Energiewende: Nützt das Engagement von Bürgern?
18.06.2013 von
Die Themen aus dem Bereich Nachhaltigkeit haben das Potential, Bürgerinnen und Bürger zu mobilisieren. So haben sich in den letzten zwanzig Jahren in fast allen europäischen Ländern Grüne Parteien etabliert. Daneben bestehen viele lokale und regionale Bürgerinitiativen, deren Mitglieder sich enthusiastisch für eine bessere Zukunft einsetzen. Können diese Initiativen überhaupt eine ernste Rolle spielen in der anstehenden Energiewende? Oder handelt es sich eher um Beschäftigungstherapien für verängstigte Sozialromantiker und Bildungsbürger?
Der Aufstieg Deutschlands zum weltweit grössten Photovoltaikmarkt bietet einige wichtige Einsichten (siehe Graphik). Spontan wird meist die Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 als Grund für die rasante Marktentwicklung genannt. In der Folge wuchs unter anderem die einheimische Photovoltaikindustrie, was zu einem Abschöpfen von Lerneffekten mit entsprechenden Preisreduktionen führte (siehe auch Blogbeitrag von Prof. Ragaller «Steht ein Durchbruch der Photovoltaik bevor?»). Wie war es möglich, dass ein solch umfangreiches Förderinstrument mehrheitsfähig wurde, welches eine wichtige Vorbedingung für die Energiewende geschaffen hat?

Entwicklung des deutschen Photovoltaik-Marktes im Vergleich mit den USA, Spanien und Japan – kumulierte installierte Kapazität (MW, 1992-2009), logarithmische Skala (aus Dewald und Truffer, 2012)
Bürgerinitiativen leisteten entscheidende Beiträge
Die Untersuchung der frühen Marktentstehungsprozesse in Deutschland zeigt, dass sogenannte Solarbürgerinitiativen (SBI) entscheidende Beiträge leisteten1. Etwa 300 SBI etablierten sich ab Anfang der neunziger Jahre im ganzen Bundesgebiet. Jede Initiative beschränkte ihren Wirkbereich fast ausschliesslich auf ihr lokales oder regionales Umfeld.
Diese Bewegungen begegneten zu Beginn oft grossen Widerständen. Weder das lokale Gewerbe noch die lokale Politik reagierten positiv auf die neuen Ideen. Deshalb übernahmen die Vereinsmitglieder zu Beginn eine ganze Reihe von Aufgaben, die klassischerweise von einem«Markt» zur Verfügung gestellt werden: die Integration von Photovoltaikpannels in montierbare Systeme, die Montage und den Unterhalt von Anlagen, die Bildung von Einkaufsgemeinschaften, die Bereitstellung von Service- und Beratungsleistungen für die frühen Kunden und so weiter.
Lokale Wertschöpfung und Schaffung von Arbeitsplätzen
Mit wachsendem Absatz konnten die SBI die lokalen Gewerbe schrittweise davon überzeugen, mitzumachen, was zu einer Professionalisierung des Angebots, zu lokaler Wertschöpfung und der Schaffung von Arbeitsplätzen führte.
Daneben waren die SBI zentral an der Entwicklung neuer Förderstrukturen beteiligt. Der nationale Einspeisetarif konnte nicht zuletzt auf Erfahrungen dieser kommunalen Initiativen aufgebaut werden.
Mit den SBI wurde auf lokaler Ebene ein grosser Teil der Innovation bestritten, die den Boden für das Erneuerbare-Energien-Gesetz vorbereiteten. Lobbying von Bürgerinitiativen und politischen Parteien für ein nationales Einspeisegesetzt hätten – ohne den Verweis auf die erfolgreichen lokalen Initiativen – kaum Früchte tragen können2.
Energiewende: Bürger sind potenziell wichtige Pfeiler
Bürgerinitiativen können zentrale Akteure in der Ausgestaltung „sozio-technischer“ Transformationsprozesse sein. Es gibt in der Literatur verschiedene Beispiele, die dies beweisen (eine ganze Reihe von Fallstudien werden in der aktuell in Zürich stattfindenden «International Sustainability Transitions Conference» präsentiert).
