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Ökobilanzen gewinnen im Bauwesen an Bedeutung

06.04.2010 von

Ökobilanzen (engl. «Life Cycle Assessment», kurz LCA) liefern Informationen, welche zu einer Verbesserung der Umweltwirkungen eines Produktes führen sollen. Ökobilanzen von Bauprodukten sind seit Jahren etabliert, während Ökobilanzen von Gebäuden erst allmählich Verbreitung finden. Dabei können im Gebäudebereich die Ökobilanzen auf verschiedenen Ebenen eingesetzt werden, beispielsweise bei der Wahl der einzusetzenden Materialien oder bei der Wahl der sinnvollsten Haustechnik. Die Herausforderung besteht, den ganzen Lebenszyklus eines Bauproduktes oder Gebäudes zu betrachten – von der Wiege bis zur Bahre und zurück zur Wiege (Recycling, Weiterverwendung)

Gebäude: komplex und langlebig

Bei einem Gebäude handelt es sich um ein sehr komplexes Produkt, das durch seine Langlebigkeit besonders gekennzeichnet ist. Anders als andere Produkte sind Gebäude in der Regel Unikate und daher schwer untereinander zu vergleichen. Sie haben eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen, an einem bestimmten Ort und während einer bestimmten Zeit. Der Lebensweg eines Gebäudes erstreckt sich von der Rohstoffgewinnung, Baustoffherstellung und Gebäudeerrichtung über die Nutzungsphase bis hin zu Abbruch und zur Entsorgung.

Neben dem Verbrauch an Rohstoff- und Energieressourcen werden bei einer Ökobilanz vor allem die durch Emissionen verursachten Umweltwirkungen betrachtet (wie Treibhauseffekt, Ozonabbau, Versauerung und Eutrophierung).

Grundregeln für Ökobilanzen im Baubereich

Damit wir herausfinden können, welches Baumaterial oder welche Gebäudetechnik für eine bestimmte Bauaufgabe die geringsten ökologischen Auswirkungen hat, müssen wir bei der Ökobilanz verschiedene Grundregeln einhalten:

  • Die so genannten Systemgrenzen müssen für alle Vergleichsvarianten identisch sein. So kann ein Baumaterial, das höhere ökologische Aufwendungen bei der Herstellung hat, über den gesamten Lebenszyklus ökologischer sein, falls die Folgeaufwendungen für Betrieb, Instandhaltung und Entsorgung niedriger sind.
  • Die Datengrundlage soll für alle Vergleichsvarianten dieselbe Verlässlichkeit aufweisen (Aktualität und Genauigkeit). Wenn bei einem Stahlbau nicht die aktuellen Recyclingquoten in Europa berücksichtigt werden, dann ist dieser selten konkurrenzfähig. Bei einem Holzbau ist dafür die Möglichkeit der thermischen Verwertung positiv zu bilanzieren, da es bei diesem weniger fossile Energieträger zur Wärmebereitstellung benötigt.
  • Die ökologischen Wirkungsindikatoren sollen umfassend sein. Es darf kein «cherry picking» entstehen, wo man nur die Indikatoren wählt, die vorteilhaft sind.

Neue Plattform mit Vorbildcharakter

Damit gleichlange Spiesse zum Einsatz kommen, planen die Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane des Bundes (KBOB) gemeinsam und der Verein eco-bau die Plattform «Ökobilanzdaten im Baubereich».

In Kooperation mit der Wirtschaft sollen hier die zur Verfügung stehenden Datengrundlagen zur Durchführung von Ökobilanzen in der Schweiz ergänzt und aktualisiert werden. Dieses nationale Vorgehen hat weltweit Vorbildcharakter und ist ein sehr grosser Schritt Richtung nachhaltiges Bauen in der Schweiz.

Zunehmender Marktdruck

Die Unternehmen der Bauwirtschaft sind zunehmend gewillt sich in diesen Prozess einzubringen: Sie spüren den Marktdruck, nicht nur über die Erstellungskosten einer Immobilie zu orientieren, sondern auch deren ökologische Performance zu kennen. Die Zunahme an Gebäudezertifizierungssystemen, die mehr oder weniger stark auf Ökobilanzdaten abstützen, ist dafür ein untrügliches Indiz. Auch die öffentliche Hand will ihre Bauaufgaben und Vergabepraktiken vermehrt um ökologische Kriterien ergänzen. Für Unternehmen, die Baustoffe und Bausysteme produzieren, ist das Grund genug, sich in diesen Prozess einzubringen.

