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CO2-Reduktion im Inland – mehr Schaden als Nutzen

05.04.2011 von

Am 8. März 2011 hat der Ständerat beschlossen, dass die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 20 Prozent einzig mit Massnahmen im Inland verringern soll. Der Ständerat hat sich damit über den Vorschlag seiner vorberatenden Kommission, die Empfehlungen der Kantone sowie über die Einschätzung des Bundesrates hinweggesetzt. Dieser Entscheid ist nicht nur politisch sehr ungewöhnlich. Er schadet letztlich auch dem Klimaschutz.

Energiebedarf in Entwicklungsländern wird massiv steigen

Gemäss dem «world energy outlook» von November 2010 der Internationalen Energie Agentur wird der Primärenergiebedarfs der Entwicklungs- und Schwellenländer von heute 6500 Millionen Tonnen Erdöl-Äquivalent (Mtoe) ansteigen auf geschätzte 10’700 Mtoe im Jahr 2035. Demgegenüber nimmt der Bedarf der OECD-Länder von heute 5400 Mtoe auf lediglich 5600 Mtoe im 2035 zu. Über 95% des zukünftigen Mehrbedarfs an Energie werden somit in den nächsten 25 Jahren von den Schwellen- und Entwicklungsländern beansprucht. Der grösste Teil davon dürfte mit der kostengünstigen und in fast unbegrenzten Mengen verfügbaren Steinkohle gedeckt werden. Kohle ist der Energieträger mit dem grössten CO2-Ausstoss pro Energieeinheit und damit für den Klimaschutz besonders problematisch. Um in den Entwicklungs- und Schwellenländern den Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung zu ermöglichen, sollten Fehlentwicklungen wie der Ausbau der Kohleverstromung deshalb unbedingt vermieden werden. An deren Stelle sollen klimafreundliche und effiziente Technologien eingesetzt werden. Hier hat die Schweizer Exportindustrie enormes Potenzial. So können Cleantech-Innovationen in einem wesentlich grösseren Markt als nur in der Schweiz verkauft werden. Wenn solche Projekte jedoch nicht mehr als Beitrag der Schweiz zum Klimaschutz angerechnet werden können, geht ein entscheidender Investitionsanreiz verloren.

Ausgewogener Mix in- und ausländischer Massnahmen wäre zielführend

Da nur noch Inlandmassnahmen angerechnet werden sollen, erhöhen sich die Herstellungskosten und verschlechtert sich die Standortattraktivität für den industriellen Sektor. Dies führt zwangsläufig zur Verlagerung der Produktion aus der Schweiz (Carbon Leakage) und zu zusätzlichen Transportwegen in der Wertschöpfungskette und somit zu deutlich mehr CO2-Emissionen. Eine Produktionsverlagerung in Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien, die sich zu keinen Emissionsbegrenzungen verpflichtet haben, hat erst recht noch weit grössere Treibhausgasemissionen zur Folge.

Klimaschutzinvestitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern sind meistens wesentlich günstiger als hierzulande, wo bereits ein sehr hohes Niveau an Klima- und Umweltschutz erreicht wurde. Mit einem ausgewogenen Mix von in- und ausländischen Massnahmen kann wesentlich mehr für den globalen Klimaschutz erreicht werden. Der Beschluss des Ständerats schadet dem Klima mehr als er nützt.

Zum Autor

Gastautor Urs Näf ist stellvertretender Leiter Wirtschaftspolitik, Bildung & Energie bei economiesuisse.

