Mobil dank Smartphone
29.08.2012 von
Mein liebstes Transportmittel in Zürich ist mit Abstand das Velo. Man wartet nicht auf Tram oder Bus und im Gegensatz zur autofahrenden Bevölkerung spart man sich die Zeit für die Parkplatzsuche. Zudem liegen in meinem Fall die täglich anzufahrenden Ziele relativ nahe beeinander und sind daher gut mit dem Drahtesel zu erreichen. Das gilt natürlich nicht für jeden.
Der durchschnittliche Schweizer legt laut der Schweizerischen Taschenstatistik 20121 täglich eine Strecke von 36.7 Kilometern zurück. Davon entfallen 8.9 Kilometer auf den Arbeitsweg und 4.7 Kilometer auf den Einkauf. Eine weitere Erkenntnis aus der Statistik ist, dass 24.4 Kilometer der genannten Tagesdistanz durch motorisierten Individualverkehr bestritten werden – und dies bedeutet nahezu ausschliesslich im (spärlich besetzten) Privat- oder Geschäftswagen. Diese Zahlen könnten sich in den nächsten Jahren dank eines neuartigen Nutzerverhaltens verändern.
Fahrzeuge gemeinsam nutzen
Zum Beispiel könnte Frau Schweizer künftig bei einem Sharing-Anbieter registriert sein. Beim Sharing geht es um das gemeinsame Nutzen von beispielsweise Fahrzeugen. So bieten Sharing-Anbieter ihren Kunden die Möglichkeit, rund um die Uhr und in Selbstbedienung Fahrzeuge zu nutzen.
Als Nutzerin eines solchen Angebots kann sich Frau Schweizer auf immer gut gewartete Fahrzeuge verlassen, die den neusten Standards entsprechen. Ausserdem zahlt sie nur so viel, wie sie die Fahrzeuge auch tatsächlich nutzt. Die Philosophie heisst hier «Access over Ownership». Das Besitzen von Transportmitteln steht also nicht mehr im Vordergrund, sondern viel mehr der unkomplizierte Zugang zu diesen.
Mobilität von morgen
Ein Werktag von Frau Schweizer könnte dann beispielsweise so aussehen: Das Elektrovelo, mit dem Frau Schweizer vom Bahnhof zur Arbeit gefahren ist, wird an der dortigen Station registriert und steht (sofort auch online sichtbar) anderen Nutzern wieder zur Verfügung. Für den Arztbesuch am Nachmittag reserviert sich Frau Schweizer per Smartphone einen Elektroscooter. Den Wocheneinkauf am Abend erledigt sie mit einem PKW, den sie in ihrem Wohnort entleiht. Da ihr die Smartphone-App anzeigt, dass ihr Nachbar ebenfalls Lebensmittel benötigt, tun sich die beiden spontan zusammen für den Einkauf.
Am darauffolgenden Tag möchte Frau Schweizer mit einem PKW in den Nachbarort fahren, um sich dort mit Freunden für einen Tag am See zu treffen. Eine Nachricht auf ihrem Telefon teilt ihr mit, dass das E-Bike A zur Umverteilung genau diese Strecke zurücklegen muss. Sie registriert sich kurzerhand dafür und bekommt einen Bonus auf ihrem Benutzerkonto gutgeschrieben.
Neue Mobilität braucht Umdenken
Dies ist selbstverständlich ein Zukunftsszenario, das ein Umdenken in vielen Bereichen erforderte: Transportmittel sind in diesem Szenario Allgemeingut und jedem zugänglich und verlangen beziehungsweise ermöglichen Flexibilität. Die Unterstützung von Seiten der Software wäre unabdinglich für einen reibungslosen Ablauf und fügte der Mobilität (wenn gewünscht) eine soziale Komponente hinzu.
Damit ein solches Szenario Wirklichkeit werden kann, gibt es viel zu lernen – für alle Beteiligten von neuen, teilenden Mobilitätssystemen. Deshalb wird im Herbst diesen Jahres mit dem «E-Velolink» an der ETH Zürich ein Pilotprojekt für die gemeinsame Nutzung von Elektrovelos (E-Bike-Sharingsystem). Die studentische Organisation [project 21] wird gemeinsam mit der ETH Zürich und den externen Partnern Velobility und ElectricFeel zwei automatisierte Verleihstationen aufbauen. Alle registrierten ETH-Angehörigen können dann flexibel zwischen ETH Zentrum und dem Campus am Hönggerberg pendeln. Die Erfahrungen aus Betrieb und Wartung sowie das aufgezeichnete Nutzerverhalten werden im Rahmen eines «Living Labs» direkt in die Weiterentwicklung des Systems einfliessen.
