ottmar Edenhofer erwähnt („We Redistribute World’s Wealth By Climate Policy“) sind völlig unrealistisch, denn sie setzen die Zustimmung aller voraus – etwas was nicht zu erwarten ist.
Kohle, Erdöl und Erdgas können jedoch schnell verlassen werden, wenn es billigere Alternativen gibt. Ja erst dann kann politischer Druck den Ausstieg aus den Kohlewasserstoffen überhaupt merklich bescheunigen. Klimapolitik als reinen Willensakt kann es so wenig geben wie Pläne für die ganze Welt aus einer Hand. Vielmehr bewegt sich die Menschheit in verschiedenen Bereich auf verschiedenen Pfaden in die Zukunft. Wo genau ein Pfad durchgeht hängt von vielen Faktoren und Akteuren ab. Alles auf eine Karte zu setzen – z.B. ein Kyoto-ähnlicher Vertrag für alle Staaten – ist falsch und wird nicht funktionieren. Wir sehen aber, dass immer mehr alternative Energie-Technologien entstehen (EE,Nuklear,Einsparen) und dass die politische Einsicht in den Nutzen von nachhaltigen Lösungen ebenfalls steigt. Jetzt muss nur noch alles zusammenkommen dann genügen ein paar wenige Jahrzehnte für die Transition.
Ja Herr Holzherr
Die Wahrscheinlichkeit einer Transition ist gross. Das Geld geht nachhaltig (für immer) weg vom Steuerzahler zu irgendwelchen Umwelt-Lobbyisten. Ob jetzt das dynamisch, nicht-linear vonstatten geht, weiss ich nicht. Was ich weiss: Die Methoden dieses Überganges werden wie immer Panikmache sein und das Propagieren vom „Allgemeinwohl“.
Alter Wein in neues Schläuchen.
Socio-ökonomische Transitionen sind dynamische, nicht-lineare Prozesse mit Unstetigkeiten/Umbrüchen und Krisen. Einerseits wurden Umwälzungen in ihrer Wirkung auf eine Branche oft unterschätzt (dass das Auto das Pferdegespann vollständig verdrängen würde dachten wenige), andererseits in ihrer branchenübergreifenden oder gar menschheitsverändernden Wirkung oft überschätzt (Marconi: „the coming of the wireless era will make war impossible“). Einige neuere Transitionen fanden fast über Nacht statt: mobile communication, ubiquitous internet, social media, andere wurden „angesagt“, fanden aber nicht statt: Ära der interplanetaren Weltraumfahrt. Die Klimafrage und die Transition zu einer nichtfossilen Gesellschaft ist ein Beispiel von einem Problem und einer Transition, die seit vielen Jahrzehnten in der Schwebe verharrt. Dass der Mensch die Welt, die Erde und selbst das Klima verändert ist eine Tatsache und mit der unbeantworteten Frage verbunden, ob der Mensch nur darauf reagieren soll (sich an sich selbst anpassen) oder ob er proaktiv agieren soll.
Wie wahrscheinlich sind Transitionen? Dazu gibt es bis jetzt noch keine Masszahl und keine verlässliche Indikatoren, was ich als Mangel empfinde.
Beispiel: Dass mehr als 50% des Stroms in 20 Jahren erneuerbar erzeugt wird scheint heute unwahrscheinlich, denn es bräuchte eine Kombination von technologischen Alternativen und weltweiter Entschlossenheit. Die USA und ihre Energy Information Agency glauben jedenfalls, dass 2040 Erdgas und Kohle absolut gleich viel Elektrizität wie heute erzeugen werden und der von Erneuerbaren von heute 13 auf 18% im Jahre 2040 ansteigt werden (auf 33% im High-Scenario). Ist diese Einschätzung der EIA nur eine US-Weltsicht? Gibt es sinnvolle Transitions-Indikatoren?
„Ein wichtiger Aspekt von (vergangenen) Transitionen“?!
