Japan zeigt die Problematik grosser Systeme
15.03.2011 von
An dieser Stelle sollte ursprünglich ein Artikel über den aktuellen Stand unseres Projektes in Japan stehen. Durch hygrothermische dynamische Simulationen haben wir in den letzten zwei Jahren für diese Region bauphysikalisch funktionierende Gebäudehüllen entwickelt, die energieeffiziente Wohngebäude ermöglichen. Damit könnten die Emissionen und der Energiebedarf des japanischen Gebäudeparks signifikant reduzieren werden.
Fokus des Artikels wäre ein Einblick in soziokulturelle Zusammenhänge gewesen: Die Auswirkung des sich immer schneller ändernden Nutzerverhaltens auf die bauphysikalischen Ansprüche an die Gebäudehülle.
Die Sorge um Projektmitarbeiter bedrückt
Angesichts der aktuellen Situation in Japan muss der geplante Beitrag zurückstehen. Viele Projektmitarbeitende haben seit teilweise über 20 Jahren Freunde, Bekannte und Familien in Japan. Die Netzwerke und zahlreichen Kontakte, die ein solches Projekt erst ermöglichen und die notwendige Basis an Vertrauen schaffen, versetzen uns jetzt in Sorge. Von einigen Freunden im Nordosten Japans, wo die regionalen Produktionsstätten der Gebäudehüllen liegen, haben wir zum aktuellen Zeitpunkt noch keine Nachricht. In den vergangenen Tagen haben wir mit zahlreichen Mails versucht, einen Überblick zu gewinnen.
Alle Rückmeldungen aus dem direkten Projektumfeld gaben bisher Anlass zur Erleichterung. Es ginge allen entsprechen der Umstände gut, auch wenn man so etwas noch nie erlebt habe. Trotzdem bedrücken die Anzahl der Opfer und die immer noch kritische Situation in den Kraftwerken.
Die nachhaltigste Energie ist diejenige, die wir nicht brauchen
Das Erdbeben markiert einen Einschnitt, nicht nur in Japan. Es führt deutlich vor Augen, dass die Atomkraft letzten Endes nicht beherrschbar ist. Auch in Japan nicht, das international sicherlich die höchsten Standards für Erdbebensicherheit hat ebenso wie einen vorbildlichen Katastrophenschutz. Unwohl wird einem bei dem Gedanken, dass auch in den 2006 durch den Tsunami überfluteten Regionen Reaktoren im Bau waren – in Ländern mit deutlich geringeren Standards.
In dem in letzter Zeit sehr emotional geführten Dialog um Atomenergie kann den Beteiligten die Lage in Japan eine Erkenntnis deutlich vor Augen führen: Grossmassstäbliche, zentralisierte Systeme sind störanfällig, ob es sich nun um Atomkraft handelt oder andere Energiequellen. Die einzige wirklich ungefährliche und umweltverträgliche Energie ist letzten Endes diejenige, die nicht benötigt wird.
In diesem Sinne äusserte sich diesen Montagmorgen auch Prof. Ando, der Leiter des mit uns kooperierenden Lehrstuhls an der Universität Tokyo. Er hoffe, durch die Zusammenarbeit mit unserer Gruppe und mit unserem Projekt in Zukunft einen Beitrag dazu leisten zu können, dass künftig weniger Energie verbraucht werde und damit auch weniger produziert werden müsse.
Zum AutorHolger Wallbaum ist Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich (Persönliches Zitat und Biografie). Er hat den Beitrag gemeinsam geschrieben mit seinem Oberassistenten Dr. York Ostermeyer.
Kommentare (8) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen
„Doch werden diese Länder und ihre Menschen jetzt weniger Energie brauchen. Das bezweifle ich.“
nein, sie werden weniger nutzen!
Ob sie wollen oder nicht.
“Die nachhaltigste Energie diejenige, die wir nicht brauchen”
Stimmt. Deutschland schaltet jetzt 7 AKW’s auf einen Streich ab, die Schweiz vielleicht eines, andere Länder überdenken ihre Ausbaupläne – was AKW’s betrifft. Doch werden diese Länder und ihre Menschen jetzt weniger Energie brauchen. Das bezweifle ich.
Meine Prognose: Alle anderen Energien, vor allem aber die wohlbekannten fossilen Energiequellen sollen in die Lücke springen. Es könnte durchaus sein, dass Fukushima und die Folgen uns näher an den Punkt bringen, wo selbst die fossilen Energien knapp werden – oder aber an den Punkt, wo uns das Kupfer für die geplanten tausenden von Kilometern Stromleitungen für das Supernetz ausgeht.
Hoi Martin,
„Es gibt jedoch keinen einfachen und bequemen Weg“
(zurück in eine Welt)
lassen wir mal das „zurueck“ beiseite
wie waere es mit „vorwaerts in eine nachhaltige Welt“
aber ja, wir suchen doch schwierige Probleme
packen wir es an.
@Kommentar von Roger Meier. 16.03.2011, 8:09
@Professor Wallbaum
Zitat: Professor Wallbaum: „“Es führt deutlich vor Augen, dass die Atomkraft letzten Endes nicht beherrschbar ist”
Zitat Roger Meier: OK. Und ist z.B. die Wasserkraft beherrschbar?
Ist Erdöl beherrschbar (Deep Horizon)?
Hier möchte ich Roger Meier recht geben. Vielleicht ist viel weniger beherrschbar als wir in der ersten Euphorie glauben.
