Wie weiter mit den Klimaverhandlungen?
15.07.2011 von
Die jüngsten Klimaverhandlungen im Juni in Bonn und im Juli in Berlin waren inhaltlich weitgehend ergebnislos, die Aussichten auf Fortschritte am nächsten Weltklimagipfel in Durban sind düster. Die drei wichtigen Länder Japan, Kanada und Russland lehnen eine Weiterführung des Kyoto-Protokolls ab, sofern die USA und die Schwellenländer nicht teilnehmen.
Doch die USA haben das Abkommen mit Verweis auf eben diese Schwellenländer nie ratifiziert, und Länder wie Brasilien, China, Indien, Südafrika und Südkorea werden sich vorläufig zu keinen bindenden Emissionsbegrenzungen verpflichten. Für ein global wirksames Folgeabkommen des im Jahr 2012 auslaufenden Protokolls fehlt somit gegenwärtig die Basis.
Das 2°C-Ziel: eine nette Utopie?
Im Jahr 2010 betrugen die CO₂-Emissionen weltweit 30.6 Gigatonnen, fast 5% mehr als vor der Rezession des Jahres 2009. Obwohl ca. 40% dieses Ausstosses auf die Industrieländer entfallen, stammen 75% der jüngsten Emissionssteigerungen aus Schwellen- und Entwicklungsländern.¹
Schreibe man diese Entwicklung fort, so der Chefökonom der Internationalen Energieagentur IEA, Fatih Birol, werde die Erreichung des 2°C-Ziels nur noch «eine nette Utopie» sein. Ausschliesslich mit «mutigem, entschiedenem und raschem Handeln», meint er, könnten höhere Klimarisiken abgewendet werden.²
Diese kraftvolle politische Führung ist jedoch in den Industrie- und Schwellenländern ebenso wenig in Sicht, wie die dafür notwendige breite Unterstützung in der Bevölkerung. Die rechtlich unverbindlichen Emissionsziele und Politikmassnahmen, die im Jahr 2009 in Kopenhagen für die Zeit bis 2020 vereinbart wurden, sind vorläufig die einzige handfeste Grundlage für erwartbare Emissionstrends. Mit diesen Selbstverpflichtungen bleiben die Annex-I-Länder jedoch zwischen 7 und 22 Prozentpunkte unter dem Pfad der Emissionsminderung, mit dem das 2°C-Ziel erreicht werden soll (das wären Einsparungen von 25 – 40% gegenüber 1990); Schätzungen für die Nicht-Annex-I-Länder indizieren, dass diese die erforderlichen Einsparungen um 15 – 30% gegenüber einem «Business-as-usual»-Szenario um 4 bis 19 Prozentpunkte verfehlen werden.³
Ein flexibler «Bottom-up»-Ansatz
Wie lange es dauern wird, bis ein Kyoto-Folgeabkommen zustande kommt und wie dieses ausgestaltet sein wird, ist derzeit nicht prognostizierbar. Wichtig scheint mir deshalb, dass man den in Kopenhagen propagierten Ansatz der «Verpflichtung und Überprüfung» konsequent weiterverfolgt, dass man über Massnahmen zur Korrektur erkennbarer Pfadabweichungen von den Verpflichtungen möglichst rasch verhandelt und die Verpflichtungen von Vorreiterländern vielleicht sogar steigern kann.
Anreize für zusätzliche Verpflichtungen von Nicht-Annex-I-Ländern könnten beispielsweise dadurch geschaffen werden, dass Annex-I-Länder einen Teil der Kosten dafür übernehmen und/oder ihre eigenen Verpflichtungen ebenfalls erhöhen. Ein solch flexibler «Bottom up»-Ansatz ist für die kommenden Klimaverhandlungen gewiss zielführender, als die wiederholte, beschwörende «Top down»-Forderung eines umfassenden Klimaregimes, das derzeit nicht realistisch ist.
