Bedienungsanleitung des legendären Computers Zuse Z4 entdeckt!

Die kleine Sensation des Funds hat bereits in der Fachwelt und darüber hinaus die Runde gemacht. Die verschollen geglaubte Gebrauchsanweisung soll nun hier in ihren Überlieferungszusammenhang gestellt werden. Das Manual, genau genommen Exemplar Nr. 19, umfasst 16 Seiten Bedienungsanleitung für einen der ältesten erhaltenen Computer der Welt. Das Handbuch zum Relaiscomputer Zuse Z4 ist kürzlich ins Hochschularchiv der ETH Zürich gelangt, dank Fund bei einem heute über 90jährigen, ehemaligen Angestellten des Instituts für Flugzeugstatik und Flugzeugkonstruktion.

Spannende Fragestellungen, deren Auflösung offenbar beinahe das Zeug zum Wissenschaftskrimi haben, können ab jetzt neu untersucht werden. Die 16-seitige Gebrauchsanweisung ist auf www.e-manuscripta.ch online zugänglich.

Zuse Z4

Die Rechenmaschine Zuse Z4 wurde 1950 aus Deutschland an die ETH Zürich gebracht. Sie steht seit 1988 in der Ausstellung über Informatik im Deutschen Museum in München – Clemens Pfeiffer CANON PowerShot G7 CC BY 2.5

Ein berühmter Relaisrechner und geschichtsträchtige Pionierjahre an der ETH Zürich

Damals eine verheissungsvolle Rechenmaschine, aber wegen des Zweiten Weltkriegs in einem Keller in Bayern zwischengelagert, stand die Zuse Z4 für fünf Jahre bis 1955 im Hauptgebäude der ETH Zürich. Treibende Kraft dafür war Professor Eduard Stiefel, der die Rechenmaschine nach Zürich holte, wo sie untergebracht am Ort der heutigen HG G 39-Räumlichkeiten im Institut für angewandte Mathematik aufgebaut wurde. Der Erfinder Konrad Zuse hatte die Maschine der ETH vermietet und war in der Folge für Wartungsarbeiten immer wieder in Zürich. Angepasst und überprüft konnte der Rechner ab Hochsommer 1950 in Betrieb gehen. Damit hatte die ETH als erste Hochschule in Europa einen wirklich grossen Rechner zur Verfügung, der der wissenschaftlichen Bearbeitung mathematischer Fragestellungen diente. Zwar musste Eduard Stiefel mit Relais statt mit Elektronenröhren als Technik Vorlieb nehmen, aber der Vorteil, schnell viel Rechenleistung zur Verfügung zu haben, überwog.

Relaisrechner Zuse Z4 an der ETH Zürich, 1950-55

Der erste Computer an einer kontinentaleuropäischen Hochschule, an der ETH Zürich – ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Ans_00590-A, DOI: 10.3932/ethz-a-000013377

Die Schreibmaschine ganz links, die elektromagnetisch gesteuert wurde, wirkt klein neben der wuchtigen Bedienkonsole und den Relaisschränken. Allein dieses «Druckwerk» für Endlos-Computerpapier macht deutlich, in welche Zeit der Entwicklung hin zu modernen Bürogeräten wir uns hier versetzen. Die Konsole enthält eine Zahlentastatur und eine Befehlstastatur. In der Mitte wurde mit den Filmstreifen hantiert. Es waren zwei Abtaster und ein Locher vorhanden. Als Material wurden normale Kinofilme verwendet, die gelocht wurden. In sogenannten «Zahlenstreifen» wurden Zahlen ausserhalb des Speichers, der mit 64 Speicherzellen beschränkt war, zwischengespeichert und dann wieder eingelesen. Auf «Befehlsstreifen» kamen dank dafür ausgeführter Lochung die Steuerungsbefehle in den Rechner.

