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Schweiz: Wirtschaftlicher Erfolg trotz ehrgeizigem Klimaziel ist möglich

29.11.2012 von

Kann sich die Schweiz eine ambitionierte Klimapolitik leisten? Wie beeinflusst ein Emissionsreduktionsziel die Position der verschiedenen Branchen im internationalen Wettbewerb? Werden energieintensive Sektoren zurückgedrängt durch Veränderungen in der Struktur der Wirtschaft? Können andere Branchen gar profitieren? Diese Fragen stehen im Zentrum der Diskussionen um die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von klimapolitischen Massnahmen. Antworten gibt der neue OcCC-Bericht.

Die Schweiz hat sich in der revidierten CO₂-Gesetzgebung ein Reduktionsziel von minus 20 Prozent bis zum Jahr 2020 (gegenüber 1990) gesetzt. Mittel- bis langfristig werden die Emissionen weiter substanziell gesenkt werden müssen, damit global das Zwei-Grad-Celsius-Ziel erreichbar wird. Dabei sind griffige und effektive Politikmassnahmen notwendig, die die nötigen Anreize zur Emissionsminderung setzen. Wie wirken sich Klimapolitische Massnahmen auf die Ökonomie aus?

Dank Modellen die komplexen Zusammenhänge verstehen

Die Untersuchung der mittel- bis langfristigen ökonomischen Auswirkungen klimapolitischer Eingriffe erfolgt typischerweise mit quantitativen Simulationsmodellen. Solche Modelle bilden die Produktionsstrukturen ab, sowie die Güterflüsse zwischen den einzelnen Sektoren und die Verflechtungen mit dem Ausland. Auch technologische Weiterentwicklungen können berücksichtigt werden, wodurch Forscher die Effekte politischer Massnahmen umfassend und simultan analysieren können. Wichtig sind diese Modelle insbesondere, weil sie komplexe Zusammenhänge konsistent abbilden.

Wie wirken sich klimapolitische Eingriffe auf die Schweizer Ökonomie aus?

Für die Schweiz liegen verschiedene Untersuchungen vor zu den ökonomischen Auswirkungen klimapolitischer Eingriffe. Bei den meisten Studien liegt der Fokus auf dem Zeitraum bis zum Jahr 2020 und dem bereits erwähnten Reduktionsziel von minus 20 Prozent. Als Politikinstrument dient in der Regel eine CO₂-Abgabe, die auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe erhoben wird. Die Ergebnisse der verschiedenen Studien decken sich weitgehend: Die Schweiz kann ein ambitioniertes Reduktionsziel wirtschaftlich gut verkraften. Die Wohlfahrtsverluste (jeweils gemessen an den gesamten Konsummöglichkeiten über den betrachteten Zeithorizont) liegen im Bereich von 0.36 Prozent1 bis 0.9 Prozent2 verglichen mit einer Referenzentwicklung ohne politische Eingriffe. Dies impliziert, dass die jährliche Wachstumsrate lediglich um etwa 0.1 Prozent tiefer liegt.

Damit das Reduktionsziel erreicht werden kann, ist jedoch ein substantieller Anstieg der CO₂-Abgabe nötig – je nach Szenario auf bis zu 360 Franken pro Tonne CO₂. Betrachten wir längere Zeithorizonte, wird der Preisanstieg noch wichtiger3,4. Mit der Einsetzung der CO₂-Abgabe verbunden ist ein Strukturwandel, der aus gesamtökonomischer Sicht aber gut abgefedert werden kann. Positiv wirkt sich der Strukturwandel insbesondere für besonders innovative Sektoren (z.B. Maschinenbau) aus, die von der höheren Nachfrage nach effizienteren Technologien profitieren können3. Auf der anderen Seite reduzieren sich die Wachstumsraten der energieintensiven Branchen, allerdings in einer moderaten Grössenordnung. Zudem profitieren die energieintensiven Branchen von zahlreichen Ausnahmeregelungen, die in den Modellen oft weggelassen werden. Solche Ausnahmeregelungen können die nachteiligen Effekte auf diese Branchen verringern.

Koordination mit dem Ausland verringert Wettbewerbsnachteile

Wie sind die Ergebnisse zu interpretieren? Zunächst gilt: Die verwendeten Modelle erheben nicht den Anspruch, die Zukunft exakt vorauszusagen. Vielmehr sollen sie mit zweckmässigen Annahmen und unter Ausnützung aller verfügbaren Informationen Referenzpfade für die Entwicklung ohne und mit Klimapolitik aufzeigen. Es ist den Autoren aller Studien bewusst, dass sie in gewissen Bereichen auf vereinfachende Annahmen zurückgreifen müssen.