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¹ >International Energy Agency
² >www.guardian.co.uk
³ Umweltbundesamt (Hrsg.) (2010): >Post-2012 climate regime (pdf), S. 10ff. & #8308
Rolf Kappel ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Probleme der Entwicklungsländer an der ETH Zürich. Persönliches Zitat und Biografie
Kommentare (9) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen
Ich möchte hier die Hypothese aufstellen, dass aufgrund der starken Klimaerwärmung eine weitere Wirtschafts-Rezession die Folge ist („double dip “).
Die Transformation der auf der neoklassischen Theorie basierenden Wirtschaft in eine nachhaltige Wirtschaft (Professor Hans Christoph Binswanger http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Christoph_Binswanger) bringt aus meiner Sicht eine neue Rezession. Wir durchgehen folgende Phasen sequentiell resp. parallel: Umwelt- und Nachhaltigkeitsidentifikation, Wirtschaftstransformation, Sozialisation, Innovation und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Anstelle Sozialisation wäre gemäss Schumpeter auch Destruktivität als alternative Phase möglich.
Steigende Sozialkosten sind notwendig, als Sicherheitsnetz für diejenigen, welche durch den Wandel am stärksten betroffen sind, welche die notwendigen Fähigkeiten für eine nachhaltige Wirtschaft und die Energie und Innovationskraft nicht mehr aufbringen können resp. von jüngeren und billigeren Arbeitskräften substituiert werden. Innovationsschub und neue Unternehmungen können nur durch Milliardeninvestitionen in die Forschung ermöglicht werden. Dies ist notwendig, um den Paradigmenwechsel in den primären, sekundären und tertiären Wirtschaftssektoren (z.B. Agronomie, Energie, Ressourcen, privater und öffentlicher Transport, Infrastruktur, Finanzen, Investitionen) zu ermöglichen, um eine stark zunehmende Klimaerwärmung zu stoppen.
Auch starke soziale Veränderungen sind notwendig: weg von Egozentrismus zu einer integrierenden, offenen und multikulturellen Gemeinschaft, eine Demokratie, welche sich mit Offenheit, Ethik, Fairness und Transparenz identifiziert und fördert. Auch deshalb, weil 15% der Weltbevölkerung und zukünftig mehr an den Folgen des Klimawandels leiden, aufgrund von Wasser- und Nahrungsmangel, und teils zu Klimaflüchtlingen gezwungen werden (Josette Sheeran, World Food Programme http://www.ted.com/talks/josette_sheeran_ending_hunger_now.html )
Sehr geehrter Herr Professor Kappel,
Sie schreiben „Aber man steht in diesen Ländern [China, BRIC] noch näher an der Startlinie als bei uns, und die Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt hat hohe Priorität – da haben sie recht. „
Tatsächlich ist der Klimawandel nur eines von vielen Problemen dieser Erde und Klimapolitik hat oft nicht die höchste Priorität. Das passt auch zur Bemerkung von Michael Dittmar „Das CO2 Problem ist doch nur eines von vielen“
Es wäre deshalb klug, Probleme, die scheinbar verschieden sind, aber ähnliche Grundursachen haben, gemeinsam anzugehen.
Ein gutes Beispiel ist die zunehmende Verknappung von Rohöl, die auf die Kombination von 1) Mangel an verbleibenden kostengünstigen Erdölreserven und 2) starkem Wachstum in den Schwellenländern mit Aufstieg von vielen Millionen Menschen in den autofahrenden Mittelstand zusammenhängt.
Ein steigende Rohölkonsum ist aber schlecht fürs Klima und er bedroht über steigende Preise die Weltwirtschaft, bedeutet doch eine Preissteigerung von 50 Dollar/Barrel, dass die Welt zusätzlich 3% des Welt-Bruttoinlandprodukts für Öl ausgibt.
Hier hätten wir also eine erwünschte Snyergie: Würde der Westen seinen Ölkonsum deutlich reduzieren – wie auch von der internationalen Energieagentur empfohlen – würde sich das positiv auf die Weltwirtschaft und auf das Klima auswirken.