Zum Autor

Holger Wallbaum ist Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Persönliches Zitat und Biografie

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Kommentare (4) >Alle Kommentare aufklappen>Alle Kommentare zuklappen

Lieber Herr Holzherr
Einen Ansatz dahingehend gibt es zum Glück bereits in der Schweiz. Der vom Bundesamt für Energie, dem Bundesamt für Umwelt und dem Verein ecobau substanziell mit getragene Bauteilkatalog (www.bauteilkatalog.ch) bietet diese einmalige Gelegenheit. Er ist dabei auch dynamisch, in einer erweiterten Lizenzversion erhalten die Nutzenden auch Richtpreise neben der ökologischen Lebenszyklusparametern und die Baustoffhersteller bringen sich dort zunehmend mehr ein, so gerade seitens des Schweizer Stahlbauzentrums (SZS) geschehen.
In einer nächsten Version werden auch eigene Bauteile seitens der Nutzenden angelegt werden und ganze Gebäude in einer frühen Planungsphase überprüft und optimiert werden können.
Wir unterstützen den Anbieter, Holliger Consult, gerne bei diesem Aktivitäten, aber der Markt hat sich der Chancen bereits angenommen – was sehr erfreulich ist. Für uns als Wissenschaftler bleiben noch einige Fragestellungen offen, die wir auch intensiv bearbeiten und dann gegebenenfalls auch in eine der nächsten Aktualisierungen des Bauteilkatalogs einbringen, wenn es den Verantwortlichen sinnvoll erscheint.

Lieber Herr Jost
Ihre Beobachtungen des Marktverhaltens der Liegenschaftsbesitzer deckt sich ganz mit meiner Einschätzung. Die Gründe dafür sind vielfältig, so findet u.a. in den Schweizer Ballungsgebieten kein Wettbewerb um Mietende statt, da wir einen absoluten Nachfragemarkt haben. In anderen Ländern stellt sich die Situation anders dar und es erfolgt ein Wettbewerb um die Mietenden mit gehobenen Gebäudequalitäten, gesünderen Baumaterialien, niedrigeren Nebenkosten etc. – all das fehlt uns in vielen urbanen Räumen in der Schweiz. Vielleicht sind Sie noch ein ein etwas umfassenderen Analyse der Hindernisse für das nachhaltige Bauen interessiert, dann kann ich Sie gerne auf einen Artikel verweisen, der letzten Jahr zu diesem Thema von einer Kollegin an der Universität Zürich und mir verfasst wurde: http://www.ibb.baug.ethz.ch/de/nb/X_dateien/Publications/200908_Wallbaum.Meins_Nicht-Nachhaltiges.Planen.Bauen%2BBetreiben.pdf

Ihren Hinweis zur diesbezüglichen Aufklärung in den Hochschulen nehme ich gerne auf. Ich hoffe, dass wir dahingehend auch weiterhin einen positiven Beitrag leisten können. Leider sind unsere Studierenden aber selten Liegenschaftsbesitzer, so dass sie als Planer mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen haben. Eine Veränderung kann meiner Einschätzung nach nur sehr langsam erreicht werden, und benötigt sehr viele Hebel auf allen Ebenen.

Die Idee einer Oekobilanz für einen bestimmten Gebäudetyp oder ein bestimmtes Bauziel fasziniert mich,
vor allem wenn ich mir die Oekobilanz als dynamisches Modell vorstelle, bei dem Komponenten gegeinander ausgetauscht werden können.

Ich stelle mir vor, dass ein ETH-Institut ein Grundmodell für einen bestimmten Gebäudetyp veröffentlicht (beispielsweise im Internet) und Firmen, die Bauten oder auch nur Bauteile herstellen, Komponenten dann durch ihre eigenen Varianten ersetzen können um zu einem besseren Resultat zu kommen. Quasi ein evolutiver Prozess.
Die veränderten Modell können dann wiederum veröffentlicht werden, womit man Konkurrenten die Gelegenheit gibt, weitere Verbesserungen vorzunehmen.

Herr Prof. Wallbaum,
Gut, dass das Thema Oekobilanz im Baubereich fundiert angegangen wird. Wie aber kann das Bewusstsein dafür bei den Liegenschaftsbesitzern von Mietobjekten geweckt werden, so dass diese sich damit endlich auseinandersetzen und umsetzen was möglich ist. Bei denen ist noch immer die Einstellung verbreitet, die Investitionen in Unterhalt und Erneuerung, möglichst tief zu halten und die höchstmögliche Rendite zu erwirtschaften. Ein sehr kurzsichtiges Agieren. Bis auf die Baugenossenschaften (insbesondere zürcherische) wird noch sehr wenig in die Energie-Fitness von Mietobjekten investiert. Da könnte die Hochschule sich mit einem Angebot zur „Aufklärung“ etwas stärker an diese Gruppe wenden und die Vorteile aufzeigen. Diese zu überzeugen und zum Handeln anzuregen, wäre ein wichtiger Beitrag damit die Hauptzielen, der 2000 W- und 1 to CO2 – Gesellschaft erreichbar werden.

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