Was ist aus dem «Geist von Rio» geworden?
20.06.2012 von
Das Besondere an der UNO-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 war die Aufbruchsstimmung in eine neue Weltordnung: Der kalte Krieg war zu Ende, die Hoffnung auf eine gemeinsam getragene «Weltinnenpolitik» gross. An der Konferenz wurde die Agenda 21 verabschiedet, ein Leitpapier zur nachhaltigen Entwicklung sowie umfassender Massnahmenplan für alle politischen Handlungsfelder von der lokalen bis zur globalen Ebene. Als Reaktion darauf wurden weltweit in zahlreichen Gemeinden Umsetzungskomitees gegründet. «Global denken, lokal handeln» war der Slogan dieser Bewegung.
Bemerkenswert an der Agenda 21 war, dass jeder Handlungsbereich mit einer Kostenschätzung für die Umsetzung versehen war. Dem geschätzten weltweiten Investitionsbedarf von jährlich 600 Milliarden US-Dollar lag die Annahme der sogenannten Friedensdividende zugrunde. Diese benennt die Erwartung, dass die bisher in Aufrüstung investierten Mittel nun für die friedliche nachhaltige Entwicklung zur Verfügung stünden.
Das Ende vom «gemeinsamen Erbe der Menschheit»
Optimistisch war die Stimmung in Rio auch bei der Verabschiedung der beiden völkerrechtlich verbindlichen Konventionen zu Klimawandel und biologischer Vielfalt, zwei Jahre später ergänzt durch die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Doch schon die in Rio verabschiedete rechtlich nicht-bindende Erklärung zum Schutz der Wälder war ein Hinweis auf schwierige Verhandlungen zwischen den Industrieländern und den erstarkenden Ländern des Südens (G77 und China).
Noch deutlicher wurde die Akzentverschiebung hin zu nationalen Interessen – insbesondere des Südens – in der grundlegenden Rio Deklaration zu Umwelt und Entwicklung. Während bis anhin die biologischen Ressourcen als «gemeinsames Erbe der Menschheit» betrachtet wurden, setzte sich in der Rio-Deklaration von 1992 das Prinzip der nationalen Souveränität durch. Damit war jedes Land für seine eigenen biologischen Ressourcen verantwortlich. Dies hatte zur Folge, dass in den Verhandlungen zur Umsetzung der Konvention zur Biologischen Vielfalt der Zugang zu den Ressourcen eines der dominierenden und strittigsten Themen wurde («access and benefit sharing»).
Das Erbe von Rio 1992
Inzwischen ist Nachhaltigkeit im Mainstream der Gesellschaft angekommen: in der Politik, in der Wissenschaft, bei den Konsumentinnen und Konsumenten («Lohas»). Die seinerzeit an der Schnittstelle von Ökonomie und Ökologie heftig geführte Diskussion um «harte» und «weiche» Nachhaltigkeit ist einem breiten Spektrum von Instrumenten gewichen, beispielsweise zur Monetarisierung von Ökosystemleistungen. Weniger stark hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass Nachhaltigkeit ein normatives Konzept ist, und damit ein wertebasierter gesellschaftlicher Konsens und nicht ein wissenschaftlich «objektiv» messbarer Zustand. Ebenso haben sich erforderliche transdisziplinäre Forschungsansätze noch nicht breit durchgesetzt. Auch müssen nun Methoden und Instrumente entwickelt werden für die Operationalisierung der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit.
Die heutige Politik kann auf die soliden rechtlichen Rahmenbedingungen der Konventionen von Rio zurückgreifen. Doch haben die Klimaverhandlungen gezeigt, wie mühsam es unter den gegeben geopolitischen Machverhältnissen ist, tragfähige Kompromisse zu finden. Nach der Euphorie von Rio 1992 und der anschliessenden Ernüchterung brauchte und braucht es einen langen Atem und die ursprüngliche Vision, um die Verhandlungen in kleinen Schritten voran zu treiben.
Rio+20: mehr als «Greenwash»
Der «Geist von Rio» braucht das anhaltende Engagement der Zivilgesellschaft, einschliesslich der Wissenschaft, als Lobbyisten für eine nachhaltige Welt, als Mahner und als Visionäre. Diese Aufgabe geht weit über das Motto von Rio+20 «Greening the economy» hinaus und ist auch weit mehr als eine neue Institutionenarchitektur, die in Rio+20 zur Diskussion steht.
Für die Forschenden an der ETH Zürich ist es weiterhin eine lohnende Aufgabe, nachhaltige Technologien und Politikinstrumente zu entwickeln aus der Perspektive der folgenden Generationen und jenseits von nationalstaatlichen Interessen. Nur so gelingt es uns, den Geist von Rio wach zu halten und an die nächste Generation weiterzugeben.
Zur AutorinDr. Barbara Becker ist Direktorin des Nord-Süd Zentrums der ETH Zürich. Sie hatte sich seinerzeit intensiv mit der Konferenz «Rio 1992» befasst und verfolgt seither die Entwicklung der Nachhaltigkeitsdebatte und ihrer Paradigmen.