Nicht zulässig ist der Umkehrschluss, dass jede Vereinigung von Privatpersonen automatisch jeder neuen Technologie zum Durchbruch verhelfen kann. Engagierte Bürgerinnen und Bürgern sollten jedoch als wichtige Pfeiler der anstehenden Energiewende in Betracht gezogen werden.
1 Dewald, U. Truffer, B. 2012. The Local Sources of Market Formation: explaining regional growth differentials in German photovoltaic markets. European Planning Studies 20 (3), 397-420.
2 Jacobsson, S. & Lauber, V. (2006) The politics and policy of energy system transformation – explaining the German diffusion of renewable energy technology, Energy Policy, 34(3), pp. 256-276.
Zum AutorBernhard Truffer ist Leiter der Abteilung Umweltsozialwissenschaften an der Eawag, dem Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs, und Titularprofessor am Geographischen Institut der Universität Bern.
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Bürgerbewegungen waren wohl nur ein Anstoss für die Entwicklung der Photovoltaik, die schon bald eine kaum noch prognostizierbare Eigendynamik entwickelte und auf einen ähnlichen exponentiellen Pfad einschwenkte auf dem sich Halbleitertechnik seit den späten 1970er befindet. Bürgerbewegungen bildeten quasi den ökonomischen und sozialen Treibstoff für die Zündung der ersten Stufe. Die zweite weit stärkere Stufe wurde von den Einspeisevergütungen angetrieben und bald schon wird die dritte Stufe gezündet werden, deren ökonomische Triebfedern die Eigenwirtschaftlichkeit in den sonnenbegünstigten Zonen (Spanien, Italien, Kalifornien) dieses Planeten sein wird.
Diese rasante Entwicklung der PV wurde von kaum jemanden antizipiert und führte beispielsweise zu Überraschungen wie dem Zusammenbruch der PV-Industrie im ehemaligen Vorreiterland Deutschland, weil diese ökonomisch nicht mehr mithalten konnten. Momentan gibt es eine Überproduktion an PV-Paneln, schon bald aber wird es auch in vielen Ländern zur Überproduktion an Strom über den Mittag kommen, die zuerst nur mit Trennung der Anlagen vom Netz und erst viel später mit Stromtransport über grosse Distanzen bewältigt werden kann. Die PV-Entwicklung überflügelt also die nötige Entwicklung der dazugehörigen Netze und Speicher.
Das exponentielle Wachstum der PV-Industrie sollte meiner Meinung auch Grund für ein Studium dieses Phänomens sein und Wissenschaftler, Techniker und Geisteswissenschaftler fragen lassen
1) wie man es anstellen muss, um auch andere Techniken und Industrien auf einen solchen raschen Wachstumspfad zu befördern
2) wie man auf solche Wachstumsimpulse am besten reagiert
3) wie das Verhältnis von Technik, Ökonomie und Politik zu justieren ist um solche Entwicklungen insgesamt zum Erfolg zu machen
Glaubt denn wirklich irgendjemand, dass ohne das EEG irgendeiner auf die Idee gekommen wäre, in „Solarstrom“ zu investieren. Das sind ja wohl nicht irgendwelche „engagierten Bürger“, die der „Energiewende zum Durchbruch verhelfen“ (die können i.Ü. die Physik auch nicht ändern) sondern vielmehr eine ganze Menge Schlauberger, die auf Kosten aller Stromkunden sich an der Einspeisevergütung eine goldene Nase verdienen.