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Kommentare (7) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen

Lieber Herr Näf
Genau mit dieser Haltung machen Sie uns, swisscleantech, das Leben leicht. Eigentlich sollte ich mich drüber freuen – doch die Sache geht nunmal vor, also muss ich mich wohl doch etwas aufregen 😉
economiesuisse politisieren am Puls der Zeit vorbei. Sie merken nicht, dass so nicht die Interessen der Schweizer Wirtschaft sondern lediglich diejenigen einzelner Branchen vertreten werden. Das ist, meines Erachtens, als Dachverband der Wirtschaft verantwortungslos. Wir sind nicht Saudi Arabien, Süd Korea oder Island, also sollte auch nicht die Erdölvereinigung, die Auto-Branche oder die Energieintensiven unsere Energiepolitik bestimmen. Wie Prof. Jochem richtig erläutert, sind die Energiekosten für das Gros der Schweizer Wirtschaft im tiefen einstelligen Prozentbereich. Die Risiken der Produktionsverlagerung liegen also sicher anderswo – zu hohe Personalkosten gemessen am Cleantech Wissensstand, fehlender Heimmarkt/Rahmenbedingungen, Ressourcenrisiken, etc.
Fakt ist: Die Zeiten des Neoliberalismus, der unbegrenzten ‚Freiwilligkeit‘ sind vorbei. Es braucht eine nachhaltige Marktwirtschaft die sicherstellt, dass wir langfristigen innerhalb der planetären Limiten bewegen.
Sie haben recht, dass der Entscheid im Ständerat, und zuvor im Nationalrat, ‚ungewöhnlich‘ war. Die Räte sind der Haltung vom Wirtschaftsverband swisscleantech gefolgt – und nicht der der economiesuisse. Ändert sich nichts an Ihrer Politik (und ich meine ‚Politik‘ und nicht das Aufsetzen einer ‚Umwelt & Technologie Gruppe‘ oder das Schönreden der ‚Grünen Wirtschaft‘) dann müssen Sie sich wohl ans Ungewöhnliche gewöhnen. Die Unterstützung von swisscleantech in Sachen CO2 Gesetz hat gezeigt, dass immer mehr Schweizer Firmen die Chancen einer griffigen CO2 Politik, d.h. die Chancen von Cleantech, erkennen und nicht länger gewillt sind auf economiesuisse zu warten. Wir haben beim CO2 fast 300’000 Arbeitsplätze vertreten (Coop, SBB, Swisscom, Roche, Cisco, Migros, etc, http://www...

Herr Urs Näf argumentiert allgemein und ohne Fakten. Die Fakten sind folgende:
1. die Energiekosten an den Produktionskosten Schweizer Industrie liegen unter 2%, in den seltensten Fällen weniger Produktgruppen der Schweizer Grundstoffindustrie liegen sie bei 10% und sind veilleicht für carbon leakage ein Kandidat (siehe Punkt 2).

2. Die Produktionsverlagerung hängt von mehreren Faktoren ab, darunter insbesondere: Kundennähe und Nähe zu den Wachstumsmärkten, Lohnkostenniveau (mit Lohnkostenanteilen von 25 bis 40% und nicht mit 2% für Energie). Produktqualität (die in vielen Schwellenländern wegen mangelnden Fachpersonals gar nicht erreicht werden kann) sowie Dienstleistungs- und Wartungsqualität (aus gleichem Grund).

3. Die beschleunigte Realisierung von Energieeffizienz-Massnahmen in den Modellen der EnAW (EnergieModell und KMU-Modell) führt aufgrund der Auswertung vergleichbarer Initialberatungs- und Monitoring-Berichte in Deutschland bei einer durchschnittlichen internen Verzinsung von mehr als 30% zu Netto-Gewinnen von ca. 10 bis 20 CHF je vermiedene Tonne CO2, d.h. die Wettbewerbsposition der Schweizer Industrie würde gestärkt.

4. Investitionen in Energie- und Materialeffizienz führen zu mehr Investitionen und Arbeitsplätzen heute, substituieren Energie und Rohstoffe für Jahrzehnte und passen somit in die demographische Entwicklung der Schweiz. Die Investitionen führen auch zu weiteren Lern- und Skaleneffekten und senken damit die Kosten der Effizienztechniken.