Doch leider passiert in dieser Beziehung gar nichts und man kann Michael Dittmar recht geben wenn er schreibt: „Unsere Kultur scheint unfehig darauf zu reagieren“
Auch die jüngere Geschichte – Immobilienblase, Finanzkrise, Überschuldung – scheint zu bestätigen: Die Krise voraussagen und davor warnen – und diese Krisen waren voraussehbar und es wurde davor gewarnt – , nützt wenig und verhindert die Krise selbst nicht. Es scheint Krisen und Katastrophen zu brauchen und man kann nur hoffen, dass sie nicht allzu grosse Rückschläge mit sich bringen.
@roger meier
“freiwillig zu Emissionsbegrenzungen bis 2020 verpflichtet”
das kennt man ja, diese Verpflichtungen. Griechenland, Portugal etc. haben sich auch dazu verpflichtet, nicht mehr als 3% Defizit zu generieren….
Genau, und das hat nie jemand ernsthaft überprüft, nun haben wir den Schlamassel. Sollen wir das mit dem Klima ebenfalls so machen?
Das CO2 Problem ist doch nur eines von vielen!
Unsere Kultur scheint unfaehig darauf zu reagieren..
genau wie auf die anderen Probleme auch
wie zum Beispiel dieses:
„Scientists Warn That Ocean’s Marine Life on „Brink of Extinction““
http://www.truth-out.org/scientists-warn-oceans-marine-life-brink-extinction/1308765143
„freiwillig zu Emissionsbegrenzungen bis 2020 verpflichtet“
das kennt man ja, diese Verpflichtungen. Griechenland, Portugal etc. haben sich auch dazu verpflichtet, nicht mehr als 3% Defizit zu generieren….
Aber egal, wir brauchen CO2-Emissionsbegrenzungen etwa so dringend wie haemorrohagisches Fieber
Sehr geehrter Herr Holzherr
Bislang haben sich 41 Annex-I-Länder und 19 Nicht-Annex-I-Länder, die zusammen etwa 80% des globalen CO2 emittieren, freiwillig zu Emissionsbegrenzungen bis 2020 verpflichtet. In meinem Blogbeitrag plädiere ich dafür, diese „kritische Masse“ zu nutzen, und in den kommenden Verhandlungen diese Länder dort abzuholen, wo sie sich selbst positioniert haben. Verhandlungen über mögliche Steigerungen dieser eigenen Verpflichtungen, nach dem Prinzip des „quid pro quo“, scheinen mir derzeit grössere Erfolgschancen zu haben als Verhandlungen über Emissionsminderungsziele, die (nach den gegenwärtig zugrundeliegenden Pfaden) zur Einhaltung der Zwei-Grad-Grenze erreicht werden müssten.
Wenn man im grossen Massstab und (im Vergleich zu anderen Emissionsbegrenzungen) wettbewerbsfähig CO2 abscheiden und sicher endlagern könnte, dann wäre das gewiss ein willkommener, und dann ja auch gewichtiger, Beitrag zum Abbau von Emissionen. Aber wir werden klug daran tun, alle kosteneffizienten Optionen zu nutzen.
Ich bin zur Zeit in China, dessen Entwicklung ich seit 30 Jahren verfolge. Hier, wie in anderen dynamischen Schwellen- und Entwicklungsländern, gibt es ein grosses Potenzial an relativ kostengünstigen Emissionsbegrenzungen. Die Bereitschaft, dieses Potenzial möglichst weit und rasch auszuschöpfen, ist vorhanden – das ist auch an den Fortschritten bei der Steigerung der Energieffizienz und der Nutzung erneuerbarer Energiequellen abzulesen. Aber man steht in diesen Ländern noch näher an der Startlinie als bei uns, und die Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt hat hohe Priorität – da haben sie recht. Deshalb mein Vorschlag, das „quid pro quo“-Verhandlungsprinzip zusätzlich mit Kostenteilungen anzureichern.
