Einstein und der Attentäter

Vier Schüsse und der österreichische Regierungschef brach tot zusammen. Der Täter war ein in Zürich ausgebildeter Physiker und Freund Albert Einsteins. Wie kam es dazu, dass Friedrich Adler am 21. Oktober 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Stürgkh in Wien erschoss?

Studienfreund und Konkurrent Einsteins

Der aus Wien stammende Friedrich Adler (1879-1960) war 1897, ein Jahr nach dem gleichaltrigen Albert Einstein (1879-1955), nach Zürich gekommen. Sein Vater Victor Adler hatte in Österreich-Ungarn die Sozialdemokratische Arbeiterpartei gegründet, lehnte aber den Berufswunsch seines Sohnes, ebenfalls in die Politik zu gehen, ab. Friedrich Adlers Physikstudium in Zürich kann deshalb auch als Flucht vor dem Vater verstanden werden.

Adler studierte an der Universität Zürich und besuchte an der ETH Zürich einige Vorlesungen als Hörer, wo er auch Einstein kennenlernte. Beide Physiker fanden ihre Ehepartnerinnen unter den Studentinnen, die nach Zürich gekommen waren, da hier das Frauenstudium akzeptiert war.

Mileva und Albert Einstein mit ihrem Sohn Hans Albert, 1904/05
(ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Hs_1457-72)

Im Unterschied zu Einstein promovierte Adler direkt im Anschluss ans Studium. Dank der Unterstützung seines Doktorvaters Alfred Kleiner fand er auch gleich eine Assistentenstelle. Einstein hingegen schlug sich nach dem Studienabschluss als Mathematiklehrer und Patentbeamter durch. Es sah ganz so aus, als habe sich Einstein von einer akademischen Karriere verabschiedet, doch 1905 legte er gleich fünf bedeutende Arbeiten vor, von denen eine die damaligen Vorstellungen von Raum und Zeit revolutionierte. Nun wurde auch Einstein bei Kleiner promoviert und lehrte schon kurze Zeit später als Privatdozent an Adlers Seite am Physikalischen Institut der Universität Zürich.

Familienfoto der Familie Adler, ca. 1910
(Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie, Fotogalerie Victor Adler)

Als es 1909 darum ging, die neu geschaffene Professur für theoretische Physik zu besetzen, schwankte Kleiner zwischen seinen beiden ehemaligen Doktoranden. Schliesslich schlug er Albert Einstein für den Posten vor, da dieser inzwischen zu den bedeutendsten Physikern der Zeit gehörte. Zudem hatte sich Adlers Forschungsinteresse in Richtung der Erkenntnistheorie des österreichischen Physikers Ernst Mach verlagert, was Kleiner missfiel.

Nachbarn der beiden Einsteine

Als Einstein 1909 seine Professur an der Universität Zürich antrat, stellte er beim Einzug in die neue Wohnung an der Moussonstrasse erfreut fest, dass er die Wohnung direkt über der Familie Friedrich Adlers gemietet hatte. Adler schrieb an seinen Vater:

Mit Einstein, der über uns wohnt, stehen wir sehr gut, und wie es schon so geht, von allen Akademikern gerade mit ihm am intimsten. Sie haben eine ähnliche Bohemien-Wirtschaft wie wir, einen Buben im Alter [meiner Tochter Alice], der sehr viel bei uns ist.

Die beiden ältesten Kinder, Hans Albert Einstein und Alice Adler spielten oft zusammen, während ihre Väter in den Mansardenzimmern über physikalische Fragen diskutierten. Trotz der aktiven Unterstützung Einsteins ging Adler auch in den folgenden Jahren, wenn es um Berufungen auf Professorenstellen an den beiden Zürcher Hochschulen ging, leer aus.

Postkarte von Mileva Einstein an Friedrich Adler in der Moussonstrasse,
unterzeichnet mit «Die beiden Einsteine»
(ETH-Bibliothek, Hochschularchiv der ETH Zürich, Hs 304: 175)

Über das Scheitern seiner akademischen Karriere war Adler einerseits enttäuscht, andererseits erleichtert. Da er immer zwischen Wissenschaft und Politik hin- und hergerissen gewesen war, bot sich ihm nun die Gelegenheit, voll auf die Karte Politik zu setzen. In der Schweiz hatte Adler als Präsident der Landesorganisation der internationalen Arbeitervereine und als Journalist bei der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Tageszeitung «Volksrecht»in Zürich gewirkt. 1911 kehrte er in seine Heimatstadt Wien zurück und übernahm das Amt eines Parteisekretärs der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.

