Jenseits der Steinzeit: Feuerstein als architektonisches Material

Was verbindet Ötzi mit einem sehr eindrücklichen Beispiel zeitgenössischer Architektur in England? Es ist das Material Feuerstein, das einen Bogenschlag von ca. 3200 v. Chr. bis in die Gegenwart ermöglicht – ein knollenförmiges, äusserst hartes Sediment mit muscheligen und scharfen Bruchkanten, zum Teil auch als Hornstein, Silex oder Flint bezeichnet.

Feuersteinknolle aus Siut/Ägypten. Mineralogisch-Petrographische Sammlung der ETH Zürich.
Foto: Bildarchiv ETH Zürich, Epics, Erdwissenschaftliche Sammlung, CC BY-SA 4.0

Mit Feuerstein assoziiert man gewöhnlich nur seine steinzeitliche Verwendung als Ausgangsmaterial für schneidende Werkzeuge und Waffen oder ganz wortwörtlich seine Nutzung zum Feuerschlagen. Die Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen trug einen Dolch mit Feuersteinklinge bei sich, eine Pfeilspitze aus dem Hartgestein steckte in ihrem Schulterblatt.

Steinzeitlicher Dolch mit Holzgriff und Feuersteinklinge, ca. 2900 v. Chr., gefunden in Allensbach am Bodensee in den Abfällen einer Pfahlbausiedlung, Aufbewahrungsort: Archäologisches Landesmuseum Konstanz.
Foto: Opodeldok, CC BY-SA 2.5

In der Schweiz wurde bereits in der Jungsteinzeit vor ca. 8000 Jahren Feuerstein-Bergbau betrieben, Ausgrabungsstätten bei Olten im Kanton Solothurn sowie bei der Löwenburg in Pleigne im Kanton Jura belegen dies.

Weniger bekannt ist die blühende Feuersteinindustrie des 17. und 18. Jahrhunderts, als es für Herrscherhäuser von strategischer Bedeutung war, ausreichende Mengen an sogenannten Flintensteinen zu besitzen. Der Gleichklang der Begriffe Flint und Flinte als Bezeichnung für ein Gewehr ist kein Zufall, war doch der Feuerstein das entscheidende Element für die um 1640 in Frankreich entwickelten Steinschlosswaffen, die rund 200 Jahre lang führend bleiben sollten.

Detail einer Pistole mit Steinschlosszündung und eingespanntem Feuerstein, Kassel, ca. 1720, hergestellt von dem Büchsenmacher und Begründer einer bedeutenden Gewehrmanufaktur Matthias Conrad Pistor, Aufbewahrungsort: Landesmuseum Kassel.
Foto: Matti Östling, gemeinfrei

In jener Epoche war Feuerstein ein strategischer Rohstoff, dessen Verfügbarkeit unmittelbar die Schlagkraft der jeweiligen Streitkräfte bestimmte, weshalb jedes Herrscherhaus, das sich ein eigenes Heer halten wollte, für eine ausreichende Menge an Flintensteinen sorgen musste. Kaiser Franz Joseph II. schrieb 1787 gar eine Belohnung für das Auffinden neuer Feuerstein-Vorkommen aus.

Als architektonisches Material ist Feuerstein hingegen nahezu unbekannt, dabei existiert in den kreidereichen Küstengegenden Englands eine jahrhundertealte Tradition seiner Verwendung als Baumaterial. Sie reicht bis in die Steinzeit zurück, als East Anglia ein Zentrum der Feuersteingewinnung war. In jener Gegend haben sich zahlreiche mittelalterliche Bauwerke aus dem Hartgestein erhalten, wobei es in verschiedenster Form zur Anwendung kam.

Kirche von Stratford St. Mary in der Grafschaft Suffolk, England, 15. Jh. mit einer Fassadenverkleidung aus Feuerstein.
Foto: Geomr~commonswiki, gemeinfrei

An Fassaden wurden entweder die natürlich vorkommenden und unbearbeiteten Knollen, Feuersteine mit naturgespaltener Oberfläche oder quaderförmig behauene vermauert. Oftmals findet sich auch eine Kombination aus behauenem Feuerstein mit anderen Natursteinarten oder Backstein, in England flushwork genannt.