«Rio+20» auf dem ETH-KlimablogVom 20. bis 22. Juni 2012 findet in Rio de Janeiro die UNO-Nachhaltigkeitskonferenz «Rio+20» statt. Im Zentrum der Konferenz wird die Frage stehen, welchen Beitrag die Grüne Wirtschaft zur nachhaltigen Entwicklung und Armutsbekämpfung leisten kann. Der ETH-Klimablog begleitet die Konferenz mit einigen Blogbeiträgen. Sie finden diese unter dem Stichwort «Rio+20».
Kommentare (7) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen
Das 3-Säulenmodell der Nachhaltigkeit, das heute dominiert, will Ökologie, Soziales und Ökonomie versöhnen. In diesem Kommentar will ich vor allem auf potentielle Prioritätenkonflikte eingehen.
Rio+20 will gute, nachhaltige und gerechte ökonomische Performance weltweit
Rio+20 verlagert gemäss Outcome Document das Zentrum der Nachhaltigkeitsdebatte von der Umwelt (Rio 1992) hin auf das nachhaltige, alle einschliessende und gerechte ökonomische Wachstum, dessen vorrangiges Ziel die Auslöschung von Armut und dann die Ausbildung von nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern ist, wobei auch die natürlichen Ressourcen geschont und gemanagt werden müssen.
Auf der UN-Homepage für Rio+20 wird das im Kasten THEMES AND CRITICAL ISSUES so zum Ausdruck gebracht:
Sustainable development emphasizes a holistic, equitable and far-sighted approach to decision-making at all levels. It emphasizes not just strong economic performance but intragenerational and intergenerational equity.
Im Outcome Document gibt es auch ein kleines, 12 Sätze umfassendes Subkapitel über den Klimawandel, wo zunehmende Dürren und Extremwetterereignisse, Meeresspiegelanstieg, Küstenerosion und Meerversauerung dem bereits eingetretenen Klimawandel angelastet werden und wo die Anpassung an den Klimawandel als unmittelbare und dringende Priorität betont werden. Die Priorität von Rio+20 liegt aber weder auf der Umwelt noch auf dem Klima sondern auf der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung.
Gerät Klimaschutz unter die Räder?
Im Outcome-Document wird Anpassung an den Klimawandel und Weiterverfolgen des 2°C-Ziels gefordert, kein Verzicht z.B. auf Kohle. Verzicht passt nicht zur Stossrichtung von Rio+20. Im Geiste von Rio+20 läge aber die Förderung von Energien, die die Fossilen ersetzen.
Hier noch ein paar Bilder und Text was der „Geist von Rio 1992″
nicht verhindern konnte:
Frage: Wenn der Geist von Rio 1992 die Zerstoerung nicht beenden
konnte, was wird der Geist von Rio 2012 vollenden?
(ueber/aus einer Veroeffentlichung in Nature:
Scientists warn that the Earth may be reaching a planetary tipping point due to a unsustainable human pressures, while the UN releases a new report that finds global society has made significant progress on only four environmental issues out of ninety in the last twenty years. Climate change, overpopulation, overconsumption, and ecosystem destruction could lead to a tipping point that causes planetary collapse, according to a new paper in Nature by 22 scientists.)
http://news.mongabay.com/2012/0607-hance-planetary-collapse-tipping-points.html#
15min .. die den Geist von Rio tragen.
http://www.studentreporter.org/the-girl-who-silenced-the-world-for-five-minutes
Was braucht es eigentlich mehr?
@Kommentar von Martin Holzherr. 20.06.2012, 18:04
Hoi Martin,
„Du schreibst Mit ein wenig Nachdenken kommt man recht schnell zu objektiven wissenschaftlich messbaren Kriterien [bezüglich Nachhaltigkeit als mehr als ein normatives Konzept]
Nun, wenn du absolut recht hättest, hätte sich der Nachhaltigkeitsbegriff nicht gewandelt“
Was hat sich daran gewandelt?
Nachhaltigkeit ist doch klar definiert.
Wenn eine Spezies nicht nachhaltig lebt dann wird sie
ueber kurz oder lang von der Natur in die Schranken verwiesen.
Wenn es die Politiker und Oekonomen und die die Geld haben und geben verstanden haben die Diskussion zu verlagern, verwaessern
etc heisst das noch lange nicht das wir heute nachhaltiger Leben
also vor 20 Jahren.
Im Gegenteil, alle Fakten zeigen ein anderes Bild.
Wir Menschen bewegen uns immer noch und beschleunigt
auf die Kollision mit dem Eisberg zu.