In den genannten Studien wird beispielsweise angenommen, dass die Schweiz ihr Reduktionsziel unilateral und ohne Koordination mit dem Ausland verfolgt. Angesichts der Tatsache, dass sich insbesondere auch die EU bis 2020 eine deutliche Senkung der Emissionen vorgenommen hat, ist diese Annahme sehr streng. Im Falle einer Koordination mit dem Ausland dürften sich die Kosten für die Schweiz und damit die Wettbewerbsnachteile für energieintensive Branchen verkleinern.

Signalwirkung: Wirtschaftlicher Erfolg trotz ambitionierter Klimapolitik

Die Schweiz ist ein innovativer Wirtschaftsstandort mit einem geringen Anteil an Schwerindustrie und einer bereits jetzt weitgehend CO₂-freien Stromproduktion. Die Schweiz ist in der Lage, auch relativ strenge Reduktionsverpflichtungen zu moderaten volkswirtschaftlichen Kosten zu erfüllen. Innovative und zukunftsgerichtete Sektoren werden ihre Position auf den internationalen Märkten verbessern können. Wenn die ambitionierte Klimapolitik der Schweiz mit wirtschaftlichem Erfolg gekoppelt ist, ist dies auch eine wichtige Signalwirkung an jene Schwellenländer, die für den erfolgreichen Abschluss eines internationalen Klimaabkommens zentral sind.

Literaturhinweise

1Ecoplan (2009): «Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Schweizer Post-Kyoto Politik», Bern.

2 R. Bucher (2011): «Economic Aspects of Unilateral Climate Policies», PhD Thesis, Universität Bern.

3 L. Bretschger, R. Ramer, F. Schwark (2011): «Growth Effects of Carbon Policies: Applying a Fully Dynamic CGE Model with Heterogeneous Capital», Resource and Energy Economics, Vol. 33(4), 963-980.

4 A. Sceia et al. (2008): «Sustainability, neutrality and beyond in the framework of Swiss post-2012 climate policy», NCCR Working Paper, No. 2008-07.

Zu den Autoren

Lucas Bretschger ist Professor für Ressourcenökonomie an der ETH Zürich. Persönliches Zitat und Biografie

Diesen Blogbeitrag hat Lucas Bretschger gemeinsam geschrieben mit Roger Ramer, ehemaliger Doktorand am Lehrstuhl von Prof. Bretschger, heute wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sektion Klimapolitik am Bundesamt für Umwelt (BAFU). www.bafu.admin.ch/klima





Kommentare (4) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen

Wie so oft werden bei der Debatte um die 280 Milliarden Kosten, Wohlfahrtseinbussen & Investitionsbedarf vermischt. Nach meinem Wissen handelt es sich um 280 Milliarden Investitionsbedarf, NICHT um Kosten oder gar Wohlfahrtseinbussen.

Um die „Kosten“ zu quantifizieren müssten zumindest die Einsparungen an Enerigekosten durch die Sanierungen einberechnet werden. Angenommen dass die Niedrig-Zinsperiode & in der Schweiz Energie-Hochpreisperiode global weitergeht vermute ich, dass der net present value dieser sogenannten „Kosten“ sogar positiv ist.

„Wohlfahrtseinbussen“ entstehen hingegen nur dadurch, dass die Investitionen früher als normal getätigt werden sollen und sind daher sehr viel kleiner als der Investitionsbedarf. Da die „Wohlfahrt“ national berechnet wird, werden die Einbussen darüberhinaus dadurch verkleinert dass Kosten für Energieimporte durch Kosten für lokale Arbeitskraft & Materialien ersetzt werden.

@Holzherr: Die Verwendung von Szenarien ist meiner Meinung nach das mit Abstand sinnvollste Mittel, um den bei der Modellierung längerfristiger Zeithorizonte inhärenten Unsicherheiten entgegenzuwirken. Die unterlegten Annahmen (beispielsweise bezüglich der Substitutionselastizitäten in Produktion und Konsum) haben natürlich einen Einfluss auf die Resultate. Für viele der wichtigsten Parameter liegen mittlerweile Zahlen vor (auch explizit für die Schweiz), die in den Modellen verwendet werden. Mit verschiedenen Szenarien und entsprechenden Sensitivitätsanalysen können Bandbreiten berechnet werden, die die Auswirkungen veränderter Hintergrundannahmen erfassen. Dies dient der Plausibilisierung der Ergebnisse und erhöht die Glaubwürdigkeit der Analysen.
Den Vergleich mit Konjunkturmodellen ist nur bedingt zutreffend, da diese Modelle andere Ziele verfolgen und entsprechend auf anderen Ansätzen beruhen. Beispielsweise sind diese Modelle in der Regel auf eher kürzere Zeithorizonte ausgelegt. Ebenso scheint mir ihr Zahlenvergleich problematisch, da sich die Art der Kostenberechnung und die berücksichtigten Einflussfaktoren und Rückkoppelungen stark unterscheiden dürften. Ihre Bedenken zu den 280 Milliarden teile ich absolut.
Schliesslich noch einmal zur Interpretation der Ergebnisse (auch hier besteht ein Unterschied zu den von Ihnen angesprochenen Konjunkturmodellen): Die diskutierten Modelle haben nicht den Anspruch, eine möglichst exakte Prognose abzugeben. Das ist angesichts der langen Zeithorizonte und den damit verbundenen Unsicherheiten auch nicht möglich. Sie sollen eine Grössenordnung der möglichen Auswirkungen (unter gegebenen Annahmen) aufzeigen und damit eine Orientierungshilfe für die zukünftigen Diskussionen sein.

