Nichts tun kostet mehr!
20.12.2010 von
Die Welt blickte letzte Woche nach Cancún, wo ein kleiner, aber wichtiger Schritt in Richtung «low carbon society» geglückt ist. Auch die Schweiz hat als Mitglied der Environmental Integrity Group ihren Beitrag geleistet: Umweltministerin Doris Leuthard legte den Fokus auf die ökonomischen Chancen eines globalen Abkommens – eine neue Optik, die auch im kürzlich vom Bund lancierten Masterplan Cleantech zum Ausdruck kommt. Einen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie gebe es nicht, so Leuthard in Cancún. Und: «Etwas tun kostet. Warten, bis andere etwas tun, kostet mehr. Nichts tun kostet sehr viel mehr». Denn «mit Versprechen kommen wir nicht weiter. Alle müssen einen Beitrag leisten. Nur so können wir die Klimablockade überwinden».
Und was macht derweil das Schweizer Parlament? Mitten in den laufenden Verhandlungen lese ich in der NZZ die Kurzmeldung, dass der Nationalrat den Posten der Klimaanschubfinanzierung aus dem Budget 2011 kippen will. Der Ständerat korrigierte den Entscheid umgehend, worauf der Nationalrat einschwenkte. Ständerat und Bundesrat wollen die Entwicklungszusammenarbeit ohne weiteren Streichungen bis 2015 auf 0.5% des Bruttonationaleinkommens erhöhen mit Schwerpunkt im Bereich Klima und Wasser. In der Frühlingssession wird der Nationalrat die Vorlage inhaltlich beraten.
Darum geht’s: Im Kopenhagen Accord, dem zentralen Abschlussdokument der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009, stellten die Industrieländer «Fast Track Money» in Aussicht, um die Entwicklungsländer bei Emissionsreduktion und Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Dass zusätzliche Mittel zur Entwicklungshilfe fliessen, gilt als zentrales Verhandlungsinstrument. Will die Schweiz ihren Einfluss auf dem internationalen Parkett stärken, ist es deshalb fraglich, ob ein weiterer Kompromiss bei den Klimageldern das richtige Signal ist. Selbst krisengeschüttelte Länder wie England stocken trotz rigorosen Sparprogrammen ihre Entwicklungshilfegelder auf – nicht zuletzt als Beitrag zur ökonomischen und sicherheitspolitischen Stabilität des Landes.
Optik der Chancen
Der Schweizer Klima-Polit-Krimi ist aber auch symptomatisch dafür, dass im Parlament in Bern die Chancen eines wirksamen Klimaschutzes immer noch unterschätzt werden: Angesehene Finanzexperten und Technologieanbieter betonen, dass nationale und internationale Regulatorien Markttreiber sind, die der Wirtschaft und dem Finanzplatz Investitionssicherheit geben und die Innovationstreiber sind beim Anschluss an die boomenden Märkte. Zudem stärkt jedes Land, das eine fortschrittliche Klimapolitik betreibt, seinen aussenpolitischen Einfluss und sichert sich die Gewinne des so genannten «First Mover».
«Do the best and offset the rest»
Da die Mühlen der internationalen Politik langsam mahlen, ist es umso wichtiger, dass parallel dazu einzelne Länder, zusammen mit Gemeinden, Firmen und Privaten vorausgehen und auf allen Ebenen ihre Emissionen reduzieren («Coalition of the Willings»). Zusätzliche Emissionsreduktionen können dank flexiblen Mechanismen in Klimaschutzprojekten realisiert werden. Wichtig ist dabei, dass Klimaschutzzahlungen in hochwertige Projekte fliessen, in denen tatsächlich und nachhaltig Emissionen reduziert werden. Es macht keinen Sinn, in billige Ramschpapiere zu investieren und damit Fehlanreize zu setzen. Der Gold Standard, der sowohl für die freiwilligen als auch verpflichtenden Kompensationsprojekte angewendet werden kann, gibt hier eine wichtige Orientierungshilfe: Denn neben den CO₂-Reduktionen werden auch andere Faktoren bewertet, wie z.B. weitere Umweltaspekte, die Förderung nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung im Projektland und Mehrfachnutzen für die lokale Bevölkerung.
Zum AutorGastautor René Estermann ist Geschäftsführer der Stiftung myclimate.
