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Energiestrategie 2050: Die Photovoltaik wird unterschätzt

06.11.2012 von

Ende September präsentierte der Bundesrat seine Energiestrategie 2050, mit welcher der Atomausstieg bei gleichzeitiger Reduktion des Verbrauchs fossiler Energien bewerkstelligt werden soll. Ein breiter Massnahmenmix wird vorgeschlagen, von der Steigerung der Energieeffizienz in Gebäuden und Geräten über den Zubau von Wasserkraft bis zum Ausbau der neuen erneuerbaren Energien. Die Stromproduktion aus den neuen erneuerbaren Energien soll bis 2050 schrittweise auf 24.2 Terawattstunden (TWh) gesteigert werden, was 40 Prozent des heutigen Stromverbrauchs entspricht.

Einigkeit bei den Potenzialen…

Der grösste Teil dieser zusätzlichen Produktion, nämlich rund 11.12 TWh, sollen gemäss Bundesrat von der Photovoltaik geliefert werden. Dazu bräuchte es eine Fläche von knapp 90 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Auf den bestehenden Gebäuden der Schweiz stehen für die Solarenergienutzung besonders geeignete Dach- und Fassadenflächen von etwa 200 Quadratkilometern zur Verfügung1. Zur Zielerreichung bräuchte es somit keine Anlagen auf der grünen Wiese. Bemerkenswert ist die Übereinstimmung der bundesrätlichen Ziele mit denen von Swissolar: Wir fordern 12 TWh, respektive 20 Prozent Solarstrom – allerdings bis 2025.

…aber nicht beim Zeitplan

Der Bundesrat möchte es gemütlicher nehmen – wenigstens zu Beginn. Bis 2020 soll die Jahresproduktion gerade mal bei 0.6 TWh Solarstrom liegen, 2030 bei 2 TWh. Erst danach soll der grosse Solarboom kommen. Das Ziel für 2020 entspricht gerade mal einem Prozent Solarstrom, was im Vergleich zu Nachbarländern ziemlich absurd erscheint: Deutschland liegt Ende 2012 bei 5.5 Prozent, Italien gar bei über sieben Prozent. Sogar das atomfreundliche Frankreich dürfte bereits die Ein-Prozent-Marke geknackt haben. Und die Schweiz ist mit schätzungsweise 0.6 Prozent per Ende Jahr auch nicht mehr weit davon entfernt.

Photovoltaik im engen Korsett

Damit das bundesrätliche Ziel von 1% Solarstrom im Jahr 2020 nicht überschritten wird, sollen bei der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) Jahreskontingente angewendet werden – notabene ausschliesslich für die Photovoltaik. Und diese müssen bei unter 50 Megawatt liegen, also etwa viermal weniger, als im laufenden Jahr voraussichtlich gebaut wird. Im Klartext: Der Bundesrat wünscht eine massive Schrumpfung des Photovoltaik-Markts. Aus unserer Sicht ist dies in mehrfacher Hinsicht unverantwortlich: Bei der Photovoltaik werden mittlerweile Kilowattstundenpreise von 20 Rappen erreicht, womit sie zur billigsten neu verfügbaren erneuerbaren Energietechnologie wird. Ein Verschieben ihrer Nutzung auf 2030 verursacht eine Stromlücke, die nur mit Gaskraftwerken gefüllt werden kann. Und nicht zuletzt ist es unverantwortlich, bei den in den nächsten Jahren zu sanierenden Gebäuden sowie den Neubauten nicht konsequent die geeigneten Dächer für die Photovoltaik einzusetzen.

Kleinanlagen abstrafen?

Zur Entlastung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) mit rund 20‘000 Photovoltaik-Projekten auf der Warteliste möchte der Bundesrat zudem die Kleinanlagen mit einer Leistung von unter 10 Kilowatt von dieser Förderung ausnehmen. Stattdessen sollen Einmalbeiträge (etwa ein Drittel der Anlagekosten) eingeführt werden. Wir sind skeptisch: Bringt es wirklich weniger Bürokratie, wenn nun ein neues Förderinstrument eingeführt wird? Und weshalb soll ein Hausbesitzer seine Kleinanlage nicht ebenso kostendeckend betreiben dürfen wie etwa ein Energieversorger seine Megawatt-Anlage?

Die Zeit drängt

Der Atomausstieg und die CO₂-Reduktion sind ehrgeizige Projekte mit engem Zeitplan. Sie lassen sich realisieren, aber nur, wenn die rasch verfügbaren Energiequellen auch rasch genutzt werden. Dazu gehört ganz zuvorderst die Photovoltaik. Sie geniesst in der Bevölkerung die grösste Akzeptanz aller erneuerbaren Energien. Wir fordern deshalb den Bundesrat auf, seinen unrealistischen Zeitplan anzupassen.

1Angabe ist gestützt auf eine Studie der IEA 2002, aktualisiert aufgrund der baulichen Entwicklung.

Zum Autor

Gastautor David Stickelberger ist Geschäftsleiter von Swissolar, dem Schweizerischen Fachverband für Sonnenenergie.