Lokale Katastrophen gab es allerdings immer wieder, ohne dass das die Menschen in anderen Weltgegenden kümmern musste. In eine neue Dimension steigen wir, wenn lokale Katastrophen globale Auswirkungen haben. Und genau das scheint immer mehr zu geschehen – einerseits weil es Techniken gibt mit globaler Auswirkung (z.B ein Atomunfall mit Emissionen in die Atmosphäre oder ein Nuklearkrieg mit darauf folgendem nuklearem Winter), zum anderen weil wir inzwischen so viele sind, dass durch die schiere Mutliplizität globale Auswirkungen entstehen. Die Klimaänderung durch die Verbrennung der fossilen Brennstoffe ist dafür ein gutes Beispiel, denn der Mensch hat schon früh viel verbrannt – ganze Wälder – ohne dass das globale Auswirkungen hatte. Jetzt jedoch, wo jeder zivilisierte Bürger Tonnen von CO2 ausstösst, erzeugen alle Menschen insgesamt soviel CO2 wie dutzende von aktiven Grossvulkanen zusammen. Wir sind definitiv im Zeitalter des Anthropozäns angekommen, im Zeitalter also, wo menschliche Aktivitäten sogar das Klima und die Geologie der Erde ändern.
Es gibt jedoch keinen einfachen und bequemen Weg zurück in eine Welt, in der unser Impact auf die Umwelt viel kleiner ist, denn die Verminderung des individuellen Fussabdrucks ist ohne Wohlstandsverlust heutzutage schwierig zu realisieren, weil die meisten industriellen und landwirtschaftlichen Prozesse eng mit natürlichen Prozessen verknüpft sind und den Abbau von Rohstoffen, die Emission von Verbrennungsprodukten und die Erzeugung von Abfall beinhalten. Das zu ändern bleibt eine grosse Aufgabe.
„Es führt deutlich vor Augen, dass die Atomkraft letzten Endes nicht beherrschbar ist“
OK.
Und ist z.B. die Wasserkraft beherrschbar?
Hier eine Liste der Talsperrenkatastrophe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Talsperrenkatastrophen
Ist Kohlekraft resp. der Kohlabbau beherrschbar (massenhaft Tote jedes Jahr in Kohleminen)?
Ist Erdöl beherrschbar (Deep Horizon)?
„Die einzige wirklich ungefährliche und umweltverträgliche Energie ist letzten Endes diejenige, die nicht benötigt wird“
Genau!
Interessant wie Katastrophen die Denkweise
von Menschen aendern koennen.
„Grossmassstäbliche, zentralisierte Systeme sind störanfällig, ob es sich nun um Atomkraft handelt oder andere Energiequellen. Die einzige wirklich ungefährliche und umweltverträgliche Energie ist letzten Endes diejenige, die nicht benötigt wird.“
Grosse zentralisierte Systeme? Tokyo, New York, Paris, London,
etc.. oder ist das ein anderes Thema?
aber in dem Zusammenhang..
Wie kann es angehen mein Kommentar zum Thema Wald
wird seit dem 10.3 „geprueft“.
Politisch nicht korrekt?
@ Prof. Wallbaum
Was für ein großartiger und menschlich überaus berührender Beitrag!
Sie sorgen in diesem Blog und mit Ihrer Arbeit für echte und beeindruckende Lichtblicke – hier speziell in einer überaus belastenden und düsteren Situation.
„Die einzige wirklich ungefährliche und umweltverträgliche Energie ist letzten Endes diejenige, die nicht benötigt wird“
Nicht die Realität und vermutlich nicht erreichbar (Leben bedeutet Energieumsatz in irgendeiner Form) – aber das anzustrebende Ideal.
Lassen Sie sich von nörglerischen Einwänden nicht beirren.
Wenn jede neue Forschergeneration zur Annäherung daran eben so viel beiträgt wie die gegenwärtige, ergeben sich für 2050/2100 tatsächlich neue Perspektiven.
Ich wünsche Ihnen aufrichtig Erfolg.
Sehr geehrter Herr Professor Wallbaum,
mir scheint die Aussage „Japan zeigt die Problematik grosser Systeme“ etwas allzu zeitgeistig, im Trend liegend und nicht wirklich der vorliegenden Situation entsprechend. Denn auf das grosse japanische und immer mehr weltweit organisierte Vorwarnsystem für Erdbeben und Tsunamis will wohl niemand verzichten und auch viele andere „grosse Systeme“ – denken sie an das Mobilfunknetz oder GPS – sind nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken.
Sie haben allerdings trotzdem recht: Autonome und autarke Systeme sind vernetzten und interdependenten Systemen vorzuziehen, wenn sie genügen.
Nur darf man sich nicht ein X für ein U vormachen lassen, wofür es leider genügend Beispiele gerade aus dem Energiebereich gibt.
Bekenntnisse zur dezentralen Energieversorgung zum Beispiel entpuppen sich bei genauerem Hinsehen oft als Bekenntnisse nur zur dezentralen Energieerzeugung, nicht aber zur autarken Energieversorgung, gehören zu den gelobten zukünftigen Energiesystemen doch oft tausende von Kilometeren Hochspannungstrasses, die ein Supergrid bilden, in das dann noch viele Smartgrids eingebunden sind.
Die Beschreibung zeigt schon: Ein solches, heute favorisisertes und hochgelobtes vernetztes Energiesystem bildet selbst ebenfalls ein grosses System – und es sage mir niemand, ein solches System sei nicht fehleranfällig.
Autarke Energieversorgung ist heute nicht möglich, weil es keine kostengünstige und effiziente Energiespeicher gibt – also keine Wunderbatterien. Solange es die nicht gibt, ist tatsächlich „Die nachhaltigste Energie diejenige, die wir nicht brauchen“
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