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Im Subtext von «Nichts tun kostet mehr» eröffnet sich eine neue, originelle Interpretation dieses Satzes aus der Cancun-Rede von BR Doris Leuthard. Während Doris Leuthard dem Satz Nichts tun kostet mehr unmittelbar die Begründung nachfolgen lässt (siehe http://www.beobachter.ch/natur/umweltpolitik/klimawandel/artikel/doris-leuthard_nichts-tun-schadet-umwelt-und-menschen/ ): Auf jährlich bis zu 20 Prozen des weltweiten BIP schätzte Sir Nicolas Stern bereits 2006 die Folgekosten eines ungebremsten Klimawandels.
hat man nach dem Lesen des Blogbeitrages von René Estermann den Eindruck, dass es gar keinen Klimawandel braucht, damit Nichtstun mehr kostet. Es sind einfach schon die verpassten Gelegenheiten mit Clean-Tech Geschäfte zu machen, die mehr kosten. Diesen Eindruck hat man auch, wenn man die Broschüre Cleantech Strategie Schweiz (siehe http://www.swisscleantech.ch/images/official_documents/CleantechStrategie/swisscleantech_Cleantech_Strategie_Schweiz_Auflage2_WEB.pdf ) liest. Alles mögliche wird subsumiert unter Cleantech, und vieles davon hat mit einem positiven, sauberen, ressourcenschonenden Image zu tun. Die etwa 30 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, deren Zitate die Broschüre garnieren, brauchen folgende Begriffe besonders häufig: Innovation, Kreativität, Nachhaltigkeit, Ressource, Energieeffizienz, Image, Markt, Sauberkeit. Es sind also viele „weiche“, positiv besetzte Begriffe darunter. Von Treibhausgasreduktion oder Emissionsbeschränkung sprechen die erwähnten Persönlichkeiten kaum, das wäre wohl schon zu technisch. Auch die übrigen Teile der Broschüre ergeben den Eindruck, dass Cleantech ein weiter Begriff ist, der die gesamte Uwelttechnologie inklusive Klimatechnik umschliesst. Cleantech kann auch ohne Klimaproblematik gut leben und baut auf Ideen wie der Energieeffizienz auf, die viel älter sind als das Klimaproblem. Diese Schwammigkeit des Begriffs Cleantech ist wohl auch das Problem von Cleantech. Das wurde in der erwähnten Broschüre auch erkannt und ihm mit Aktionspunkten entgegengearbeitet. Warum braucht es überhaupt diesen Übergriff Cleantech für die vielen Techniken, die Cleantech umfasst? Mir fällt nur ein Grund ein: Cleantech ist auch – und vor allem – ein Marketingbegriff. Es wird nicht nur Technik verkauft sondern auch Image und eine Haltung zur Welt.
Der Artikel von René Estermann bringt die Probleme von Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern gut zum Ausdruck, wenn er schreibt
Wichtig ist dabei, dass Klimaschutzzahlungen in hochwertige Projekte fliessen, in denen tatsächlich und nachhaltig Emissionen reduziert werden. Es macht keinen Sinn, in billige Ramschpapiere zu investieren und damit Fehlanreize zu setzen.
Es sind nämlich die gleichen Probleme, die die Entwicklungshilfe schon hat. Was diese Hilfe genau bewirkt, ist unbekannt oder umstritten. Eigentlich sollte man annehmen, dass Schweizer Entwicklungshilfegeld oder eben auch „Klimaschutzgeld“ immer in Hochwertige Projekte fliesst und nicht in (Zitat)billige Ramschpapiere. Dass der Autor so etwas überhaupt erwähnt, lässt schliessen, dass auch er eine gewisse Skepsis gegenüber der Klimaanschubfinanzierung für Schwellen- und Entwicklungsländer mitbringt.
Sieht man Entwicklungshilfe und damit auch die Klimaanschubfinanzierung als eine Form, wie man Wirtschaftsbeziehungen intensivieren kann und wie die Schweiz ihren Einfluss auf dem internationalen Parkett stärken kann, so scheint sie schon beinahe als Imperativ, den man wahrnehmen muss um seine Chancen zu wahren.
So gesehen verbreitet René Estermann in diesem Blogbeitrag positives Denken. Zu positivem Denken gehört eine gute Portion Hoffnung, das Sehen von Chancen wo es eigentlich nur viele Unbekannte gibt und die Ergebnisoffenheit, die positive Ergebnisse zwar erwartet, aber auch mit negativen Ergebnissen als Ansporn für Verbesserungen und Neuorientierungen leben kann. «Nichts tun kostet mehr», denn (Zitat)jedes Land, das eine fortschrittliche Klimapolitik betreibt, [stärkt] seinen aussenpolitischen Einfluss und sichert sich die Gewinne des so genannten «First Mover».
Fazit:
– Klimaanschubfinanzierung und Klimaschuztprojekte für Entwicklungsländer ist Entwicklungshilfe mit neuem Focus aber denselben Problemen, die zur Entwicklungshilfe gehören
– Klimaschutz wird vom Autor als Teil eines breiteren Entwicklungsziel aufgefasst zu dem auch weitere Umweltaspekte und die Förderung nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung gehören
– Die von den Klimawissenschaftlern geforderte 50% Reduktion der CO2-Emissionen bis 2050 können mit den hier beschriebenen Klimaprojekten mit Mehrfachnutzung für die lokale Bevölkerung wohl nicht erreicht werden (aber wohl auch nicht mit anderer Orientierung der Projekte).
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