Ein Ledereinband mit Blindprägung aus dem 16. Jahrhundert

Der braune Ledereinband ist abgegriffen, leicht fleckig, und die Schliessen fehlen. Dennoch wird er hier als typischer Vertreter für die Bucheinbände der Frührenaissance im deutschen Sprachraum vorgestellt.

Vorderseite des Einbandes von Rar 91 q

Der Ledereinband ist mit Blinddrucktechnik verziert. Die kleinteiligen Motive kommen ohne Farbe, sondern einzig durch die Licht-Schatten-Wirkung der Höhenunterschiede der Prägung zur Geltung. Mehrere ineinander verschachtelte Rahmen mit fein geschnittenen figürlichen Darstellungen werden von schlichten Streicheisenlinien aufgelockert, die noch an die Zeit der gotischen Einbände erinnern. Für den Renaissancestil stehen die Stempel- und Rollendrucke.

Bei diesem Einband kamen zwei Prägestempel bzw. Rollen mit unterschiedlichen Motiven zum Einsatz. Im äussersten Rahmen wechseln sich Pflanzenkandelaber mit drei verschiedenen Profilbüsten ab (auf der Gesamtaufnahme leider nur schlecht erkennbar). Die beiden inneren Rahmen wurden einer zweiten Rolle geprägt. DIe vier folgenden biblischen Motive wiederholen sich mehrmals.

Einzelbilder der Stempelrolle (von links nach rechts): Adam und Eva, Erhöhung der Schlange, Kruzifix mit Jahreszahl 1541, Christus mit Siegesfahne entsteigt dem Grab

Diese Bilderfolge war um die Mitte des 16. Jahrhunderts recht verbreitet; eine Datenbank für Prägestempel-Einbände weist sie mehrmals nach. Die Szenen sind nach einem vom Frühchristentum bis ins Mittelalter gern und oft verwendeten theologischen Erklärungsschema, der sogenannten Typologie ausgewählt. Episoden aus dem Alten und dem Neuen Testament werden zueinander in Beziehung gebracht. So steht die Erhöhung der Schlange durch Moses (Joh. 3.14) als Präfiguration oder Prophezeiung da, die mit der Kreuzigung Christi in Erfüllung geht. Und der Sündenfall von Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis führt durch die Auferstehung Christi zur Erlösung.

Die Jahreszahl 1541 unter dem Querbalken des Kreuzes sagt uns, dass die Stempelrolle in diesem Jahr gefertigt wurde. Das Buch und sein Einband sind eine Generation jünger: Gedruckt zu Franckfurt am Meyn/ bey Georg Raben, Sigmund Feyerabend und Weygand Hanan Erben. M.D. LXVIII.  Laut diesem Kolophon stammt der Druck von 1568 und bekam seinen Einband vermutlich in derselben Werkstatt. Buchdruckerwerkstätten wurden oftmals mit ihrer gesamten Ausstattung an Geräten, Instrumenten und Werkzeugen von einem Besitzer an den nächsten verkauft oder vererbt, sodass ältere Prägestempel noch über Jahre weiter verwendet wurden. Die Ikonographie der Bucheinbände nimmt ganz allgemein bis in die Neuzeit keinen Bezug zum Inhalt.

Link: zur Einbandkunde

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