Wir dürfen gespannt sein, wie die Sache ins Rollen kommt!
1Taschenstatistik Schweiz 2012, Bundesamt für Statistik
Zur PersonSusanne Dröscher ist Doktorandin in Nanophysik an der ETH Zürich. Persönliches Zitat und Biografie
Kommentare (2) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen
Sehr geehrter Frau Dröscher,
die Vision einer Welt wo der Besitz die Ausnahme ist und viele Dinge nur bei Bedarf verwendet werden, indem sie kurzfristig gemietet und dann wieder in den allgemeinen Pool zurückgegeben werden ist nicht neu. Gebrauch anstatt Besitz von Gütern wurde auch im Zusammenhang mit der 2000-Watt Gesellschaft immer wieder als neues Lebensmodell gepriesen. Der Trend geht aber immer noch zu mehr persönlichen Besitz, zu kleineren Haushaltsgrössen, Singlehaushalten und neuen Produkten wie dem Single-Eigenheim. Allerdings muss dies kein Widerspruch zum Mobility-Sharing und zum Teilen auch vieler anderer Güter des Alltags sein. Ein Sharing-Modell kann aber nur bei entsprechender Organisation funktionieren. Zu einer Rückkehr des Modells Grossfamilie, in der ja viele Dinge geteilt wurden, wird es sicher nicht kommen und auch die meisten Studenten-WG’s funktioniern nicht wirklich. Es braucht Kontrolle und Rückmeldungen. „Automatisierte Verleihstationen“, wie in ihrem Beitrag vorgeschlagen, benötigen also eine gute Organisation zu der auch das Monitoring gehört: (Zitat)„Erfahrungen aus Betrieb und Wartung sowie das aufgezeichnete Nutzerverhalten werden im Rahmen eines «Living Labs» direkt in die Weiterentwicklung des Systems einfliessen“
Sehr geehrte Frau Dröscher,
Die Aussichten stehen gut, dass sich der Schweizer Personenverkehr in den nächsten 20 Jahren fast vollständig dekarbonisieren lässt, wenn stimmt was sie schreiben:
„Der durchschnittliche Schweizer legt 2012 täglich eine Strecke von 36.7 Kilometern zurück.“
Selbst wenn täglich eine Strecke von 30 bis 50 Kilometern im Auto zurückgelegt würde, könnte schon die nächste Generation der Plug-In-Hybridautos dafür sorgen, dass dies mit elektrischer und damit nicht unbedingt mit fossiler Energie geschieht.
Zudem wird durch die fortschreitende Urbanisierung der Schweiz der öffentliche Verkehr einen noch grösseren Anteil erhalten als er es bereits hat und beim öffentlichen Verkehr haben Staat, Kanton und Gemeinden den nötigen Einfluss um ihn vollständig zu dekarbonisieren ( was wohl elektrifizieren bedeutet).
Auch der Fahrradverkehr, welcher in der Schweiz noch ein Stiefmütterchen-Dasein inne hat, was seine Integration ins Strassennetz angeht, wird wohl, wenn die Schweiz dem Trend folgt, bald schon besser unterstützt ähnlich wie das schon in Kopenhagen geschehen ist. Mit den in den nächsten Jahren zu erwartenden stärkeren und kostengünstigeren Elektrobatterien werden mit einem Elektrofahrrad auch tägliche Distanzen von über 50 km bewältigt werden können. Eine schöne neue Welt also die man allerdings auch wollen muss, denn sie kommt nicht von allein. Sie setzt voraus, dass der Klimawandel ernst genommen wird und Öl und Erdgas zunehmend verdrängt werden, entweder weil man bewusst den Ersatz sucht oder aber weil man den Ersatz von fossilen Rohstoffen durch hohe Preise für Öl und Erdgas nahelegt.
Neuste Kommentare