Der Ständerat hat die Fakten wahrgenommen und entsprechend sachgerecht und verantwortungsvoll entschieden. Wann nimmt economiesuisse die Erkenntnisse der jüngeren Wirtschaftsforschung im Interesse seiner eigenen Mitglieder wahr? Wann wehrt sich swissmem gegen eine falsche Argumentation des Dachverbandes?

Lieber Herr Näf,
Mit Ihrem Beitrag versuchen Sie einmal mehr zu suggerieren, dass mit der unambitionierten 10%-10%-Variante mehr für’s Klima getan werden kann:
„Klimaschutzinvestitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern sind meistens wesentlich günstiger als hierzulande… Mit einem ausgewogenen Mix von in- und ausländischen Massnahmen kann wesentlich mehr für den globalen Klimaschutz erreicht werden.
Als in Marktfragen versierte Person sollten Ihnen bewusst sein, dass in einem Cap&Trade-System Übererfüllung nicht möglich ist. In unserem bestehenden Klimaregime sind 20 Prozent 20 Prozent und bleiben 20 Prozent, ob im In- oder Ausland, macht da keinen Unterschied.
Im Klartext heisst das: Wenn economiesuisse in jeder zweiten Mitteilung darauf hinweist, dass Emissionsreduktionen im Ausland X-fach kostengünstiger sind als in der Schweiz, dann bedeutet das nicht, dass wir dadurch X-mal mehr für den Klimaschutz tun, sondern dass wir genau gleich viel tun, es für uns bestenfalls einfach X-fach günstiger ist.
Wie Sie jedoch richtig feststellen, ist der Bedarf für klimaeffiziente Technologie in den Entwicklungsländern enorm. Herr Schloendorn hält hier richtig fest: es braucht beides! Wollen wir, dass die Schwellenländer beim Klimaschutz mitziehen, müssen auch wir ambitionierte Reduktionsziele anstreben (Stichworte: Vorbildfunktion, Exportierbarkeit).
Genau deshalb gibt das sich in Revision befindende CO2-Gesetz dem Bundesrat die Kompetenz, das Reduktionsziel freiwillig zu erhöhen und davon Dreiviertel im Ausland zu erreichen (Art. 3 Abs. 1bis). Wenn Sie für den Klimaschutz mehr tun möchten, kann deshalb der logische Schluss nur sein, sich für 30-40% Reduktion einzusetzen (22.5% Inland + 7.5% Ausland oder sogar 25% Inland + 15% Ausland). Es gibt keinen Grund dieses Gesetz zu bekämpfen, denn genau so kann „wesentlich mehr für den globalen Klimaschutz erreicht werden “ – und im gleichen Zug auch für die hiesige Wirtschaft.

Der Beschluss des Ständerats ist absolut richtig. Wir müssen zuerst bei uns beginnen!
Und das beginnt mit der Förderung der neuen erneuerbaren Energie. Damit haben wir einen direkten und nachhaltigen Einfluss auf die angestrebte Reduktion des CO2 in der Schweiz.
Damit erledigt sich die Diskussion über die von den Stromkonzernen (auch Mitglieder bei economiesuisse) immer wieder prognostizierte Stromlücke ebenfalls. Die Stromkonzerne sind damit auch nicht mehr „gezwungen“ in, im höchsten Masse umweltschädliche, Kohlekraftwerke (CO2-Schleudern) im Ausland zu investieren. Denn es ist doch Augenwischerei, wenn die Mitglieder von economiesuisse Projekte zur CO2-Reduktion in Entwicklungsländern unterstützen und die Stromkonzerne gleichzeitig Kohlekraftwerke in Europa (Deutschland, Italien, usw.) planen und bauen, von denen ein einzelnes Werk fast so viel CO2 pro Jahr emittiert wie der gesamte Auto-Verkehr in der Schweiz.