Die entdeckte Bedienungsanleitung der Zuse Z4

Auf der ersten Seite der Bedienungsanweisung werden die Komponenten in einem Schema zueinander in Bezug gesetzt. Nicht berücksichtigt sind die Rolle mit Filmvorrat, Filme, Computerpapier – und das menschliche Personal für Bedienung und Überwachung…

Hs_1517_1_Zuse_Anleitung_Seite1_

Der Beginn der Anleitung, die mit Sommersemester 1952 datiert ist – ETH-Bibliothek Zürich, Hochschularchiv ETH Zürich, Hs 1517:1, DOI: 10.7891/e-manuscripta-98601

Die Bedienungsanleitung ist am Institut für angewandte Mathematik in die vorliegende Form gebracht worden. Sie ist in Kapitel und untergliedernd in Paragraphen aufgebaut. Nach dem Kapitel Organisation der Maschine folgen die Kapitel Befehle und ihre Wirkungen, Rechenplanfertigung, arithmetische Grundlagen, verbotene Befehlsfolgen und am Schluss das Rechnen mit Adressen. Ob direkt von Unterlagen Konrad Zuses zur Z4 mehr oder weniger eine Abschrift angefertigt und lediglich eine Erweiterung wegen des neuen, bedingten Sprungs (S. 8) eingearbeitet wurde, oder ob die Abschnitte und Tipps und Tricks mehrheitlich in Zürich ausformuliert wurden, und in diesem Fall sehr wahrscheinlich von Heinz Rutishauser, ist (noch) nicht schlüssig zu beantworten.

Tatsache ist, dass das Personal des Instituts erwähnt wird. An einigen Stellen sind Vorgehensweisen, die in der Praxis wohl immer wieder Stolpersteine darstellten, und ihre bessere Handhabung explizit angesprochen. Trotzdem mutet der Text schwer verständlich an. Das ist nicht nur der unüblichen Beschreibung etwa einer Navigation mit der Tastatur geschuldet, wenn von (Protokoll-)Schaltbefehl gesprochen wird (S. 7). Ob die Anleitung in der Praxis wirklich oft zu Rate gezogen wurde? Half sie bei kniffligen Detailproblemen weiter oder einfach bei den ersten Schwierigkeiten und war bald überflüssig? Vielleicht wurde ja mündlich weitervermittelt, wie die Maschine zu bedienen und was zu vermeiden war – jenen wenigen, die ab Sommer 1950 bis 1955 zum Team stiessen. Oder man kannte zusätzlich die von Konrad Zuse formulierten «Rechenpläne für das Rechengerät Z4» von 1945 in irgendeiner Form, überliefert in 19 Seiten, die heute beim Deutschen Museum abgerufen werden können. Hier findet sich etwas, was man bei der Gebrauchsanweisung vermisst, schon auf Seite 1 eine Übersicht über die Operationsbefehle. Seite 19 wird zudem ein Musterbeispiel in allen Schritten gezeigt.

Bei der Gebrauchsanweisung des Instituts für angewandte Mathematik hingegen hat man den Eindruck, dass sie sich auf sehr hohem Niveau an Institutsmitarbeiter wendet. Nach Einbau des bedingten Sprungs, der Seite 8 der Anleitung im Paragraphen «Unterpläne und bedingte Befehle» beschrieben wird, «Spr» hiess und bis zum nächsten Startzeichen wirkte, wie auch von Raul Rojas 2013 ausgeführt, war sicher eine stimmige Anleitung neu aufzulegen, falls es schon zuvor eine solche gab. Zusätzlich wurde sie offenbar den wenigen externen Benutzern, die es je gab, ausgehändigt, zusammen mit Reglement und vermutlich Schlüssel zu Maschinenraum und Institut. Vielleicht wurde sie aber nach kurzer Zeit zur Seite gelegt. Die eigenen, speziellen Befehlsfolgen auf die Maschine zu bringen, Zwischenspeicherungen zu verwalten, die Anzahl Arbeitsstunden an der Maschine zu planen, diese Fragen rückten wohl für die Betreffenden ins Zentrum. Das könnte auch der Grund sein, weshalb sich die Überlieferung der Gebrauchsanweisung so schwierig gestaltet hat.