Der UNEP Bericht dazu, mit allen politisch korrekten
manipulierten Aussagen (brauchst du Beispiele?)
ist drastisch genug..
http://www.unep.org/geo/pdfs/geo5/GEO5_report_full_en.pdf
@Kommentar von Michael Dittmar. 20.06.2012, 10:57
Hoi Michael,
Du schreibst Mit ein wenig Nachdenken kommt man recht schnell zu objektiven wissenschaftlich messbaren Kriterien [bezüglich Nachhaltigkeit als mehr als ein normatives Konzept]
Nun, wenn du absolut recht hättest, hätte sich der Nachhaltigkeitsbegriff nicht gewandelt seit seiner Einführung durch den Brundtland-Bericht
Da war der Begriff auf die Umwelt und die Ressourcen bezogen, später jedoch wurde er um soziale und ökonomische Komponenten erweitert. Was sozial nachhaltig ist, weiss aber selbst die Wikipedia nicht genau.
Übrigens wird in Rio+20 nicht nur über Umweltfragen debattiert. Lies einmal das Interview mit Dirk Nebel, wo er zu den Zielen folgendes sagt:
Spiegel:Welche Ziele könnten das sein?
Niebel: Ich denke da an eine nachhaltige Finanzwirtschaft etwa, die Zukunft der Meere und auch neue Sicherheitsstrukturen in Zeiten des weltweiten Terrorismus oder Energiefragen. Diese Ziele gelten dann für alle: Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer.
Das heisst Rio+20 will fast alle Menscheitsprobleme angehen, auch den weltweiten Terrorismus – und das nachhaltig.
Sehr geehrte Frau Dr. Becker,
Die beiden grossen Themen von Rio+21 heissen ja Green Economy und Governance und mit Einbeziehung der (grünen?) Industrie kommt wirklich ein neues Element hinzu das über Diplomatie und Verhandlungen hinausgehen könnte.
Ihr Artikel behandelt vor allem Rio 1992 und die Folgen, wo es, wie sie schreiben zuerst um «Weltinnenpolitik» ging, später aber immer mehr um die nationalen Interessen mit Betonung des Prinzips der nationalen Souveränität, was aber darauf hinausläuft dass wirtschaftliche Interessen über ökologische obsiegen können.
Die Monetarisierung von Ökosystemleistungen liegt in dieser Linie, denn dadurch erhalten Ökosysteme ihre Berechtigung über ihre ökonomische Bedeutung.
Mit der (Zitat)Operationalisierung der sozialen Dimension, der Betonung von (Zitat)tragfähige Kompromissen unter den gegebenen geopolitischen Machverhältnissen positionieren sie sich selbst sehr deutlich als jemand, der an die Verhandlungsschiene glaubt – wie es wohl die meisten ETH-Professoren tun. Wer an Verhandlungen glaubt und an Vereinbarungen, der spricht beispielsweise in der Klimapolitik heute noch vom Erreichen des 2°C-Ziels, obwohl alle Daten dagegen sprechen, dass dieses Ziel noch erreichbar ist.
Natürlich muss man sich fragen, was man denn anderes tun kann als (Zitat)die Verhandlungen in kleinen Schritten voran zu treiben, Pläne zu schmieden und neuen (Zitat)transdisziplinären Forschungsansätzen zum Durchbruch zu verhelfen.
Immerhin ist nun auch die Ökonomie direkt einbezogen durch Industrievertreter, was die Breitenwirkung der Gedanken von Rio zeigt.
Langfristig muss es aber mehr geben als Verhandlungen und Vereinbarungen. Es braucht so etwas wie Exekutivorgane, die nicht mehr national loziert sind, sondern international auf der Ebene der Uno. Reine Freiwilligkeit wird vorbei sein, wenn sich die Dinge negativ entwickeln.
Guten Tag,
Sie schreiben:
„Weniger stark hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass Nachhaltigkeit ein normatives Konzept ist, und damit ein wertebasierter gesellschaftlicher Konsens und nicht ein wissenschaftlich «objektiv» messbarer Zustand.“
Wie kommen Sie zu dieser total unwissenschaftlichen
dogmatischen Sicht der Dinge?
Mit ein wenig Nachdenken kommt man recht schnell zu objektiven
wissenschaftlich messbaren Kriterien.
Nur, weder die Oekonomie noch die Politik wollen diese
Erkenntnisse hoeren und dank ihrer Machtmittel schaffen
sie es auch die Thematik zu verwaessern bzw zu
ignorieren.
Genau wie vor rund 400 Jahren..
Niemand wollte durch das Teleskop schauen und die Jupiter
Monde betrachen.
Haben wir denn wirklich gar nichts dazu gelernt?
und weiter:
„Bemerkenswert an der Agenda 21 war, dass jeder Handlungsbereich mit einer Kostenschätzung für die Umsetzung versehen war. Dem geschätzten weltweiten Investitionsbedarf von jährlich 600 Milliarden US-Dollar lag die Annahme der sogenannten Friedensdividende zugrunde. Diese benennt die Erwartung, dass die bisher in Aufrüstung investierten Mittel nun für die friedliche nachhaltige Entwicklung zur Verfügung stünden.“
Tja, harte Realitaet: Heute brauchen einige Laender diese
Mittel um sich den Loewenanteil der schwindenden Oelressourcen
noch fuer ein paar weitere Jahre zu sichern.
Neuste Kommentare