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Deutschlands CO2-Emissionen sind trotz dem massiven Zubau an Erneuerbaren (vor allem der Fotovoltaik) in den letzten 3 Jahren deutlich gestiegen. SPON meldet unter dem Titel Deutschland droht Klimaschutzziele zu verfehlen folgendes:
Deutschlands CO2-Emissionen sind 2011 (die milde Witterung herausgerechnet) um 9.3 Millionen Tonnen oder 1.2% gestiegen, unter anderem wegen mehr Braunkohleverstromung (Neuzugang Grevenbroich ) und einer Expansion der Zementwerke. Der schnelle Zuwachs der Erneuerbaren hat 2011 die Stromproduktion durch die abgeschalteten Kernkraftwerke überkompensiert. Trotz mehr Erneuerbaren also mehr CO2-Emissionen. Damit stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von

CO2-Emissionen und Erneuerbare

In D sind die Erneuerbaren vollständig durch fossile Kraftwerke abgesichert. Jede Kilowattstunde Erneuerbare hat also eine entsprechendes fossile Schattenkraft, was Deutschland vor Blackouts bewahrt. Bei schwachem Wind und/oder zu wenig Sonne müssen die alten und neu gebauten Braun- und Steinkohlekraftwerke (und die paar Gaskraftwerke) einspringen. Scheint die Sonne und bläst der Wind können diese fossilen Kraftwerke wieder herunterfahren werden. Tun sie das, sollte der CO2-Ausstoss deutlich sinken. Der springende Punkt ist: Die Kohlekraftwerke produzieren auch dann, wenn sie gar nicht müssten. Der Strom wird dann einfach exportiert, was selbst bei einem tiefen Strompreis infolge Stromüberproduktion (Markt ist dynamisch) mit billiger Braunkohle noch rentiert.

Fazit: Erneuerbare verringern nur dann den CO2-Ausstoss, wenn fossile Kraftwerke so selten wie möglich arbeiten. Doch das macht Kohlekraftwerke unrentabel. Schlussendlich müssen auch Kohlekraftwerke subventioniert werden. Der Strompreis wird also in D weitersteigen.

Wie Hansulrich Hörler in seiner Überschlagsrechnung überzeugend darstellt, bedeutet ein baldiger hoher Fotovoltaikanteil in der Schweiz
1) eine im Tagesgang stark schwankende Stromproduktion mit Überproduktion während sonnigen Mittagen (besonders stark an heissen Sonntagen)
2) die Notwendigkeit von viel Pumpspeicherkapazität oder von Stromepxorten (Problem: auch in Deutschland kann es an heissen Mittag „Exportbedarf“ geben)
3) Strommangel während langen Schlechtwetterperioden und über den ganzen Winter

Die einfachste Art mindestens Blackouts vorzubeugen ist der Bau von viel Backupkraftwerken, beispielsweise in Form der in CH geplanten Gaskombikraftwerke.
Genau so sichert Deutschland seine Stromversorgung. Allerdings weniger mit Gas- als vielmehr mit Kohlekraftwerken. Wie im SPON-Artikel Deutschland exportiert so viel Strom wie nie dargestellt, exportiert heute Deutschland aus zwei eng miteinander verbundenen Gründen mehr Strom denn je:
1) In Phasen wo zuviel Windstrom oder Fotovoltaikstrom produziert wird, sinkt der Strompreis, womit er attraktiv für die Nachbarländer Frankreich, die Niederlande und Belgien wird
2) Viele Kohlekraftwerke in Deutschland sind eigentlich nur für den Backup gedacht, also für die Sicherstellung der Stromversorgung in Schwachwindphasen. Doch sie produzieren aus Kostengründen auch dann, wenn es in D eigentlich genügend Strom hätte und exportieren den Strom dann ins Ausland. Gaskraftwerke dagegen müssen aus Kostengründen bei Stromüberschuss viel schneller vom Netz (Gas ist teurer als Kohle).

„An besonders kalten Tagen, an denen weder die Sonne scheint noch der Wind weht, ist Deutschland laut der Bundesnetzagentur aber auf eine sogenannte Kaltreserve angewiesen zu der auch österreichische Kraftwerke gehören.“

Auch CH wird Gaskombikraftwerke als „Kaltreserve“ benötigen. Und…

@Hansulrich Hörler.
was macht man dann????

Kerzen.. (sollen sogar sehr romantisch sein!)