Zuse Z4 an der ETH Zürich, 1950-55

An der Bedienkonsole von Zuse Z4. Auf einem Gruppenbild jener Zeit sind weitere Mitarbeiter des Instituts für Angewandte Mathematik abgebildet, unter ihnen Ambros Speiser und Heinz Rutishauser, die hier 1955 am Computer sitzen. – ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Com_M04-0265-0002, DOI: 10.3932/ethz-a-000051764

Wer an der Maschine «eintastete», musste die Arbeiten gut vorbereitet haben. Die Arbeitsauslastung der Zuse war bald gross, die Stunden also kostbar. Es wurde auch über Nacht gerechnet, mit Aufsicht, die vor Ablauf einer stündigen Sequenz besonders aufpassen musste, ob alles wie geplant lief. Die Bedienungsanleitung gibt darüber Aufschluss, dass eine Warnlampe zu nächsten Schritten aufforderte, wenn nicht innerhalb von 25 Sekunden eine weitere Eingabe erfolgte. «Dauert das Eintasten länger als 25 Sekunden, so schaltet der Impulsgeber aus» (S. 3).

Auf praktische, manchmal fast handwerkliche Fragen wies die Anleitung ebenfalls hin. Kurze zyklische Rechenpläne «unter 0.5 m Länge» ergaben zum Beispiel zu enge Filmschleifen. «Man kopiert den Rechenplan mehrmals nacheinander auf demselben Streifen» (S. 11). Sogar Ausführungen zum Vorgehen beim Kleben mit Filmkitt finden sich anschliessend.

Auch für die zeitliche Arbeitsplanung sind Angaben vorhanden. In Paragraph 3 der arithmetischen Grundlagen werden die Rechenzeiten mitgeteilt. «Bei Stellung 4 des Drehzahlreglers» kamen Addition und Subtraktion auf 0.5 bis 1.25 Sekunden, Division und Quatdratwurzel auf 6.75 Sekunden und das Befördern einer Zahl ins Rechenwerk auf durchschnittlich 3 Sekunden (S. 13f.).

Als Abschluss der Anleitung sind zwei Seiten dem sogenannten «Rechnen mit Adressen» gewidmet. «Um das langweilige Eintasten der sich immer wiederholenden Befehle» zu vermeiden, fertigt man einen «abgeänderten Plan». Man konnte dann «mit Hilfe eines ein für alle Mal vorhandenen Befehlsstreifens Zahlen ins Speicherwerk» geben und sich viel Arbeit sparen.

Dem Mathematiker und Zeitzeugen Hans-Rudolf Schwarz war dieses Verfahren zur Herstellung von Computerprogrammteilen auf der Z4 damals zwar bekannt. Für die Arbeiten für den «P-16» kam es aber nicht zum Zug, wie er 2020 in einem Kommentar ausführte. Es könnte seiner Meinung nach gut sein, dass Heinz Rutishauser diese Verfahrensweise im Hinblick auf seine Pläne und Ideen für die spätere Programmsprache ALGOL verfolgt und angewendet habe.

Fünf Jahre Einsatz, viel Kreativität und Erfahrungsaufbau – und am Horizont die ERMETH

Mit der Gebrauchsanweisung und vor allem mit der schrittweise erworbenen Praxis wurden insgesamt etwa 100 Aufträge und Untersuchungen erfolgreich zum Abschluss gebracht. Zuse Z4 diente einerseits den Mitarbeitenden des Instituts bei mathematischen Fragestellungen und wurde darüber hinaus für Aufträge aus der Industrie benützt, wofür die Arbeitsstunden durch das Institut abgerechnet wurden. Der Technikforscher Herbert Bruderer, der sich auf alte Rechenapparate und Computergeschichte, unter anderem auch auf die Zuse-Maschinen spezialisiert hat, konnte für sein Buch «Konrad Zuse und die Schweiz» die Liste von Auftraggebern, Beteiligten und bearbeiteten Themen sowie aufgewendeten Rechenstunden, die das Institut 1955 für Zuse Z4 erstellt hatte, mit weiteren Angaben ergänzen.

Was letztlich das Ziel im Institut für angewandte Mathematik war, ein eigener Rechner, der schon in den Protokollen des Schweizerischen Schulrates 1949 erörtert wird und der den Vertragsabschluss für die Zuse Z4 und die weitere Schritten begleitete, konnte bis 1956 mit der Entwicklung des eigenen Röhrenrechners ERMETH erfolgreich umgesetzt werden (vgl. Post Prophylaktische Fluchthilfe und die Anfänge der Informatik an der ETH).