Immer derselbe, altvertraute, 1945 und 1989 vermeintlich endgültig gescheiterte, untaugliche, völlig menschenverachtende, totalitäre Ansatz …
Klare Ansage: „We Redistribute World’s Wealth By Climate Policy“
Wer die Botschaft nicht hören oder verstehen will, sollte sich über die Folgen später nicht beschweren.
Unzweifelhaft aber gibt es jede Menge Mitläufer, kleine und grosse PGs, institutionelle und begünstigte Nutzniesser, die’s kaum erwarten können, an der – diesmal nun wirklich, wirklich, endgültig „GROSSEN TRANSITION“ teilzuhaben.
Frage: für wie blöd lassen sich die Dulder und stillen Betrachter des Geschehens noch verkaufen? Wann ist die Toleranzgrenze ausgereizt?
@Kommentar von Dr. Jochen Markard, ETH Zürich. 30.07.2013,
Das wirklich neue an den anstehenden „Sustainability Transitions“ ist die von Dr. Markard am Schluss seines Kommentars erwähnte „globale Ausdehnung von Sustainability Transitions – bei den zugrundeliegenden Problemen, und auch bei manchen Lösungsansätzen.“
Der anthropogene Klimawandel beispielsweise ist global und kann nur über globales Umsteuern bekämpft werden, wobei die Klimaverhandlungen unter der Ägide der UNO, obwohl potzenziell global wirkend, bis jetzt wirkungslos blieben. Möglicherweise weil die Welt bis heute von konkurrierenden Nationen dominiert wird und globales Handeln somit immer nur ein Kompromiss sein kann.
Die Globalisierung von Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Öffentlichkeit ist ein Fakt mit dem heute noch die wenigsten umgehen können, weshalb es auch eine romantische Flucht ins rein Lokale, rein Dezentrale gibt – eine Flucht, weil die Globalität vieler Probleme sich nicht mehr wegdenken/wegwünschen lässt.
Die Auswirkungend des Klimawandels in einer globalisierten Welt werden von Anders Leverman im Interview Leaving Our Descendants A Whopping Rise in Sea Levels angesprochen: „We are living a globalized world and our societies are relatively fragile already. .. If, for example, a storm surge would destroy the harbor of Rotterdam, where a lot of containers go through, you would strongly disrupt the supply chains for a lot of production in different countries.“
Mit andern Worten: Nur wenig Katastrophen bleiben heute rein lokal in ihren Auswirkungen und nicht nur Finanzkrisen sondern such Umweltkrisen wirken immer häufiger global. Der finale Entschluss auf fossile Rohstoffe zu verzichten hätte ebenfalls globale Auswirkungen und würde Erdgas-Öl- und Kohlevorkommen, die heute Billionen von Dollar wert sind, über Nacht wertlos machen.
Die Frage, was wir von historischen Transitionen für zukünftige Transitionen lernen können (und insbesondere noch für Transitionen in Richtung Nachhaltigkeit), ist sehr berechtigt. Vergangene Transitionen können uns die Komplexität der zugrundeliegenden Prozesse aufzeigen, helfen uns, bestimmte Entwicklungsmuster zu identifizieren, aber sind natürlich nicht 1:1 auf heutige Situationen übertragbar.
Ein wichtiger Aspekt von vergangenen Transitionen ist sicherlich, dass immer eine Vielzahl von Entwicklungen zusammengespielt haben: es ist nicht nicht allein technologischer Fortschritt, es sind nicht nur visionäre Unternehmer wie Edison und Ford oder gesellschaftliche Probleme (wie etwa mangelnde Hygiene & Krankheiten, die am Beginn der heutigen Siedlungswasserwirtschaft standen) oder Krisen in bestehenden Systemen (wie die Luftverschmutzung durch das Verbrennen von Kohle oder der Pferdemist auf den Strassen im Falle des Automobils).