Entgegen meiner ueblichen Position gegenueber dem economie-suisse denken muss ich Herrn Naef ausnahmsweise (zumindest teilweise) rechtgeben: Klimapolitisch waere es absolut angemessen wenn sich die Schweiz auch Ziele zur Emissionsreduktion im Ausland setzen wuerde, sprich 20% im Inland + XX% im Ausland.
Fuer die Finanzierung von Emissionsreduktionen im Ausland stehen bereits heute viele Wege offen viele Wege offen und Schweizer Firmen zaehlen zu den innovativsten in der Entwicklung neuer, effizienterer Mechanismen. Leider kommen die Auftraege jedoch meist aus Deutschland oder von der Weltbank – hier gibt es viel potential und Aufholbedarf!

«Der Kopf ist rund, damit das Denken auch mal eine andere Richtung einschlagen kann.» Wer wie Urs Näf nur in Kategorien des Marktes und der Preise denkt, beweist, dass er auch nach Fukushima nicht von den Rundungen des Kopfes Gebrauch machen will. Wenn ein GAU wie Fukushima nicht ausreicht, um in andere Richtungen zu denken, was braucht es denn noch?
Die Schweiz lebt seit der Industrialisierung sehr gut von ihren Erfindungen und Innovationen. Jetzt ist Erfinder- und Innovationsgeist wieder gefragt: Eine nachhaltige, suffiziente und effiziente Lebensweise müssen wir erfinden, das hat Zukunft und lässt sich auch auf dem Weltmarkt verkaufen. Die Erfolgsgeschichte von «Mobility» ist eine solche zukunftsweisende Innovation, die zeigt, dass es vielleicht zukünftig weniger um neue Maschinen und neue Technologien geht und mehr um intelligente Anwendungen, um kluge Organisation, um cleveres Design von Abläufen und auch um ein neues Bewusstsein im neuen Jahrtausend.
Wir von «Mein Klimatag» arbeiten daran, http://www.meinklimatag.ch.

Sehr geehrter Herr Näf,
in diesem Beitrag steigern sie den potentiellen Nutzen von Massnahmen zur Emissionsreduktion im Ausland fast ins unermessliche und suggerieren mit der Aussage
„Um in den Entwicklungs- und Schwellenländern den Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung zu ermöglichen, sollten Fehlentwicklungen wie der Ausbau der Kohleverstromung deshalb unbedingt vermieden werden. An deren Stelle sollen klimafreundliche und effiziente Technologien eingesetzt werden. Hier hat die Schweizer Exportindustrie enormes Potenzial.“
wir könnten durch Hilfe aus der Schweiz verhindern, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer auf Kohle als Hauptenergiequelle setzen. Sie verkennen aber, dass die Ausrichtung der Energieinfrastruktur schon immer und in allen Ländern stark von politischen, auch national grundierten Interessen geleitet war und ist und die Wahl der Energiequellen einen Kostenvorteil und möglichst wenig Abhängigkeit vom Ausland bringen soll. Weil Energiepolitik aber politisch so stark besetzt ist, werden Länder mit einigem Selbstbewusstsein wie China oder Indien sich kaum von Ausländern dreinreden lassen – allenfalls sind sie froh um Unterstützung für Projekte, die sie ohnehin schon planen. Am meisten Einfluss nehmen können westliche Firmen und Länder wohl in den klassischen Entwicklungsländern. Allerdings fehlt dort oft die Kontinuität und wo Klimaschützer einige Windräder aufstellen, die im günstigsten Fall sogar ans Netz angeschlossen sind, kann schon ein paar Jahre später ein Kohlekraftwerk stehen.
Für eine CO2-Reduktion im Inland spricht folgendes:
– Das Ziel, bis 2050 nur noch 1 Tonne CO2 pro Kopf und Jahr zu emittieren gilt für jedes Land – auch für die Schweiz. Es lässt sich nicht ins Ausland delegieren
– Die Industrieländer und damit auch die Schweiz haben mehr finanzielle und organisatorische Mittel dies zu erreichen als andere
– Nur was bei uns funktioniert kann exportiert werden.

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