Die Zuse Z4-Rechenleistung ist gefragt – Reichen die bestehenden Möglichkeiten?

Im Falle eines hier näher erörterten Projekts, das der Z4 sehr viele Rechenstunden abverlangte, wurde eigenes Personal für die Bedienung der programmgesteuerten Rechenmaschine abgeordert. Die Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein FFA erhielten Zugang zur Rechenleistung der Z4, als bei der Entwicklung des Erdkampf-Düsenflugzeuges «P-16» Schwingungsberechnungen, sogenannte Flatterrechnungen durchzuführen waren.

Aus den vermutlich sehr umfangreichen Unterlagen, die damals bei den Arbeitsschritten erstellt wurden, sind einige wenige Seiten überliefert worden. Sie lagen mit weiteren Beispielen früher Computerausdrucke und Lochkarten nach Gebrauchsanweisung Z4 und Reglement von 1953 in einer Ablage. Die handschriftlichen Blätter stammen aus vorbereitenden Schritten für das Arbeiten an der Zuse Z4. Zudem kann ein Endlospapier von 4 Seiten Länge ziemlich sicher als Ausdruck aus dem Druckwerk der Zuse Z4 identifiziert werden. Weitere Notizen berichten von Lochkarten. Die handschriftlich tabellierten Werte und die fragmentarischen Notizen zu Verarbeitungsschritten stammen alle aus dem Projekt der Berechnung der kritischen Geschwindigkeit bei Flatterschwingungen für den «P-16».

FFA P-16 Mk.1 Schweizer Eigententwicklung der Flugzeug- und Fahrzeugwerke Altenrhein (FFA), nur 4 Prototypen gebaut

Das Erdkampfflugzeug P 16 – bis 1958 evaluiert und beinahe erfolgreich, aber nach einem Absturz im Rahmen der schweizerischen militärischen Flugzeugbeschaffung storniert – ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Dia_240-326, DOI: 10.3932/ethz-a-000051764

Die Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein rekrutierten für die Flatterrechnungen den Mathematiker Urs Hochstrasser, der die aufwendigen Berechnungen in Zürich anleitete und dank einer unglaublichen Menge an Computer-Rechenstunden die Frage der kritischen, sprich genügend störungsfreien Geschwindigkeit für den «P-16» aufarbeiten konnte. Je nach Geschwindigkeit eines Düsenflugzeugs tritt das aerodynamische Problem der Schwingungen anders auf. Es kann sich verkleinern oder zu einer so stark angefachten Störung werden, dass das Flugzeug explosionsartig zerstört wird. Unter der Leitung des Mathematikers Urs Hochstrasser arbeiteten nacheinander zuerst der Ingenieur Heinz Waldburger und später der Mathematiker Hans-Rudolf Schwarz bei den Berechnungen mit. Nach Beschaffung der physikalischen Werte für Massenverteilung, Einflussfunktionen, Trägheitsmomente und Luftkraftkoeffizienten, was laut dem Erfahrungsbericht von Urs Hochstrasser 1955 in der Zeitschrift für angewandte Mathematik und Physik  bereits eine komplizierte Problemstellung war, meisterten er und seine Verstärkung mit viel Fingerspitzengefühl die Herausforderung, den mathematischen Teil so zu gestalten, dass sie die ihnen zur Verfügung stehenden Maschinen optimal einsetzen konnten. Auf der Zuse Z4 wurde der komplexere Teil der Berechnungen erledigt und auf anderen Maschinen, der IBM 602A und der IBM 604, wurde einfachere Schritte, insbesondere vorbereitende arithmetische Operationen, ausgeführt. Dies war nur möglich dank Erweiterungen durch Schaltbretter. Dank den dort eingebauten Kabeln auf auswechselbaren Schaltbrettern konnten projektschrittabhängig spezifische Berechnungen durchgeführt werden.

Eine solche arithmetische Operation dürfte das in den überlieferten Vorgehensnotizen überlieferte Schema des «Control Panel» zeigen, das bei den Notizblättern liegt.

