Copy & Paste im Jahr 1631: Christoph Scheiners Pantograf

1631 liess der deutsche Physiker und Astronom Christoph Scheiner (1573-1650) in Rom ein Buch drucken mit dem Titel «Pantographice, seu Ars delineandi res quaslibet per parallelogrammum lineare seu cavum, mechanicum, mobile». Übersetzt lautet dieser Titel etwa «Der Pantograf oder die Kunst des Zeichnens mit einem linearen oder geraden, mechanischen und beweglichen Parallelogramm». Ein Blick auf eine der ersten Abbildungen des Drucks auf Seite 25 verdeutlicht, wie Parallelogramme beim Zeichnen helfen sollen:

Schematische Darstellung der Funktionsweise von Pantografen
Abbildung 1: Figuren 7 (“Pro imagine maiore et minore”) und 8 (“Pro imagine aequali”)

Zum einen kann mit einem Pantografen eine Zeichnung vergrössert oder verkleinert werden, was Figur 7 in Abbildung 1 illustriert («Pro imagine maiore et minore»): Die in Punkt E mit einem Stift in der Unterlage fixierte Vorrichtung ist in allen anderen Gelenken beweglich. Wird mit einem in Punkt F angebrachten Stift (Index) den Konturen einer Zeichnung nachgefahren, reproduziert ein Stift in Punkt G die Zeichnung massstabgetreu vergrössert. Umgekehrt kann eine Zeichnung in F verkleinert werden, indem der Stift in Punkt G den Konturen der Vorlage folgt. In ähnlicher Weise kann ein Bild im gleichen Massstab kopiert werden, indem die in Figur 8 dargestellte Konstruktion verwendet wird («Pro imagine aequali»).

Nebenbei bemerkt: Wer sich eingehender mit der Abbildung und ihren mit Buchstaben bezeichneten Punkten beschäftigt, lasse sich nicht verwirren vom Buchstaben «D» am unteren Seitenrand neben dem Wort «locum»:

Am unteren Seitenrand, unterhalb des Satzspiegels befinden sich die Bogensignatur und die Kustode
Abbildung 2: Bogensignatur und Kustode unterhalb des Satzspiegels

Beides hat keine inhaltliche Bedeutung, sondern diente bei der Herstellung des Buches dem Buchbinder dazu, die einzelnen Druckbogen richtig zu falten und beim Binden in der richtigen Reihnenfolge aufeinander zu legen. «D» bezeichnet die vierte Lage, also den vierten, zweimal gefalteten Bogen. Aus den drei gefalteten Bogen davor ergeben sich jeweils 4 Blätter oder 8 Seiten. Der damalige Buchbinder und der heutige Bibliothekar erfreuen sich nun gleichermassen, wenn die Rectoseite (Vorderseite) des Blattes mit der Bogensignatur «D» die Seitennummer 25 trägt, wie es hier der Fall ist.

Beide Anwendungen dienen also dem Zeichnen in der Ebene. Davon handelt laut dem Titelblatt das erste zweier Büchlein, nämlich «… prior Epipedographicen, sive Planorum,» während das zweite, die perspektivischen Aspekte lehrt: «posterior Stereographicen, seu Solidorum aspectabilium vivam imitationem atque proiectionem edocet». Die beiden Anwendungen sind im Kupfertitel des Drucks dargestellt:

Anwendungssituation zweier Pantografen, dargestellt im Kupfertitel.
Abbildung 3: Kupfertitel mit der Darstellung zweier Pantografen

Einen Aufbau für eine Verwendung eines Pantografen für perspektivisches Zeichnen zeigt die Abbildung auf Seite 99 des Drucks:

Darstellung eines Pantografen zur Übertragung einer perspektivischen Situation auf eine Ebene.
Abbildung 4: Darstellung eines Pantografen zum perspektivischen Zeichnen

Die Funktionsweise der Vorrichtung ist im Prinzip die gleiche wie für Zeichnungen in der Ebene. Die vereinfachte Darstellung in Figur 39 auf Seite 96 lässt das erahnen:

Vereinfachte Darstellung eines Pantografen zum Zeichnen einer perspektivischen Situation. Eine Nadel folgt der Vorlage, ein Stift überträgt die Form auf eine Ebene.
Abbildung 5: Vereinfachte Darstellung eines Pantografen zum perspektivischen Zeichnen.

Wer nun einen Pantografen nachbauen möchte, findet die benötigten Einzelteile in der Abbildung auf Seite 12. Die Beschreibung nennt unter anderem «… tres styli. Unus pro centro fixo; alter pro indice; tertius pro calamo», also drei Stifte, davon einer für die Fixierung des (geometrischen) Zentrums, einen zweiten als Zeiger oder Abnehmer und den dritten zum Schreiben bzw. Zeichnen:

Übersicht er Einzelteile, die für den Bau eines Panthografen benötigt werden, unter anderem 3 Stifte
Abbildung 6: “Tres pro parallelogrammo styli”

Quelle und Literatur

  • Christoph Scheiner: Pantographice, seu Ars delineandi res quaslibet per parallelogrammum lineare seu cavum, mechanicum, mobile. Rom 1631. ETH-Bibliothek Zürich, Rar 4098, https://doi.org/10.3931/e-rara-973 / Public Domain Mark
  • Manfred Goebel et al.: Der Pantograph in historischen Veröffentlichungen des 17. bis 19. Jahrhunderts. Halle (Saale) 2003. (Schriften zum Bibliotheks- und Büchereiwesen in Sachsen-Anhalt 84)
  • Rita Haub: Christoph Scheiner: Der Pantograph. Ein Beitrag zur Ausstellung: Sonne entdecken – Christoph Scheiner. Ingolstadt 2000. https://www.ingolstadt.de/stadtmuseum/scheuerer/ausstell/schein11.htm

1 Gedanke zu „Copy & Paste im Jahr 1631: Christoph Scheiners Pantograf“

  1. Christoph Scheiner gilt als Erfinder des Pantografen, auch Storchschnabel genannt. Es gab jedoch bereits im 1. Jh. n. Chr. Pantografen. Sie beruhten nicht auf dem Parallelogramm, sondern auf einem Zahnradgetriebe. Erfinder war Heron von Alexandria.
    Mehr darüber finden Sie in meinen Büchern zur Technikgeschichte. Darin werden auch die mathematischen Grundlagen des Storchschnabels erklärt. Ein international führender Hersteller von Pantografen war Coradi in Zürich.

    Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 1, 1000 Seiten, 577 Abbildungen, 114 Tabellen,
    Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 2, 1000 Seiten, 138 Abbildungen, 37 Tabellen.

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