Nachhaltige Gebäudekonzepte: Rechnung ohne Wirt gemacht
03.11.2011 von
Es ist hinreichend bekannt, dass dem Planen, Bauen und Betreiben unseres Gebäudeparks eine wichtige Rolle für eine klimafreundlichere Zukunft zukommt. Entscheidend für nachhaltige Gebäudekonzepte ist, dass der Mensch als Nutzer mitberücksichtigt wird.
Die Bewirtschaftung des Schweizer Gebäudeparks ist für rund 45% des gesamten Energieverbrauchs in der Schweiz verantwortlich. Nachhaltige und klimafreundliche Gebäudekonzepte sind deshalb mehr denn je gefordert. So haben die kantonalen Energiedirektoren (EnDK) der Schweiz unlängst eine weitere Verschärfung der Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) beschlossen. Ab 2018 sind öffentliche Neubauvorhaben als de facto Null-Energiegebäude zu errichten und ab 2020 wird diese Forderung auch für alle privaten Bauvorhaben gelten. Ein tolerierbarer Restenergiebedarf wird aus erneuerbaren Energiequellen zu decken sein.
Mit diesen Beschlüssen geht die EnDK synchron mit den Zielsetzungen der Europäischen Union. Auch die EU hat klare Ziele formuliert, wie der Energieverbrauch sowie die Treibhausgasemissionen reduziert und wie die erneuerbaren Energie ausgebaut werden sollen. Bis 2020 sollen in der EU
- die Energieeffizienz um 20 Prozent gesteigert werden,
- die Treibhausgasemissionen um 20 Prozent reduziert werden bezüglich dem Referenzjahr 1990 und
- der Anteil der erneuerbaren Energie am Gesamtenergieangebot 20 Prozent betragen.
Innovationen im Bereich energieoptimierter Technologien und Konstruktionen sind also mehr denn je gefordert. Sie verändern die ökologischen Auswirkungen von Gebäuden in Bau und Betrieb und stellen einen wichtigen Exportmarkt für die Schweiz dar. Der Ideen-Köcher ist reichlich gefüllt, nicht nur an der ETH Zürich. Es stellt sich aber die Frage, ob wir nicht einer Komponente im System zu wenig Beachtung schenken – dem Menschen.
Nachhaltige Gebäudekonzepte: den Menschen berücksichtigen
Die beiden kostenintensivsten Ressourcen in Dienstleistungsunternehmen sind Personal und Gebäude-Infrastruktur. In der Schweiz arbeitet etwa die Hälfte der Beschäftigten in Bürogebäuden. Die Personalkosten machen in Dienstleistungsunternehmen rund 80 Prozent der Gesamtkosten aus. Kann die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten durch intelligente Büro(gebäude)konzepte positiv beeinflusst werden, ist das betriebswirtschaftlich für eine Unternehmung sehr interessant – oft interessanter als die Einsparung von Frischwasser und Energie.
Im Rahmen von wirtschaftlichen Überlegungen sowie auf der Basis von Nachhaltigkeits- oder «Corporate Social Responsibility»-Strategien legen deshalb viele Schweizer Unternehmen hohen Wert auf nachhaltige Gebäude. Zurzeit ist jedoch vielfach unklar, wie sich die Einführung denkbarer innovativer Technologien auf die Nutzerinnen und Nutzer von Gebäuden auswirken. Es liegen nur fragmentarische Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen nachhaltigem Bauen und Bewirtschaften von Bürogebäuden einerseits und der Akzeptanz, dem Verhalten und dem Erleben der Gebäudenutzer andererseits vor. Es ist deshalb notwendig, die Auswirkungen klimafreundlicher Bürogebäude auf die Beschäftigten zu optimieren und andersherum, den Einfluss des Nutzerverhaltens auf die Performanz einer technologischen Optimierung oder gar Neueinführung zu studieren.
Wir sehen immer wieder, dass das theoretisch vorhandene Potenzial einiger Technologien in der Praxis entweder nicht die zu erwartende Performanz bringt oder unerwünschte Nebeneffekte aufweist, wie Geräuschemissionen, hohe Wartungsaufwendungen oder eine schlechte Bedienbarkeit. Das hilft weder den Nutzenden, die sich neben mehr Komfort auch niedrigere Treibhausgasemissionen sowie minimierte Energiekosten erhoffen, noch hilft es der nationalen und globalen Klimagasbilanz, denn diese fusst auf den tatsächlich erfolgten Emissionen.
Neue Forschungsprojekte zu Wechselwirkung zwischen Mensch- und Umweltsystemen
Es kann davon ausgegangen werden, dass klima- und energiebezogene Ziele des nachhaltigen Bauens mittel- und langfristig nur dann erreicht werden können, wenn sich Facility Manager und Nutzer der Gebäude konzeptgerecht verhalten. Das heisst wenn die Merkmale nachhaltiger Gebäude die Funktionalität, den Komfort und die Arbeit in den Gebäuden nicht beeinträchtigen sondern im Gegenteil sogar positiv beeinflussen. Viele Beobachtungen in der gebauten und bewirtschafteten Praxis belegen die grosse Bedeutung der sozialen und individuumsbezogenen Dimension von Nachhaltigkeit. Diese Dimension ist im Immobiliensektor bislang im Vergleich zu der ökonomischen und ökologischen Dimension vernachlässigt.
In den jüngst genehmigten Forschungsprojekten «Sustainable Laboratories (SusLab)» gemeinsam mit der EMPA sowie «Qualität nachhaltiger Bürogebäude» gemeinsam mit dem Institut für Facility Management der ZHAW Wädenswil und zahlreichen Partnern aus der Wirtschaft, werden wir diesen Wechselwirkungen zwischen Mensch- und Umweltsystemen mehr Aufmerksamkeit schenken können.
Wenn es nämlich gelingt, Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Büroangestellten in der Schweiz als Folge der Projekte weiter zu verbessern, sind die Folgen in hohem Masse volks- und betriebswirtschaftlich relevant. Ein intelligentes und nutzergerechtes Design sowie der professionelle Betrieb von Gebäuden leisten zudem einen wichtigen Beitrag dazu, unnötigen Energieverbrauch zu vermeiden – und entlasten so auch das Klima.
Zum AutorHolger Wallbaum ist Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Persönliches Zitat und Biografie
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„Der Strombezug der ETH wird kontrovers diskutiert. Die Hochschule hatte im Dezember 2010 von Ökostrom zur günstigsten Variante mit einem hohen Kernkraft-Anteil gewechselt.“
Nebst dem Thema Klimaerwärmung lässt mich auch das nicht kalt.
Zuerst dachte ich, es handelt sich um eine wissenschaftliche Studie auf dem Gebiet der Konsum- und Verhaltenspsychologie.
Interessant wäre die „Gender-Frage“ zu prüfen, ob eine ETH Präsidentin gleich entschieden hätte.
Eine weitere Frage die ich mir stelle: wie ist das Zusammenspiel zwischen Hochschule, Wirtschaft und Politik? Bestehen Interessenkonflikte und ist der Stromentscheid eine mögliche Konsequenz?
Das Argument, dass dadurch mehr Mittel für die Energie-Forschung zu Verfügung stehen erachte ich als nicht vertretbar. Exzellente Forschung, welche hilft, die Lebensgrundlage auf unserem Planeten nachhaltig für die Menschheit und den anderen Lebewesen zu sichern, wird immer Zugang zu entsprechenden Finanzierungs- und Fördermittel haben.
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