Abb_6_control_ panel Vorderseite

Abb_6_control_ panel Rückseite

Blatt für das Control Panel, das an IBM 602A angebracht wurde, um mit Hilfe von Lochkarten kleine Rechenprogramme durchzuführen – ETH-Bibliothek Zürich, Hochschularchiv ETH Zürich, Hs 1517:3, [S. 28-29] DOI: 10.7891/e-manuscripta-99355

War das Schaltbrett an der IBM 602A montiert, kamen die vorbereiteten Lochkarten zum Einsatz, am richtigen Ort und in der richtigen Reihenfolge. Eines der überlieferten Notizblätter enthält vermutlich die genauen Angaben, welche Arbeitsschritte zuvor nötig waren, um die hier benötigten Lochkarten (bestimmte E-, bestimmte f-Karten) herzustellen, Zwischenkontrollen vorzunehmen, nächste Verarbeitungsschritte auszuführen und Beschriftungen anzubringen. Das Blatt ist betitelt mit «Plan» und beschreibt den Ablauf eines kleinen Rechenprogramms, bis und mit erster und zweiter «Schaltung».  Bei der ersten Schaltung ist die Operation «a . b» aufgeführt, die meines Erachtens auf dem Schema für das Schaltbrett zu sehen ist, da auf dem Formular dieselbe Operation angegeben ist und an beiden Orten dieselben Lochkarten genannt werden.

Auffällige Tabellenblätter…

Einige ursprünglich nicht ganz zusammen aufgefundene handschriftliche Blätter fallen auf. Sie sind unter anderem mit Luftkraftkoeffizienten oder mit Massenkoeffizienten überschrieben und enthalten sauber angeordnete Zahlenkolonnen, mit geplanten Abständen, unterstützenden Bleistiftlinien. Auf einem Blatt findet sich zweimal der Vermerk, dass abgezählt «leer» gelassen werden muss, also eine bestimmte Position einzuhalten ist. Ein Teil der Zahlenkolonnen beschränkt sich auf 10 Zeilen, setzen dann nach einer Leerzeile mit einem nächsten Abschnitt ein. Die letzte Position der Zahlenkolonne ist vielfach mit einem Kreuzchen oberhalb der Zahl ausgezeichnet, aber nicht immer. Anordnung und Auszeichnungen hatte man mit einem bestimmten Zweck vorgenommen.

Abb_7_Luftkraftkoeff_ Protokoll

Tabelle der Luftkraftkoeffizienten – ein sogenanntes Protokoll direkt zum Eintasten an der Zuse Z4? – Eine Vermutung, die dank Hans-Rudolf Schwarz widerlegt konnte. – ETH-Bibliothek Zürich Hochschularchiv ETH Zürich, Hs 1517:3, [S. 1] DOI: 10.7891/e-manuscripta-99355

Dienten die Blätter an der Zuse Z4 bei der Eingabe?

Nach der Durchsicht aller Unterlagen hatte ich diesen Eindruck gewonnen und ihn hier in diesem Blog vertreten. Nach weiteren Abklärungen wurde jedoch klar, dass dies nicht zutrifft. Es wurden keine handschriftlichen Tabellenblätter direkt an der Zuse Z4 verwendet. Auch das Protokollfeld wurde offenbar im Rahmen der Berechnungen für den «P-16» nicht benutzt. Der Zeitzeuge Hans-Rudolf Schwarz konnte angeben, dass er als Grundlage Computerpapier-Ausdrucke hatte, von denen er Zahlwerte abgetippt hat.

