Gehört und gesehen am UN-Klimagipfel
12.12.2012 von
Im Plenum hielten die «Excellencies» ihre Ansprachen, während in den Verhandlungsräumen die Delegationen um Wörter und Paragrafen rangen. Die philippinische Ministerin1 stellte am zweitletzten Tag der Konferenz lakonisch fest: «Die Reden hier im Saal und die Dokumente, die rundherum erarbeitet werden, passen nicht wirklich zusammen!»
Die Ministerin hatte die Situation auf den Punkt gebracht, wie ich selber feststellen konnte. Ich war als Wirtschaftsvertreterin in der Schweizer Delegation am UN-Klimagipfel dabei und habe in den Verhandlungssälen, beim Kaffee und in den Gängen viel diskutiert und gut zugehört.
Grosse Ambitionen und rote Linien
In der Tat beriefen sich die hochrangigen Abgesandten im Plenarsaal gerne und fulminant auf die Wissenschaft. Das 2-Grad-Ziel müsse eingehalten werden. Gar für ein 1.5-Grad-Ziel plädierten Vertreter besonders betroffener Regionen wie zum Beispiel der Gruppe der kleinen Inselstaaten AOSIS. «Ambition» hiess das Schlagwort; gemeint war damit die Deklaration eines hohen Ziels. Ehrgeiz wurde von den jeweils andern gefordert und manchmal auch bei sich selber versprochen.
In den Verhandlungsgruppen, in denen das Regelwerk für eine globale Klimapolitik ausdiskutiert wurde, war davon herzlich wenig zu spüren. Hier wurden die ewig gleichen Positionen verbissen verteidigt. «Red lines» wurden gezogen, «common ground» vergeblich beschworen. Wenn überhaupt, gab es nur kleine Fort-, aber leider auch Rückschrittchen. Für die zweite Kyoto-Verpflichtungsperiode haben sich gerade mal die EU und weitere zehn Industriestaaten (darunter die Schweiz) verbindliche Ziele gesetzt; zusammen stossen diese Staaten nur etwa einen Achtel der globalen Emissionen aus. Und die Zusagen dieser Länder sind zu tief, um auch nur ihren Anteil für die Einhaltung des 2-Grad-Ziels zu gewähren. Und trotzdem: Es ist ein Glück, dass der Prozess weitergeführt werden kann, so haben wir die Chance, es besser zu machen – ein Abbruch wäre fatal gewesen.
Eine detailliertere Zusammenstellung der Resultate des UN-Klimagipfels hat Thomas Bernauer bereits in einem Blogbeitrag beschrieben.
Das Budget ist bald aufgebraucht
Wollen wir die Erwärmung unter zwei Grad halten, muss ein grosser Teil der Vorräte an fossiler Energie im Boden bleiben. So wurde es schon mehrfach in diesem Blog postuliert, entsprechend dem WBGU-Ansatz. Die verfügbare Menge CO₂ bis 2050 beträgt 650 Milliarden Tonnen. Halten wir uns daran, können wir mit 75-prozentiger Wahrscheinlichkeit das 2-Grad-Ziel einhalten. Wenn wir hingegen die Emissionen weiterhin auf dem heutigen Niveau halten, reicht die erlaubte CO₂-Menge nur noch für 20 Jahre; danach dürfte es keinen CO₂-Ausstoss mehr geben, falls wir das 2-Grad-Ziel einhalten wollen.
Die saudische Lösung
Am Rande der Konferenz machte eine Idee aus Saudi Arabien die Runde:
Die Lösung heisse Carbon Capture and Storage (CCS, die Abscheidung von CO₂ und Speicherung im Boden). Da die Technologie noch nicht einsatzbereit sei, schlagen die Saudis als Brückenlösung erneuerbare Energien und Effizienz vor. Schliesslich, wenn CCS breit eingesetzt werden könne, sollen wir wieder zur billigen und dank CCS dann umweltfreundlichen fossilen Energie greifen. Und wenn die fossilen Energiereserven schliesslich eines Tages aufgebraucht sind? Dann werde man auf die altbewährten Techniken der erneuerbaren Energien zurückgreifen.
Galgenhumor?
Für Länder, die besonders verwundbar sind, muss die Konferenz ein grausames Erlebnis gewesen sein. Vertreter der pazifischen Insel Tuwalu haben zwei Pinguine als Symbole ihrer Situation nach Doha gebracht. Der eine hatte sich aus Verzweiflung erhängt, der andere hatte sein Federkleid abgelegt, weil es ihm zu heiss wurde.
Trotz allem: Dank der Weiterführung des Kyoto-Protokolls stehen die Türen weiterhin offen – nutzen wir doch die nächsten Klimagipfel dazu, das Nötige einzuleiten. Shukran!2
1 H.E. Ms. Mary Ann Limpot Sering, Vice-Chairperson and Executive Director of the Climate Change Commission
2 Arabisch für «Danke»
Zur AutorinGastautorin Gabi Hildesheimer ist Geschäftsführerin von Öbu, dem Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften.