Die geforderten 12 TWh Fotovoltaik im Jahr 2025 bedeuten eine installierte Leistung von etwa 12 GW. An einem schweizweit schönen Julimittag werden davon vielleicht 5 kW gebraucht, da mindestens die Lauf- Wasserkraft ja am Netz bleibt. Die dann vorhandenen Pumpspeicherwerke können etwa 5 GW aufnehmen, und von diesem Strom kommen wegen Pump-, Turbinen-, Netz- und Transformationsverlusten nur etwa 70% wieder in die Haushalte zurück. Das heisst, man muss wesentlich mehr als 12 GW Fotovoltaik installieren, um diese 12 TWh Nutzstrom zu erreichen. Zudem beträgt die Pumpspeicherkapazität nur etwa 200 GWh, so dass längere Gut- oder Schlechtwetterperioden damit nicht überbrückt werden können.
Schlimm wird die Situation aber im Januar, wo der Stromverbrauch wesentlich höher ist und die Fotovoltaik einbricht. Schon bisher mussten wir dann trotz voll laufenden AKW Strom importieren. Die Lücke ist gross, Importe unzuverlässig (wir sollten ja dank Wasserkraft eher ein Stromexportland sein) und Gaskraftwerke bezüglich Klima unerwünscht. Was macht man dann bei langen Schlechtwetterperioden mit voll aufgedrehten Wärmepumpen, 5 Mio. Elektromobilen, 10 Mio. Einwohnern im Jahr 2050 in der Schweiz?
Falls irgend eine Fachstelle schon detaillierte Stromversorgungs- Tagesgänge auch im schlechtesten Monat für die verschiedenen Zukunftsszenarien durchgerechnet hat (und nicht nur Jahres- oder Halbjahresdaten), wäre dieser Blog richtig für eine Bekanntgabe. Es bestehen grosse Zweifel, ob so eine rasche, überstürzte Abkehr von AKWs sinnvoll ist und dadurch Nachteile für Umwelt und Kosten entstehen

„Und weshalb soll ein Hausbesitzer seine Kleinanlage nicht ebenso kostendeckend betreiben dürfen wie etwa ein Energieversorger seine Megawatt-Anlage?“
Ein Grund dürfte wohl darin liegen, dass die heutigen Stromproduzenten den Kantonen und Gemeinden gehören. Wer will denn da schon private Konkurrenz?
Ein anderer Grund liegt beim Netz. Dieses ist zu einem Smart-Grid umzubauen, um die entsprechenden Stromspitzen aufnehmen zu können. Auch hier: Das Netz gehört nach wie vor faktisch den Elektrizitätswerken. Warum investieren, wenn man damit die private Konkurrenz erfolgreich macht?
Frau BR Leuthard hat einen schwierigen Job, wenn sie die Energiewende schaffen will:
1. Privatisierung der Elektrizitätswerke, damit die Spiesse für alle gleich lang werden und die Regeln nicht von den gleichen (Politikern) gemacht werden, die im Verwaltungsrat der EW sitzen.
2. Verlässliche Einspeisevergütung ohne Trickserei seitens der Politik
3. Netzgesellschaft zu 51% verstaatlichen mit der Auflage an diese Gesellschaft den Smartgrid zügig einzuführen. Den Rest an die Börse bringen (der Smartgrid kostet was…)

Auf meinem Flachdach würde seit 5 Jahren eine Solaranlage stehen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden…

Sehr geehrter Herr Stickelberger,
im TA vom 6.11.2012 wird die von ihnen kritisierte Engergiestrategie 2050 des Bundes vom Verband der Schweizer Elektrizitätswerke (VSE) folgendermassen begründet:
1) Schon heute gibt es in Deutschland (vor allem im Norden) als Folge des Ausbaus von Wind+Sonnenkraftwerken Phasen von Stromüberschuss und Strommangel, so dass Windturbinen vom Netz getrennt werden müssen. Deshalb bedürfe es auch in CH zuerst eines Ausbaus des Übertragungsnetzes
2) Solange die AKWs in Betrieb sind, wäre eine Subvention von PV ökonomisch unsinnig
3) Bei späterem Ausbau von PV müsse das Verteilnetz (Hausanschlüsse etc.) vorerst nicht ausgebaut werden
4) Das europäische Übertragungsnetz müsse noch vor dem Verteilnetz ausgebaut werden um Strommangelphasen zu dämpfen und die CH-Pumpspeicher mit EU-Strom zu beliefern.

In ihrem Beitrag
1) erwähnen sie nicht, wie 20% Solarstrom im Jahr 2025 vom CH-Stromnetz bewältigt werden sollen/können.
2) Erwähnen sie D als Vorbild obwohl D Windkraft teilweise vom Netz nehmen muss und obwohl in Deutschland neue Kohlekraftwerke als Backupkraftwerke gebaut werden
4) Schreiben sie, PV könne Gaskraftwerke verhindern, obwohl entweder Stromleitungen zu Pumpspeichern und/oder Gaskraftwerke als Backup nötig sind um Phasen von wenig Sonne auszugleichen
5) Schreiben sie, PV koste nur noch 20 Rappen pro Kilowattstunde fordern aber keine Einspeisevergütungen von 20 Rappen pro Kilowattstunde. Die KEV ist in CH viel höher als in D und viel höher als 20 Rappen pr kWh.
6) Schreiben sie, Hausbesitzer sollten eine kostendeckende KEV erhalten und nicht nur Grossanlagenbetreiber. Doch im Interesse der Energiebezüger in der Schweiz liegt wohl nicht das Hausbesitzerwohl, sondern der möglichst kostengünstig erzeugte Strom

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