An sich verfügte die Zuse Z4 über ein sogenanntes Protokollfeld, von dem vorderhand nicht klar ist, wie häufig es verwendet wurde. Auf dem Bedienpult befand sich eine Mattscheibe, die hinterleuchtet war. Ein vorbereiteter Rechenplan ist mit diesem Protokollfeld kombinierbar. Seite 7 in der Bedienungsanleitung heisst es: «Das Protokoll hat 10 Zeilen mit je 5 Feldern in rechteckiger Anordnung». Und Seite 3 etwas weiter unten: «Das Protokollfeld dient zur Erleichterung des Eingebens vieler Zahlen in bestimmter Anordnung (Matrix)». Auch in der Beschreibung der Rechenpläne von Konrad Zuse, Seite 10 https://digital.deutsches-museum.de/item/NL-207-0230/#0010 , kommt das Protokoll vor: Das Protokoll «besteht aus einem erleuchteten Feld, welches von einer Mattscheibe bedeckt ist und auf welches ein Stück Papier, das Protokoll, gelegt werden kann. In den Rechenplänen können nun solche Protokollschaltbefehle eingebaut werden, dass jeweils vor dem Eintasten einer Zahl ein bestimmtes Feld des Protokolles beleuchtet wird, durch welches die einzutastende Zahl des Protokolles gekennzeichnet ist».

Die Richtigstellung, die dank des Kommentars von Hans-Rudolf Schwarz erfolgen kann, bringt die handschriftlichen Tabellenblätter in Zusammenhang mit der Herstellung der Lochkarten. Sie bildeten die Grundlage zur Berechnung der Massenintegrale und der von der Fluggeschwindigkeit abhängigen (komplexwertigen) Luftkraftintegale für die Flatterrechnungen. Die Blätter gehören demnach in den Kontext der vorbereitenden Schritte, die vor den Arbeiten an der Zuse Z4 ausgeführt wurden.

…und ein Computerausdruck

Abschliessend möchte ich noch die Printmöglichkeiten der Zuse Z4 thematisieren. Auch hier fand sich in der Überlieferung ein Computerausdruck, der von der Arbeit mit der Zuse Z4 stammt dürfte. Auf Seite 3f. der Anleitung wird angegeben, dass jeder Zahl der Platz von 12 Anschlägen zugewiesen ist. Die Wagenbreite der Schreibmaschine (und des Papiers) «fasst normal 6 Zahlen». Weiter wird beschrieben, dass für die Ausgabe der Rechenresultate zwischen 5 Schemata gewählt werden konnte. Die Variante Druckschema D ergibt einen Ausdruck mit beweglichem Komma und einer Schreibweise, die «/» enthält, immer dann, wenn die Zehnerpotenz ausgedrückt werden muss.

Bedrucktes Endlospapier – stammt der Ausdruck vom Druckwerk der Zuse Z4?  – ETH-Bibliothek Zürich Hochschularchiv ETH Zürich, Hs 1517:4, DOI: 10.7891/e-manuscripta-99354

Dies alles passt zum vierseitigen Ausdruck, der vorliegt (12 Positionen, bewegliches Komma, Schreibweise mit / ) und der laut Zeitzeuge Hans-Rudolf Schwarz ein Kontrollausdruck der Zuse Z4 sein könnte. Das einzige, was nicht mit der Beschreibung Seite 4 der Anleitung übereinstimmt, ist, dass es Fälle mit «zu vielen» Dezimalstellen gibt. Sie sind jedoch immer mit 0,0… kombiniert.

Hans-Rudolf Schwarz konnte in einem Kommentar bestätigen, dass es sich beim Ergebnisblatt der Z4-Schreibmaschine um einen Ausdruck mit dem Druckschema Do (ganze Zahl) und D.

Weitere Erkenntnisse und Kommentare sind willkommen

Die Rechenmaschine Zuse Z4 war gross und sie war laut. Wegen der Bauweise mit Relais ergaben sich immer wieder Probleme. Die Entwicklung ging schnell voran und bald einmal an der Zuse Z4 vorbei. Was an Arbeitsmaterialien überliefert worden war, war schnell aufgezählt. Die schmalen Filmstreifen waren nur im Zusammenhang mit einem Projekt sinnvoll und für sich ja nicht verständlich. Das Eintasten am Bedienfeld hinterliess keine Spuren auf Papier. Verdienstvollerweise haben Zeitzeugen schon vor einigen Jahren ihre Erinnerungen beigesteuert.