Kommentare (7) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen
@ Prof. Ragaller
Sie verteilen hier Zensuren („krasser Fehler“, „Verwechslung“, „unzulässige Schlussfolgerungen“) und zitieren einen NZZ-Artikel, der sich auf eine Arbeit stützt, die in mehr als einer Hinsicht fragwürdig ist. Ein Konvolut von mit unterschiedlichen Methoden erhobenen Satellitendaten, deren divergierende Ergebnisse irgendwie gewichtet und gemittelt zu einem angeblich glaubwürdigen Gesamtergebnis verwurstet werden.
Von den technischen Problemen der Messverfahren zu schweigen, die Sie nicht weiter interessieren, wenn nur am Ende das gewünschte Resultat erscheint.
Es ist interessant, wie von der vorherrschenden Doktrin abweichende Resultate und Auffassungen gleich mit Invektiven bedacht werden, egal, wie begründet sie sein mögen. Wissenschaft scheint sich nur in eine Richtung zu bewegen.
Dass das Beharren auf vorgefassten Standpunkten und unwiderruflichen Gewissheiten kaum die geeignete Form einer Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Fragestellungen bildet, sei angefügt.
Dem letzten Abschnitt Ihres Kommentars ist hinsichtlich der „aufheizenden Wirkung von CO2“ und dem „Anstieg des Meresspiegels“ nicht zu widersprechen. Beides ist im Prinzip unbestritten.
Die grosse, offene Frage dreht sich darum, wie alarmierend diese beobachteten Entwicklungen sind, und wie bedeutend der menschliche bzw. der natürliche Anteil daran an ist. Nachdem die „Globale Erwärmung“ bei gleichzeitig deutlich angestiegenen menschlichen CO2-Emissionen seit 16 Jahren stagniert, scheint eine Revision der AGW-Hypothese angezeigt.
Zunahme von Wetterextremen: dafür gibt es selbst laut IPCC keinen wissenschaftlichen Nachweis. Sichten Sie bitte die Originalarbeiten.
@ Peter Bühler
Auf meinen Hinweis auf Ihren krassen Fehler nämlich der Verwechslung von Akkumulationsrate und Massenbilanz der Eisschilde reagieren Sie mit dem Zitieren anderer Arbeiten, aus denen Sie wiederum unzulässige Schlussfolgerungen ableiten. Die verschiedenen Messmethoden der antarktischen Eismasse haben unterschiedliche Messunsicherheiten, innerhalb dieser Fehlerbalken führte das in den letzten 20 Jahren tatsächlich zu einer Unsicherheit, ob die Eismasse zu- oder abnimmt. In der Arbeit http://www.sciencemag.org/content/338/6111/1183.abstract haben die Experten (auch die von Ihnen zitierten Autoren nahmen daran teil) ihre verschiedenen Methoden kombiniert und damit den Unsicherheitsbereich eingrenzen können. Mit dem Ergebnis, dass auch die Antarktis Eismasse verliert, für Grönland ist das sowieso völlig unbestritten.
Mit Originalarbeiten von Klimaforschern werden Sie den Gegenbeweis für so sorgfältig und mehrfach abgesicherte Ergebnisse wie die aufheizende Wirkung des CO2, die bereits erfolgte und weiter ansteigende Erwärmung der Erdoberfläche, der Anstieg des Meeresspiegels, die Zunahme von Wetterextremen usw. nicht erbringen können.
@ Prof. Ragaller
Danke für den Link.
Die Ergebnisse der dort zitierten Arbeit überzeugen aus mehreren Gründen nicht.
Was die Antarktis anbelangt: „MASS GAINS of the Antarctic Ice Sheet EXCEED LOSSES“ und „The net gain (86 Gt/yr) over the West Antarctic (WA) and East Antarctic ice sheets (WA and EA) is essentially unchanged from revised results for 1992 to 2001 from ERS radar altimetry.
http://ntrs.nasa.gov/search.jsp?R=20120013495
Lesen Sie bitte dazu auch die folgende Arbeit, Zitat: „As a consequence, past studies have overestimated the contemporary GIA signal, resulting in a SYSTEMATIC OVERESTIMATE OF ICE-MASS LOSS inferred from GRACE observations and bringing into question the conclusion that consensus has been reached with independent mass-balance approaches“
http://www.nature.com/nature/journal/v491/n7425/full/nature11621.html
Die in der NZZ präsentierte Arbeit leidet exakt unter den oben beschriebenen Mängeln, abgesehen davon, dass sie einen relativ kurzen Zeitraum abdeckt.