Das bedeutet, dass wir auch bei den heutigen Transitionen keine einfachen ‚Lösungen‘ erwarten dürfen – im Sinne von ‚es braucht doch nur X (etwa die Energiesteuer) oder nur Y (innovative Unternehmer)‘.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist, dass auch in der Vergangenheit die öffentliche Hand (etwa bei Investitionen in Infrastrukturen oder beim Aufstellen neuer Regeln bzw. Rahmenbedingungen) immer eine zentrale Rolle gespielt hat.
Sustainability Transitions haben zudem noch einmal besondere Herausforderungen: Dazu gehören die schon angesprochenen Wertefragen, die letztlich eine Richtung der Entwicklung vorgeben sollen, aber auch die globale Ausdehnung von Sustainability Transitions – bei den zugrundeliegenden Problemen, und auch bei manchen Lösungsansätzen.
Der Übergang von Postkutschen zu Tram, Zug und Bus und von Kutschen zu Automobilen war ein evolutiver und marktgetriebener Prozess, in dem die Initiative und die Technologieumbrüche (Fliessbandproduktion) von Leuten wie Henry Ford ( Model T) die Entwicklung vorantrieben und weniger die von Dr. Markard erwähnten (Zitat)„grösseren Ziele bzw. Herausforderungen (Klimawandel, Ressourcenschonung, Armutsbekämpfung etc.)“.
Grosse Ziele sollten in einem marktgetriebenen System durch Rahmenbedingungen wirken. Beim Klimawandel wären das ein global gültiger Preis auf CO2, was schon früh vorgeschlagen wurde. In den USA fiel dieser Vorschlag durch, was nicht verwundert, gilt doch für den US-Kongress (Zitat Michael Mann) „the current House Science Committee leadership continues to deny even the existence of human-caused climate change“. Der Klimawandel wir also von vielen Menschen und sogar Ländern noch in Frage gestellt und kaum ein Land will sich in Klimaverhandlungen zu allzuviel verpflichten. Das könnte sich ändern, wenn sich die Gewissheit erhöht und es zugleich kostengünstigen Ersatz für Kohle, Öl und Erdgas gibt. Wenn nichtfossiler Strom billiger als fossil erzeugter wäre und es einen billigen nichtfossilen Treibstoff gäbe, könnte die Transition zu einer CO2-armen Ökonomie sogar fast von allein ablaufen.
Sehr geehrter Herr Markard
Mit grossem Interesse habe ich die von Ihnen zitierte Arbeit von Geels gelesen. Was im (verklärten) Rückblick so einfach aussieht wie der Siegeszug des Automobils hat eine viel kompliziertere Entstehungsgeschichte. Analogien zum jetzigen Umbruch in der Energiewirtschaft drängen sich bei der Lektüre auf.
Ein Link zu der Arbeit findet sich hier: Link
Sehr nützlich wäre auch ein Link zu Ihrem zitierten Übersichtsartikel.
Die technologischen Möglichkeiten Nachhaltigkeitsziele zu realisieren steigen, aber die nicht- technologischen Hindernisse gegen allzu große Umwälzungen nehmen ebenfalls zu.
Nachhaltige Lösung profitabel, aber Anpassungsbereitschaft fehlt
Ein weltweit umspannendes Stromnetz wie in Grünes Superstromnetz für die Welt vorgeschlagen, aber auch nur schon ein Supergrid welches Europa und Nordafrika einbeziehen würde, könnte den Bewohnern der entsprechenden Gebiete erneuerbaren Strom zum gleichen Tarif wie heute liefern.
Doch es gibt viele Widerstände gegen eine solche Lösung. Zum ersten verstößt sie gegen die Ideologie der dezentralen Energieversorgung, dann bedeutet sie auch eine Energieversorgung über Staatsgrenzen hinweg, was ahistorisch ist, denn viele Staaten streben Energiesouveränität an, was zu Zeiten wo Kriege häufig vorkamen, sinnvoll war, und zuletzt gibt es auch noch Widerstand aus der Bevölkerung gegen neue Hochspannungstrasses.