Kirche St. George, Stowlangtoft, Suffolk, England, 14./15. Jh., Fassadendetail mit flushwork.
Foto: Spencer Means, CC BY-SA 2.0

Doch auch in der zeitgenössischen Architektur ist Feuerstein weiterhin von Aktualität – ein Beispiel ist das vielbeachtete Flinthouse des Londoner Büros Skene Catling de la Peña in Waddesdon in der englischen Grafschaft Buckinghamshire.

An der Aussenhaut des von Baron Jacob Rothschild in Auftrag gegebenen, 2015 fertiggestellten, terrassenförmigen Hauses wurde die ganze Palette der verschiedenen Bearbeitungs- und Gestaltungsmöglichkeiten von Feuerstein ausgeschöpft, wobei der ästhetische Ausdruck mit zunehmender Fassadenhöhe immer heller, filigraner und ätherischer wird.

Flinthouse, Waddesdon, Buckinghamshire, England, Skene Catling de la Peña, 2015.
Foto: James Morris

Für den Sockel wählten die Architekten dunkle, grosse, gespaltene, doch ansonsten unbehauene Feuersteinknollen und vermauerten sie mit dunklem Mörtel. Zwischen Sockel und erstem Obergeschoss sind die Fugen zwischen den Steinen mit Feuersteinbruchstücken gefüllt – erst wenige, dann immer mehr. Die Gesteinsknollen werden mit zunehmender Fassadenhöhe immer heller, kleiner und einheitlicher, ab Mitte des ersten Obergeschosses sind sie rechteckig behauen. Im obersten Fassadenabschnitt geht das graue Feuersteinmauerwerk schliesslich in eine helle, ebenmässige Kalksteinfassade über.

Flinthouse, Waddesdon, Buckinghamshire, England, Skene Catling de la Peña, 2015.
Foto: James Morris

Für die Wandflächen der grottenartigen Aussenwände im Erdgeschoss, die einen das Gebäude durchschneidenden Fluss flankieren, wählte man ganze, unbehauene Feuersteinknollen, die fast gänzlich mit einer feinen, hellen Kreideschicht überzogen sind und die Anmutung unregelmässig geformter Kieselsteine haben.

Flinthouse-“Grotte”, Waddesdon, Buckinghamshire, England, Skene Catling de la Peña, 2015.
Foto: James Morris

Wer mehr über Feuerstein erfahren möchte, kann den gleichlautenden Datensatz in der Online-Materialdatenbank www.materialarchiv.ch konsultieren, Feuersteine aus Norfolk im ETH Material Hub auf dem Hönggerberg in die Hand nehmen oder die mineralogisch-petrographische Sammlung am Departement Erdwissenschaften besuchen, wo sich weitere Exponate befinden, die zudem im Bildarchiv der ETH dokumentiert sind.

Literatur:

Hart, Stephen (2000). Flint Architecture of East Anglia. London: Giles de la Mare Publishers Limited.

Hart, Stephen (2008). Flint Flushwork. A Medieval Masonry Art. Woodbridge: The Boydell Press.

Lötscher, Christoph (2014). Das jungsteinzeitliche Silexbergwerk im Chalchofen bei Olten. In: Archäologie Schweiz, Bd. 37, Nr. 4, S. 16–42.

Schmid, Elisabeth (1982). Der neolithische Silex-Bergbau bei der Löwenburg (Pleigne JU). In: Archäologie der Schweiz, Bd. 5, Nr. 2, S. 51–55.

Slotta, Rainer (2. Aufl. 1981). Flint und Flinte: Feuerstein als strategischer Rohstoff. In: 5000 Jahre Feuersteinbergbau. Die Suche nach dem Stahl der Steinzeit, hrsg. v. Deutschen Bergbau-Museum Bochum. Bochum: Deutsches Bergbau-Museum, S. 349–361.

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