Die Ausgangslage gestaltet sich seit den neu entdeckten Unterlagen anders. Ich habe hier versucht, die Unterlagen zu interpretieren, als Historikerin und Archivarin auf Spurensuche. Zudem konnte ich im November nachträgliche Rückmeldungen einarbeiten. Kommentare und Ergänzungen sind ausdrücklich erwünscht. Spannendes, zusätzliches Material ergänzt ja nun die Dokumentation – datierte Gebrauchsanweisung, Reglement, vorbereitendes Material für die Arbeiten an der Zuse Z4, unter anderem Blätter, die von mir zuerst falsch als sogenannte Protokollblätter zugehörig zur Benutzung des Protokollfelds interpretiert wurden, – und ein kurzer Papierausdruck aus dem kleinen Druckwerk neben dem grossen Riesen, der in der Geschichte der Computer legendär geworden ist.

5 Gedanken zu „Bedienungsanleitung des legendären Computers Zuse Z4 entdeckt!“

  1. Es tut mir leid, bei der Anweisung für die Z4 handelt es sich wirklich nicht um eine Sensation. Das gleiche Dokument ist im Nachlass von Konrad Zuse im Archiv des Deutschen Museums seit mehr als 15 Jahren zugänglich. Die entsprechende Signatur lautet: NL 207/0902. Das gesamte Findbuch – und damit die Möglichkeit für den, der das Dokument finden hätte wollen – ist seit langem in “Kalliope” verfügbar. Experten zu Zuse wissen und wussten das.
    W. Füßl, Deutsches Museum

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    • Herzlichen Dank, dass Sie auf die bei Ihnen unter den Fremdmanuskripten eingereihte Anleitung aufmerksam machen. Diese war eindeutig zu wenig bzw. gar nicht bekannt!
      Zeitzeugen, Publikationen aus der Vergangenheit und Technikbegeisterte von heute lotsten nicht auf diese Spur. Wer zur Sicherheit im Nachlass Zuse NL 207/0902 aufruft, kann leider keinen Abgleich vornehmen, denn das fragliche Dokument ist als Fremdmanuskript nicht im Internet publiziert, vermutlich aufgrund von Urheberrechtsfragen. Bei den Unterlagen zur Z4 finden sich keine Hinweise auf dieses wesentliche Dokument. Mit Institut für angewandte Mathematik der ETH kann es nicht gefunden werden. Es ist aber richtig, dass demnach das Dokument bereits greifbar gewesen wäre, wenn man Hinweise darauf gefunden hätte. Die im Blog angesprochene kleine Sensation muss also korrekterweise auf die Verfügbarkeit im Netz und auf die zusätzlich überlieferten Dokumente eingeschränkt werden. Dass Nummer 19 des Benutzerhandbuchs neu online an der ETH – und damit am Ort des Aktenbildners – zugänglich ist, bereichert zweifellos die Forschung und stellt von daher sicher weiterhin eine Attraktion dar.
      Evelyn Boesch, Hochschularchiv der ETH Zürich

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  2. Ich habe das Deutsche Museum schon vor Jahren mehrfach nach der Existenz einer Z4-Gebrauchsanleitung befragt, u.a. im Zusammenhang mit einer Anfrage von Prof. Rojas (FU Berlin) zum bedingten Sprung. Stets wurde das Vorhandensein eines solchen Dokuments verneint. Nach unserer Veröffentlichung gab mir ein führender deutscher Technikforscher einen Hinweis auf eine Fundstelle beim Deutschen Museum. Der Inhalt des Dokuments war zu diesem Zeitpunkt (23.09.2020) jedoch nicht zugänglich, denn es war nicht digitalisiert. Die Anweisung wurde offensichtlich erst nach meiner erneuten Anfrage vom Archiv des Deutschen Museums in aller Eile „ausgegraben“ und ohne die erforderliche Sorgfalt eingelesen. 25 % des Textes, 4 von 16 Seiten, fehlten, ohne dass die Archivleitung den Fehler bemerkte! Das 12-seitige (und anschliessend das vollständige) Dokument wurde an ausgewählte Informatikhistorikerinnen und -historiker verteilt, ist aber nach wir vor im Internet nicht abrufbar.
    Bei der im Deutschen Museum ausgestellten Z4 habe ich bei keinem meiner Besuche einen Hinweis auf die Existenz einer Bedienungsanleitung gefunden. M.W. erwähnt nicht einmal Herr Füßl die Anweisung in seinen Zusebuch. Selbst im digitalen Zuse-Archiv ging man bisher bei einer Suche leer aus.
    Das Archiv des Deutschen Museums hat die Bedeutung der Bedienungsanweisung nicht erkannt. Wieso wurde die Fachwelt nie darauf aufmerksam gemacht? Füßls Aussage „Experten zu Zuse wissen und wussten das“ entspricht nicht den Tatsachen. Das beweisen die Reaktionen auf die Bekanntgabe unseres Funds. Nicht einmal die bedeutendsten deutschen Zuse-Kenner kannten bisher die Anleitung, u.a. Prof. Rojas, Prof. Zuse, Prof. Oberquelle, Prof. Karl (Präsident Konrad-Zuse-Gesellschaft). Weder die frühere noch die derzeitige Kuratorin für Informatik des Deutschen Museums wusste Bescheid. Was hilft eine Gebrauchsanleitung, die praktisch unzugänglich in den Tiefen eines Archivs liegt und nicht einmal den Fachleuten des eigenen Museums bekannt ist?
    Herbert Bruderer,14.12.2020