Ein Problem von Szenarien, die die Zukunft einer Ökonomie unter veränderten Rahmenbedingungen – so wie hier mit CO2-Emsisionsreduktionen als Rahmenbedingungen – berechnen, sehe ich in der Nachvollziehbarkeit und damit Glaubwürdigkeit und Plausibilität der Aussagen.
Die Modelle, die den Szenarien zugrundeliegen, wirken für den Aussenstehenden wie eine geschlossene Welt. Dies gilt zwar teilweise auch für Klimaszenarien, wobei aber bei der Klimaökonomie nicht physikalische, sondern ökonomische Gesetzmässigkeiten die Basis bilden. Viele werden sich fragen: Sind es dieselben ökonomischen Annahmen, die auch Konjunkturforschung und anderen ökonometrischen Untersuchungen zu ihrer prognostischen Zuverlässigkeit auch über lange Zeiträume verhelfen? Eine andere Frage wäre: Inwieweit werden Daten aus der Realwirtschaft oder bekannte, von andern abgeschätzte finanzielle Aufwendungen für Dekarbonisierungsschritte in die Modelle einbezogen?
Nehmen wir als Beispiel die Aussage des Direktors der Konferenz kantonaler Energiedirektoren, die energetische Sanierung aller alten Gebäude in der Schweiz bis 2050 koste 280 Milliarden Franken. Pro Jahr wären das 7 Milliarden CH-Fr. (1% des Jahres-BIP) nur für Gebäudesanierungen. Kann es sein, dass das zusammen mit allen anderen Massnahmen nur zu Wohlfahrtseinbussen von 0.36 bis 0.9 % führt wie hier angegeben?

Solche Widersprüche könnten nur scheinbare sein. In Wirklichkeit ist eine energetische Totalsanierung aller Gebäude bis 2050 wohl nicht realistisch und auch nicht nötig. Statt dessen müsste eine Aufwand-/Ertragsrechnung zum Zuge kommen, wobei der Ertrag die durch die Gebäudesanierung erreichte CO2-Reduktion ist.
Eine CO2-Abgabe könnte aber eine explizite Abwägung überflüssig machen, denn sie würde automatisch die effizientesten Formen der CO2-Reduktion fördern.

Sehr geehrter Herr Professor Bretschger,

360 Franken pro Tonne CO2 berechnen sie als nötigen Preis, damit in bestimmten Szenarien die nötige Lenkung zustande kommt, die zu tieferen CO2-Emissionen führt.

Dies deckt sich in der Grössenordnung mit den von Richard Tol berechneten weltweit im Durchschnitt nötigen 149 Dollar pro Tonne CO2 um das 450 ppm-Ziel zu erreichen. Nach seiner Berechnung würde dieser Preis aber für viele Länder bedeuten, dass mehr als die Hälfte dessen was als Steuer gezahlt wird, nun als Karbonpreis anfällt. Dass der CO2-Preis eine so grosse Rolle und einen so grossen Anteil am Steueraufkommen erhält, kann er sich nicht vorstellen.

Tatsächlich sieht die Realität sogar in der EU, die ein Emissionshandelssystem kennt, anders aus und jüngst war ein eigentlicher Preiszerfall im ETS-System festzustellen. Eine lenkende Wirkung entfaltet dieses System wegen diesen tiefen Preisen deshalb nicht.

Ihre klimaökonomischen Modelle bezüglich der Schweiz mögen richtig sein, womit auch viele andere Länder in Europa in der Lage sein sollten, ihre CO2-Emissionen substanziell zu reduzieren ohne ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu schaden.
Trotzdem lässt sich weltweit keine Handlungs-Konvergenz hin auf eine CO2-ärmere Zukunft feststellen. Dafür gibt es viele Anzeichen. Eines davon ist die Aktien-Bewertung von Energieunternehmen, die Öl oder Kohle fördern. Diese Bewertung müsste bei vielen Unternehmen deutlich nach unten korrigiert werden, wenn die Menschheit tatsächlich einen Grossteil der fossilen Rohstoffe im Boden belassen würde. Dass dies nicht geschieht, deutet darauf hin, dass der Markt noch nicht an die Selbstbeschränkung in Bezug auf die Ausbeutung fossiler Rohstoffe glaubt.

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