Zu Grönland ergänzend die folgende Arbeit …
„Für Länder, die besonders verwundbar sind, muss die Konferenz ein grausames Erlebnis gewesen sein. Vertreter der pazifischen Insel Tuwalu haben zwei Pinguine als Symbole ihrer Situation nach Doha gebracht.“
Pinguine auf Tuvalu sind seit langem ausgestorben. Zur Zeit herrschen dort Temperaturen von 30°C. Das ist ganze ist ein billiges Schauspiel. Umso mehr als Tuvalu fliegende Touristen in Scharen anlockt, um Geld damit zu verdienen. Das ist wirklich ein armseliges Kabarett, das da veranstaltet wurde.
Aus einer Pressemeldung:
„Tuvalu, predicted by IPCC in 2009 as the first country to be submerged as the issue of sea level rise is getting intensified, has gathered the animal delegates to join this year’s climate conference in Doha through the collaboration with the Taiwanese artist, Vincent J.F. Huang.“
Wo ist die Studie, die diese Vorhersage gemacht hat?
http://nofrakkingconsensus.com/2012/12/13/tuvalus-gruesome-animal-friends/
@ Peter Bühler
Die Eisschilde von Grönland und der Antarktis schmelzen und zwar beschleunigt, z.B. http://www.nzz.ch/wissen/wissenschaft/beschleunigte-schmelze-in-groenland-und-in-der-antarktis-1.17866250
Die von Ihnen zitierte Arbeit, aus der Sie das Gegenteil ableiten wollen, befasst sich ausschliesslich mit der Akkumulation, also dem Zuwachs infolge von Niederschlägen. Für die Netto-Massenbilanz ist die Differenz von Akkumulation und Gletscher-Abfluss massgebend und diese ist negativ.
Wenn nicht gerade der Eisbär ertrinkt, dann folgt Kitschbild N°2: das angeblich untergehende Tuvalu.
Die realen Beobachtungen geben zwar zu keinen Befürchtungen Anlass, im Gegenteil, aber was wäre ein Klimaschutz-Beitrag ohne Katastrophenszenario – selbst wenn die Inseln in Wirklichkeit WACHSEN: „Islands are geomorphologically persistent features on atoll reef platforms and can increase in island area despite sea level change“ …
http://www.newscientist.com/article/mg20627633.700-shapeshifting-islands-defy-sealevel-rise.html
http://tvnz.co.nz/national-news/nz-research-shows-pacific-islands-not-shrinking-3577883
Die wahren Probleme Tuvalus liegen denn auch auf ganz anderem Gebiet, aber es lohnt sich für die Regierung durchaus, an das schlechte Gewissen geldgebender Nationen zu appellieren …
Der Anstieg der Meerespegel, eine natürliche Erscheinung während eines Interglazials, hat sich in den letzten Jahren verlangsamt …
Auch die Temperaturen geben wenig Anlass zu Besorgtheit …
http://jonova.s3.amazonaws.com/guest/evans-david/1990-prediction-v-satellite-ipcc.gif
Das antarktische und das grönländische Festlandeis gewinnen an Masse …
http://journals.ametsoc.org/doi/abs/10.1175/JCLI-D-12-00373.1?af=R&&
Immerhin bauen die Tuvalianer nicht ein Ferienresort ums andere, wie das die Malediver tun, aber auch sie ziehen gleichzeitig und berechnend über den „Klimawandel“ her, den angeblich die Länder verursachen, aus denen die gut zahlenden Gäste mehrheitlich stammen. Doppelstrategie = Doppeleinkommen.
Zu den „besonders verwundbaren“ Ländern zählt unter den gegebenen Umständen in doppelter Hinsicht die Schweiz: a) wegen ihrer exponierten Lage (Alpen) und b) wegen ihrer verlockenden Finanzkraft und ihres grünseligen Entgegenkommens in beinahe allen Belangen.
Die Diskrepanz zwischen Ambition als Geisteshaltung und Deklamation und der durch Zusagen bewiesenen Handlungsbereitschaft überrascht nicht. Das gehört zu multilateraler Politik und Diplomatie.
Überraschend ist dagegen: In den bis anhin 18 Klimakonferenzen von 1995 (COP1) bis 2012 (COP-18) lässt sich kein wirklicher Fortschritt feststellen. Ein Fortschritt wäre es, wenn es immer mehr Staaten gäbe, die ihre CO2-Emissionen senken wollen und dies auch tun. Statt dessen sind die reduktionswilligen Staaten die immer Gleichen oder sie nehmen sogar ab (wie die zehn kleinen Negerlein, von denen am Schluss keines übrigblieb). Weil es Austritte gab, aber auch weil die abseitsstehenden Staaten immer mehr CO2 ausstossen, sind die Verbleibenden inzwischen nur noch für 13% des weltweiten CO2-Austosses verantwortlich.
Vorerst geht es so weiter. Sollten China und Indien sich aber nicht auch verpflichten ab 2020 ihre Emissionen zu kontrollieren, dann wäre es wohl um die Klimakonferenzen geschehen. Die prinzipielle Zusage dieser Länder zum späteren Mitmachen ist wohl der letzte Hoffnungsschimmer.
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