@Kommentar von Roger Meier. 18.07.2011, 12:48
Sehr geehrter Herr Meier,
Wie sie selber schreiben, muss radioaktiver Abfall kein unlösbares Problem sein. Also sollte auch Kohlendioxid kein unlösbares Problem sein. Allerdings haben sie recht, dass sowohl radioaktiver Abfall als auch eingelagertes Kohlendioxid Gefahren mit sich bringen. Man sollte nur sehr sichere Lager für radioaktiven Abfall verwenden und nur sehr sichere Lager für Kohlendioxid. Lieber nur wenige, dafür sichere Lager. Das Kohlendioxid kann ja dann per Pipeline zu diesem sicheren Lager gepumpt werden.
Kohlendioxidabscheidung??
Und wohin mit dem Ganzen? In den Boden pressen?
Die Ökobewegung wird immer absurder. Ein paar Fässer mit radioaktivem Material, in Glas eingegossen, darf man keinesfalls verbuddeln. Man weiss ja nie, vielleicht vergessen die Leute in 10’000 Jahren, dass da mal ein Endlager war (heute ist ja jede kleine Verschmutzung im Kataster eingetragen, aber nach nochmals 10’000 Jahre Entwicklung kann man das plötzlich nicht mehr, aber tiefe Löcher graben wird man noch können ?!?).
Aber tausende Tonnen eines bei hohen Konzentrationen giftiges Gases darf man in den Boden pressen. Da ist es viel viel sicherer als die Fässer.
Sehr geehrter Herr Professor Kappel,
Sie schreiben von
Top-Down versus Bottom-Up Ansatz, Ansatz der «Verpflichtung und Überprüfung», Steigerung der Verpflichtung von Vorreiterländern.
Könnte es nicht sein, dass alle diese Begriffe darüber hinwegtäuschen, dass der ganze Kyoto- und Postkyoto-Ansatz, in dem die wenigen Teilnehmerlander wie bei einer Olympiade darum konkurrenzieren, wer mehr versprechen kann, zum Scheitern verurteilt ist? Darum zum Scheitern verurteilt ist, weil die technischen Voraussetzungen fehlen um den Verzicht auf fossile Rohstoffe mit dem weiterhin angestrebten Wirtschaftswachstum in Einklang zu bringen.
Der treibhausbedingte Klimawandel ist ein globales Problem und kann nur gelöst werden wenn alle wirtschaftlich relevanten Akteure zunehmend auf fossile Rohstoffe verzichten. Und leider ist ein Land ein umso grösserer Emittent von Treibhausgasen je besser sich seine Wirtschaft entwickelt und je weiter weg es noch vom Wohlstand der reichsten Industrieländer ist. Nur reiche Industrieländer wie Deutschland können sich Solarpanels leisten. Man findet sie deshalb dort und nicht im sonnenverwöhnten Nordafrika oder in China. China und Indien haben ihre CO2-Emissionen in den letzten 10 Jahren weit stärker gesteigert als die Industrieländer und werden wohl bald zu ihnen aufschliessen – nicht nur was den Wohlstand angeht sondern auch was die Emissionen betrifft. China, Indien und sogar Deutschland setzen weiterhin auf Kohlekraftwerke und alle Kohlekraftwerke zusammen emittieren 11 von weltweit 32 Gigatonnen emittiertem CO2.
Wo müsste man also ansetzen? Ganz klar bei den Emissionen aus Kohlekraftwerken, zumal diese eine Lebenszeit von 50 Jahren haben. Anstatt Kyoto und Postkyoto voranzutreiben sollte man die Kohlendioxidabscheidung und -Speicherung aus Kohlekraftwerken vorantreiben und sie weltweit durchsetzen. Nicht mehr freiwillig sondern überwacht von einer Behörde wie der ICE-Agency, der International Coal Exit…
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