 

Brief von Friedrich Adler an den Biographen Einsteins, Carl Seelig, 1952
(ETH-Bibliothek, Hochschularchiv der ETH Zürich, Hs 304:167)

Das Attentat

Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, geriet Friedrich Adler gleich in einen doppelten Gegensatz. Während die Parteiführung der Sozialdemokraten die Kriegsanstrengungen der Staatsführung mittrug, blieb Adler überzeugter Pazifist und Internationalist. Den autoritären Kurs der österreichischen Regierung, die das Parlament und die politischen Grundrechte ausgeschaltet hatte, lehnte Adler ebenfalls kategorisch ab.

Adler suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, durch eine persönliche Aktion die Bevölkerung und die Partei wachzurütteln und gegen den Krieg zu mobilisieren. Als Mittel wählte er den politischen Mord an einem hohen Politiker. Adler spekulierte darauf, dass ihm die Gerichtsverhandlung eine öffentliche Plattform bieten würde, um ein breites Publikum zu erreichen.

Porträtfoto von Friedrich Adler, ca. 1950-1960
(ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Portr_03141)

Einsteins Fürsprache

Zwischen dem Attentat und der Gerichtsverhandlung verbrachte Adler über sieben Monate in Untersuchungshaft. Im Grunde war es ihm egal, ob er zum Tode oder zu Kerkerhaft verurteilt werden würde. Er wehrte sich aber vehement gegen die Verteidigungsstrategie seines Vaters, der ihn für geisteskrank erklären wollte, um sein Leben zu schonen. Nur wenn er seine Zurechnungsfähigkeit beweisen konnte, würde er sein Ziel einer öffentlichen Gerichtsverhandlung erreichen.

Um seine Zurechnungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, wählte Adler die Wissenschaft. Er wollte durch die Publikation eines Buches über Einsteins Relativitätstheorie zeigen, dass er keineswegs geisteskrank war. Aus der Untersuchungshaft begann er einen Briefwechsel mit Einstein. Dass er mit diesem weltberühmten Physiker auf Augenhöhe korrespondierte, konnte er als weiteren Beweis seiner Zurechnungsfähigkeit verbuchen.

Titelblatt der Publikation, die Adler im Gefängnis verfasst hatte (ETH-Bibliothek)

Einstein setzte sich wiederholt für seinen alten Studienkollegen und Freund ein. Er bot ihm an, persönlich vor Gericht als Leumundszeuge für ihn zu erscheinen. Zudem gab er ein Zeitungsinterview, in welchem er Adlers Forschungen wohlwollend besprach und auch seine persönliche Sympathie zum Ausdruck brachte. Einstein regte ausserdem an, dass die Physikalische Gesellschaft Zürich für ihr ehemaliges Mitglied Adler ein Begnadigungsgesuch verfassen solle. Nach heftigen internen Diskussionen fand sich in der Sitzung am 4. Mai 1917 immerhin eine Mehrheit, die ein «unpolitisches Zeugnis» verfasste. Die Erklärung betonte die Gewissenhaftigkeit, wissenschaftliche Begabung und Kollegialität Adlers und wurde vom Strafverteidiger im Prozess verlesen.

Antrag als Beilage zum Sitzungsprotokoll der Physikalischen Gesellschaft Zürich
(ETH-Bibliothek, Hochschularchiv der ETH Zürich, Hs 1515)

Das Urteil

Das Gericht verurteilte Friedrich Adler, mitten im Ersten Weltkrieg, «wegen Meuchelmord» zum Tode. Allerdings blieb Kaiser Karl I. angesichts der öffentlichen Sympathiekundgebungen (unter anderem von streikenden Arbeitern der Rüstungsindustrie) gar nichts anderes übrig, als das Todesurteil in eine Haftstrafe umzuwandeln. In den späteren Kriegsjahren steigerten sich die Kriegsmüdigkeit, der Hunger und die Kritik am habsburgischen Staat zusehends. Adler wurde als konsequenter Kriegsgegner zum «Helden» und «Märtyrer» der Arbeiterschaft, so dass der Kaiser schliesslich gezwungen war, Adler zu begnadigen. Zwei Wochen nach seiner Freilassung war der Weltkrieg zu Ende, die Habsburgermonarchie zerfallen und der Kaiser geflüchtet – in die Schweiz.

Quellen

Das Hochschularchiv der ETH Zürich präsentiert seine Originaldokumente zu Albert Einstein auf Einstein Online.

Michaela Maier / Wolfgang Maderthaner (Hg.): Physik und Revolution. Wien 2006

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