Die ETH kann zur Pionierin für Nachhaltigkeit werden
20.12.2012 von
Die Ziele sind hoch gesteckt, die Voraussetzungen nicht gerade optimal. Trotz des steinigen Wegs besteht aber Hoffnung, denn: «Die ETH Zürich ist nicht nur eine international führende Forschungs- und Lehrinstitution, sie will auch massgeblich zur Lösung unserer dringendsten gesellschaftlichen Probleme beitragen», so Ralph Eichler, der Präsident der ETH Zürich. Sein Wort in Gottes Ohr! Gesagt, aber so einfach getan?
Der international hervorragende Ruf der ETH beruht hauptsächlich auf disziplinären Erfolgen ihrer Forscherinnen und Forscher. Was kann nun eine solche Hochschule unternehmen, um massgeblich zur Lösung dringender Probleme wie Klimawandel, Energiewende, Welternährung, Wassermangel, Ressourcenknappheit, Biodiversitätsverlust oder urbane Entwicklungen beitragen? Komplexe «Nachhaltigkeitsthemen», die eng miteinander verknüpft sind und deren Bearbeitung inter- und transdisziplinäre1 Zusammenarbeit verlangt. Und dies in einer Zeit in der niemand Zeit hat. Ausserdem in einem internationalen akademischen Umfeld, das immer noch all jene abstraft, die sich nicht primär selbst optimieren. Ein Umfeld ebenso, das mit unsinnigen Rankings dafür sorgt, dass Spitzenhochschulen dazu verdammt zu sein scheinen, dem ausser Kontrolle geratenen Publikations- und Zitationswahnsinn weiterhin Vorschub zu leisten. Die wahre Herausforderung liegt darin, sich nicht nur dagegen aufzulehnen, sondern aktiv gegen solche fatalen Fehlentwicklungen anzugehen.
Inter- und Transdiszplinarität bedingen Kulturwandel
Inter- und Transdisziplinarität können nicht «befohlen» werden, und schon gar nicht in einer Hochschulgemeinschaft, deren Mitglieder nach primär disziplinären Kriterien ausgewählt und in entsprechende Strukturen eingebettet worden sind. Es wäre auch verhängnisvoll, die disziplinäre (Grundlagen-)Forschung abzuwerten. Aber es muss verstärkt eine effektiv motivierende «Ermöglichungskultur» und eine höhere Wertschätzung für inter- und transdisziplinäre Forschung und Ausbildung geschaffen werden. Auch müssen Transferleistungen in die Gesellschaft viel besser honoriert werden. Und: Ganzheitliches Denken und nachhaltiges Handeln müssen ein integraler Teil der Hochschulkultur werden. Solche Forderungen ziehen unweigerlich tiefgreifende Veränderungen nach sich, die nicht einfach durch die Gründung von ein paar lockeren, schwach finanzierten Kompetenzzentren oder Netzwerken rasch herbeigeführt werden können. Andere Spitzenuniversitäten wie beispielsweise Harvard, MIT, Columbia, Princeton, Carnegy Mellon oder Stanford haben dies schon vor Jahren erkannt. Sie haben aufwendige strukturelle, bauliche und kulturelle Massnahmen getroffen, um die themenorientierte Zusammenarbeit von Forschenden aus den Ingenieur-, Natur, Sozial- und Geisteswissenschaften zu fördern, und den Dialog mit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu stärken.
Enormes Potenzial an der ETH
Auch die ETH Zürich hat in dieser Beziehung nicht geschlafen. In ihrer strategischen Planung 2012-2016 hat die Hochschule die nachhaltige Entwicklung unter dem Begriff «Nachhaltige Welten» als einen ihrer zukünftigen Schwerpunkte festgelegt. Mit ETH Sustainability wurde zudem eine Koordinationsstelle geschaffen, die im direkten Auftrag des Präsidenten departements- und zentrenübergreifende Aktivitäten im Nachhaltigkeitsbereich tatkräftig unterstützt. Damit ist jedoch nur ein erster Schritt getan. Die Leitung der ETH ist daher aufgerufen, den eingeschlagenen Weg mutig und konsequent weiterzugehen. Angesichts ihres enormen Potenzials könnte die ETH auch im Nachhaltigkeitsbereich international eine Vorreiterrolle spielen und der Gesellschaft so noch stärker dienen.