Somit könnte es passieren, dass ökonomisch tragfähige Lösungen für das Klimaproblem existieren, aber sich nicht durchsetzen können, weil die Entscheider andere Prioritäten setzen.
Fazit: Die Welt kann auch untergehen, weil die Menschen zu wenig anpassungsbereit sind, so dass ökonomisch konkurrenzfähige Lösungen abgelehnt werden, weil sie gegen das Gewohnte verstossen oder aus andern Gründen nicht akzeptiert werden.
@Kommentar von Dr. Jochen Markard, ETH Zürich. 22.07.2013, 22:36
Nachhaltigkeit bedeutet für verschiedene Menschen zu verschiedenen Zeiten tatsächlich etwas ganz anderes. So wurde als Maßnahme gegen den Klimawandel von der EU und dem IPPC noch bis vor kurzem Biotreibstoffe als Teil der Lösung gesehen mit dem Effekt, dass Moore und Regenwälder abgeholzt und in Brand gesteckt werden um neue Anbaugebiete für Biotreibstoff zu gewinnen, wie der Artikel Indonesien: Brände in Ölpalmenanbaugebieten aufzeigt.
Wenn Nachhaltigkeit nur gerade ein Überleben der Menschheit bedeutet, dann müsste die technologische Entwicklung, der tech. Fortschritt und das Wirtschaftswachstum die höchste Priorität erhalten, denn wie Björn Lomborg zu Recht festhält, bedeutet mehr Wohlstand und mehr Technologie, dass man auch unter weniger günstigen Umweltbedingungen gut leben kann wie die reichen Golf- und zugleich Wüstenstaaten uns vormachen. Für mich zählen deshalb auch immaterielle Werte und monetär „wertlose“ Dinge wie z.B. die Artenvielfalt und das Fortbestehen von Naturlandschaften als erstrebens- und -erhaltenswert, zumal Verluste in diesen Bereichen nicht mehr wettgemacht werden können und Artenverluste äußerst nachhaltig wirken, allerdings in einer Weise nachhaltig, die wir nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten.
Ich lese zwar viele Worte hier, kann das aber auf ein Wort zusammenfassen:
PLANWIRTSCHAFT
Was unter Nachhaltigkeit verstanden wird ist letztlich Ergebnis eines gesellschaftlichen bzw. politischen Aushandlungsprozesses (und damit zugleich zeitlich und räumlich variabel). So werden neue, aber auch bestehende Technologien von Stakeholdern fortlaufend interpretiert – etwa vor dem Hintergrund grösserer Ziele bzw. Herausforderungen (Klimawandel, Ressourcenschonung, Armutsbekämpfung etc.). Diese Interpretation, engl. framing, hat einen wesentlichen Anteil daran, welche Akzeptanz eine Technologie geniesst.
Die Atomenergie hat hier beispielsweise eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Während sie im Zuge der CO2-/Klimadebatte von ihren Befürwortern gezielt als nachhaltige Technologie (iSv CO2-frei) positioniert wurde und dieses Bild in der öffentlichen Wahrnehmung auch zunehmend akzeptiert war, ist diese Interpretation infolge von Fukushima wieder in den Hintergrund getreten ‚zugunsten‘ der Risiken, die mit der Nutzung der Atomenergie einhergehen.
Was überhaupt Nachhaltigkeit bedeutet, wird im Bereich Transitionsforschung – nimmt man die Research-Papers als Massstab – wenig untersucht. Viele scheinen darunter Solar-/Wind- und Biomasse als Energiequellen, Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs, Verzicht auf Fleisch und Wirtschaftswachstum zu verstehen. Erreicht werden sollen diese Ziele mit Low-Tech wie biologischem Landbau, Verzicht aufs Auto und/oder mit Biotreibstoffen.