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  3. Die Einlassung von Herrn Bruderer ist sehr sinnentstellend. Ich will aber nicht auf seine Unrichtigkeiten im obigen Kommentar eingehen. fest steht: Obwohl bekannt ist, dass der umfangreiche Zuse-Nachlass im Deutschen Museum lagert, hat Her Bruderer es trotz mehrfacher Aufforderung durch das Archiv des Deutschen Museums nicht für notwendig gehalten, diesen Bestand einzusehen. Außer eine Kurzbesuch vor vielen Jahren, bei dem ihn nur der Briefwechsel Zuse – Billing interessierte, wurden keine Akten eingesehen. Was die online-Zugänglichkeit betriff, dürfte es auch in der Schweiz klar sein, dass viele Dokumetne des Nachlasses aus Urhebrrechtsgründen nicht online gestellt werden können. Ich sehe zwar ein, dass es bequemer ist, andere für sich arbeiten zu lassen, für eine serösen Forscher muss aber die eigene Quellenrecherche obenan stehen.
    Damit ist das Thema erledigt.
    W. Füßl

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    • Bei einem meiner Besuche in der Informatikausstellung des Deutschen Museums warf ich eher zufällig einen Blick in die Bibliothek und ging (ohne Anmeldung) ins Archiv.
      Bei meiner Forschung zu Heinz Billing, einem deutschen Informatikpionier mit (nach eigenen Angaben) brauner Vergangenheit, ging es u.a. um die Frage, ob er Alan Turing getroffen hatte. In diesem Zusammenhang hatte ich auch ein Gespräch mit seiner Tochter. Deutsche Behörden hatten mich zudem um Auskünfte zur Nazizeit gebeten, da eine Ehrung geplant war.
      Von Füssls angeblichen mehrfachen Aufforderungen zum Besuch des Archivs weiss ich nichts. Wozu hätte ich denn nach München reisen sollen, nachdem mir versichert worden war, dass keine Anleitung für die Z4 vorhanden ist?
      Im Zusammenhang mit Konrad Zuses 100. Geburtstag (2010) kündigten Technikhistoriker u.a. des Deutschen Museums ein Buch an. Soweit bekannt sollte es im Unterschied zu Zuses schönfärberischer Autobiografie Licht ins Dunkel werfen. Seit 10 (!) Jahren warten wir vergeblich auf diesen Band.
      Wer die Anleitung zur Z4 verfasst hat, ist nicht bekannt. Um das Dokument ins Internet zu stellen, hätte eine Erlaubnis der ETH Zürich genügt.
      Ich habe das Hochschularchiv der ETH in Bezug auf die Pionierzeit der Informatik in der Schweiz systematisch unter die Lupe genommen. Das war ein monatelanger Aufwand. Eine vergleichbare Untersuchung in München wäre sehr zeitraubend und kostspielig. Das wäre ein Auftrag für Fachleute aus der Umgebung von München.
      Herbert Bruderer, 23.10.2020

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