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1 Transdisziplinäre Forschung hat zum Ziel, Wissen für Lösungen komplexer gesellschaftlicher Probleme zu erarbeiten. Sie orientiert sich dabei am Gemeinwohl. Um die Komplexität eines Problems erfassen zu können, verbindet die transdisziplinäre Forschung verschiedene Aspekte eines Problems: dessen Entstehung und Entwicklung, die anzustrebenden Ziele sowie die geeigneten Massnahmen zu dessen Lösung. Berücksichtigt werden dabei unterschiedliche Sichtweisen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen sowie verschiedener Akteure und Betroffener in der Gesellschaft.
Zum AutorRené Schwarzenbach ist emeritierter Professor für Umweltchemie. Gegenwärtig ist er Delegierter für Nachhaltigkeit der ETH Zürich.
Kommentare (2) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen
Sehr geehrter Herr Prof. Schwarzenbach
Ein wunderbarer Artikel, der mir ebenfalls aus dem Herzen spricht. Dafür danke ich Ihnen!
Seit 20 Jahren beschäftige ich mich mit Transdisziplinarität, Vernetztheit und Biokybernetik (Vester). Und heute als 42jähriger habe ich immer noch das Gefühl, dass wir nur wenige Schritte in diese Richtung vorgenommen haben und im Umgang mit komplexen Systemen immer noch unbedarft sind.
Ihre Anregungen an den Hochschulen durch architektonische Massnahmen und insbesondere der „Ermöglichungskultur“ begrüsse ich sehr. Eigentlich sollte es zum Standard werden, dass Bachelor und MBA und Doktorarbeiten auch Wissen fremder Disziplinen einfliessen lassen und die Zusammenhänge und Wirkungskreise berücksichtigen. Systemisches Gedankengut würden jede Fachdisziplin befruchten und öffnen. Stattdessen werden immer neue Spezial- und Unterdisziplinen gegründet und abgegrenzt.
Bei meiner berufsbegleitenden MBA-Arbeit war ich in der glücklichen Lage, mit Prof. Dr. Dietmar Treichel vom Institut für Kommunikation und Führung IKF in Luzern einen Professor mit bemerkenswertem transdisziplinärem und systemischen Verständnis gefunden zu haben.
Im Sinne einer wirklichen Nachhaltigkeit ist der beschriebene Kulturwandel fundamental. Die Bewusstseins- und Verhaltensänderung bei Top-Universitäten wird auf Berufschulen, Grundschulen und international ausstrahlen. Ebenfalls werden Wirtschaft und Politik, die sich heute auch eher abgrenzen statt verknüpfen, beeinflusst. Gelingt dies der ETH, die als technische Hochburg bekannt ist, so entstünde ein wunderbarer, global ausstrahlender Leuchtturm.
Für Ihr Engagement für diesen Paradigmenwechsel möchte ich mich bei Ihnen, Herr Schwarzenbach, herzlich bedanken.
Lieber René,
Danke für diesen Beitrag! Er spricht mir aus dem Herzen. Das Bild aus der Sicht der jüngeren Generation sieht stellt sich sehr ähnlich dar:
Damit die Umstellung auf inter/transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung dauerhaft erfolgreich sein kann, braucht es auch entsprechende Ausbildungsprogramme die langfristig die dazu nötigen Fähigkeiten bereitstellen. Während dies an dem D-USYS auf Bachelor/Master eben existiert, besteht weiterhin eine Lücke auf PhD Ebene.
Aus meiner täglichen Praxis als PhD Student mit starkem Bezug zur Umsetzung im Nachhaltigkeitsbereich kann nur bestätigen, dass die offiziellen Strukturen es eher bestrafen als belohnen wenn das primäre Ziel „Problemlösen“ ist und nicht rein disziplinäre Publikation.
Dank der Unterstützung einzelner Personen in Professorenposition wie z.B. Prof. Stefanie Engel ist es zwar bereits heute möglich als Doktorant transdisziplinär zu arbeiten – Aufgrund der offiziellen Vorgaben bezüglich Publikationen jedoch nur, wenn die Arbeit mit Praxispartnern ZUSÄTZLICH zu dem regularen Doktorat umgesetzt wird. Mein Leben wäre demnach heute sehr viel einfacher wenn ich bereit wäre auf den Praxisbezug zu verzichten.
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