Das Engagement von detschen Bürgern hat vielleicht wirklich den Solarboom angestossen, zuerst über die Ausbildung von Solarbürgerinitiativen, dann über das in Deutschland 1991 eingeführte System der Einspeisevergütung, welches den PV-Markt nationalisierte und über die Offenheit gegenüber dem Technologieanbieter sogar globalisierte. Die Übernahme einer Einspeisevergütung in 15 EU-Ländern weitete den Markt dann sehr stark aus und gab ihm eine Eigendynamik, welche zu der heute beobachteten Arbeitsteilung – China als Modulhersteller, PV-Einspeiseländer als Konsumenten und Serviceanbieter – führte. Solche eine Arbeitsteilung ist typisch für einen globalisierten, fortgeschrittenen Markt, wenn es auch selten vorkommt, dass nur noch ein Land als Hersteller übrigbleibt.
Die Höhe der Einspeisevergütung war stark vom politischen System abhängig. In Ländern wie Spanien, Tschechien und Griechenland war sie deutlich höher als in Deutschland trotz teils besseren Solarerträgen. Die Folge war ein Boom & Bust: Spanien kastrierte die Einspeisevergütung 2008 und strich sie vollständig 2011 (teilweise rückwirkend), die Tschechei will sie 2014 streichen und Griechenland gab gerade bekannt, sie ab dem 1.6.2013 um 40% zu streichen.
Unter dubiosen politischen Verhältnissen (Spanien, Griechenland) gab es also ein Rent-seeking.
Insgesamt kamen Einspeisevergütungen einem gewaltigen Anstoss gleich mit positiver Wirkung auf Fortschritte in der Basistechnologie. Andererseits hinken Netz und Speichertechnologien immer noch hinterher.
Insgesamt können Bürgerinitiativen dezentral einsetzbaren Technologien einen gewaltigen Schub geben während sie die landesweite Planung eher erschweren und über das NYMBY-Syndrom sogar als Bremse wirken.
@ Ben Palmer und Peter Bühler
Nach einer Investitions-Manie in Eisenbahnfirmen um 1840 in England erfolgte 1847 ein Kollaps, die Firmen verloren 85% ihres Werts, Banken mussten schliessen, ganz England geriet an den Rand eines Zusammenbruchs. Der Siegeszug der Eisenbahnen setzte sich dennoch ungebrochen fort. Solche Crashs bei neuen Technologien sind keineswegs selten und sicher kein Indiz für deren Untauglichkeit sondern die Folge eines Kampfs um Marktpositionen gerade weil sie besonders erfolgversprechend sind.
Bei den Erneuerbaren Energien wird zur Zeit zwischen EU,China und USA heftig um zukünftige Marktpositionen gerungen. Trotz Überkapazitäten, Firmenkonsolidierungen und Pleiten kann von einem vergleichbaren Kollaps keine Rede sein. Das Investitionsvolumen 2012 betrug 244 Mrd USD. Der Schwerpunkt hat sich letztes Jahr mit 46 % hin zu den Entwicklungsländern verschoben, alle Kontinente investieren mit hohen Wachstumsraten, siehe http://www.ren21.net/REN21Activities/GlobalStatusReport.aspx
„Der Aufstieg Deutschlands zum weltweit grössten Photovoltaikmarkt bietet einige wichtige Einsichten“
Und der freie Fall des deutschen Photovoltaikmarkts gewährt den Einblick in ein bodenloses Finanzdebakel.
„Kapitalverlust von mehr als 21 Milliarden Euro
Im Vergleich zu dem, was Anleger mit Investments in Solaraktien in den Sand setzten, sind das freilich fast vernachlässigbare Beträge. Die einstigen Börsenstars Solarworld und Q-Cells haben teilweise zweistellige Milliardenbeträge an Kapital vernichtet. Im Dezember 2007 galt der im ostdeutschen Solar Valley ansässige Zell- und Modulhersteller Q-Cells mit einem Börsenwert von mehr als 11 Milliarden Euro noch als Anwärter für einen Aufstieg in die erste Börsenliga. Daraus wurde bekanntlich nichts.“
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/solarenergie-die-sonne-schickt-doch-eine-rechnung-12225036.html
Herr Prof. Truffer, ich möchte gern wissen, woraus Sie Ihren Optimismus schöpfen. Kann es sein, dass die ETH die Realität nicht mitbekommt?
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