Die nachhaltige Zukunft kann aber auch mit Hi-Tech erreicht werden mit dem expliziten Ziel allen 2050 lebenden 9 Milliarden Menschen Wohlstand zu ermöglichen und gleichzeitig den ökologischen Fussabdruck radikal zu verkleinern durch Aufbau einer Kreislaufwirtschaft und Rückzug der Menschen in urbane, sich selbst versorgende Räume. Der Ersatz von Agrikultur durch Nahrung aus hydroponischer Kultur oder gar aus dem Bioreaktor (nahrungsmittelerzeugende Zellkulturen) würde es erlauben riesige Landflächen der Natur zurückzugeben und damit das Artensterben zu stoppen. Es wäre der Übergang zu einer Raumschiffökonomie wo Menschen in ihren städtischen Räumen so unabhängig von ihrer Umgebung leben wie sie es auf dem Mond gezwungenermassen tun müssten.
Eine Kombination von Planung und gerichteter Reaktion auf Transitionen, die schon am Laufen sind, könnte am meisten bringen, wenn es darum geht, Nachhaltigkeit zu erreichen ohne die Kosten ins Uferlose steigen zu lassen.
Beispiel: 40% aller konsumierten Fische werden heute schon in Aquakulturen gewonnen. Ohne Aquakultur wären die Meere schon bald ausgefischt. Aber auch mit Aquakultur besteht diese Gefahr, denn die Fischerei auf offenen Gewässern geht weiter und wächst ebenfalls. Die richtige Antwort wäre eine zunehmende Einschränkung des Fischens von Wildbeständen bei gleichzeitiger Verbesserung der Umweltstandards bei Aquakulturen (Geschlossene Kreislaufsysteme, Aquaponik).
Sehr geehrter Herr Dr. Markard,
Die historischen Transitionen im Bereich Verkehr und Energie wurden von technischen Entwicklungen angestossen und brachten den „Early Adopters“ von Beginn weg Vorteile. Die ersten Eisenbahnen oder Automobile hatten also sofort auch erste Kunden.
Die Transition zu einer nachhaltigeren Wirtschaft/Gesellschaft scheinen dagegen von ökologischen Zielvorstellungen getrieben und weniger von existierenden wirtschaftlichen Kräften. Damit besteht die Gefahr, dass man mit der „Nachhaltigkeit“ Ziele anstrebt, die den wirtschaftlichen Kräften entgegenwirken. Das erklärt die auch heute immer noch beobachtete Opposition vieler Ökonomen und Industrieller gegen solche Bestrebungen. Aktuell wird z.B. behauptet, der Shale-Gas-Boom in den USA versorge die US-Wirtschaft mit billiger Energie und verschaffe ihr einen Kosten- und Wettbewerbsvorteil, den man nicht ignorieren könne.
Dieses Problem sprechen sie unter dem Kapitel „Gesellschaftlicher Umbruch“ schon mit dem Einleitungssatz an (Zitat)„Konsumenten sind mitunter nicht bereit, höhere Strompreise zu bezahlen oder auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen ..“
Mir scheint es offensichtlich, dass Ökonomie und Nachhaltigkeit nicht in fundamentaler Opposition zueinander stehen können. Wie aber kann es eine Versöhnung, eine Konvergenz von Ökonomie und Ökologie geben? Einen Hinweis gibt der Satz: „Eine weitere Herausforderung für die Forschung ist es, die Grenzen des Vorhersagbaren und Beeinflussbaren anzuerkennen.“
Möglicherweise könnte ein evolutiver Ansatz hier hilfreich sein. In der biologischen Evolution eröffnen Mutationen neue Zukunftsmöglichkeiten und sie werden dann durch Selektion „realisiert“. Ebenso sollte die Gesellschaft auf neue kostengünstige technische und ökologische Möglichkeiten schneller reagieren. Eigenwirtschaftliche Photovoltaik in südlichen Regionen sollte z.B. global mittels Global-Grid global genutzt werden.
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