Wie Max Frischs Nachlass an die ETH kam

Vor vierzig Jahren, am 14. August 1980, lieferte der Schriftsteller Max Frisch zwölf Kisten mit Werkmanuskripten, Korrespondenzen und anderen Dokumenten an die ETH Zürich. Damit legte er den Grundstein für das Max Frisch-Archiv, das seit 1983 öffentlich zugänglich ist. Und er fand den Weg zurück an seine Alma Mater, die er 1940 mit dem Architekturdiplom in der Tasche verlassen hatte.

Frischs Beziehung zur ETH begann mit dem Studium der Architektur, für das er sich im September 1936 einschrieb. Zuvor hatte er bereits Germanistik an der Universität Zürich studiert, dieses Studium nach ersten Tätigkeiten als Journalist und Schriftsteller jedoch abgebrochen. Er wollte noch einmal von vorn beginnen und einen “echten” Beruf erlernen. Dank der grosszügigen Unterstützung seines Jugendfreundes Werner Coninx, dem er später in der Erzählung “Montauk” (1975) ein literarisches Denkmal setzte, konnte sich Max Frisch für vier Jahre ganz auf das neue Studienfach konzentrieren.

Der Student Max Frisch besuchte die ETH vom Oktober 1936 bis März 1940 und schloss mit einem sehr guten Notendurchschnitt von 5,35 ab. Er war in mehreren Architekturbüros tätig und entschied sich zur Selbständigkeit, nachdem eine städtische Jury seinen Entwurf für ein neues Freibad zur Umsetzung auswählte. Das 1949 in Zürich eröffnete Freibad Letzigraben ist Max Frischs bedeutendster Bau.

Der 10-Meter-Sprungturm im Freibad Letzigraben (Michael Wolgensinger/Max Frisch-Archiv)

Nach dem literarischen Durchbruch mit seinem Roman “Stiller” (1954) verkaufte Max Frisch sein Architekturbüro. Es folgten Romane wie “Homo faber” (1957) und Theaterstücke wie “Andorra” (1961).

In den 1970er-Jahren war Max Frisch längst ein gefeierter und vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, dessen Werke weltweit gelesen und aufgeführt wurden. Zunehmend beschäftigte er sich mit der Frage des Älterwerdens und mit dem eigenen literarischen Nachleben. Am 28. April 1979 traf er sich im Hotel Storchen Zürich mit den Autoren Peter Bichsel und Adolf Muschg, seinem Verleger Siegfried Unseld und dem Germanisten Peter von Matt. Gegenstand des Treffens war die geplante Gründung einer Max Frisch-Stiftung und die damit verbundene Einrichtung eines Max Frisch-Archivs.

Am 30. Oktober 1979 unterzeichnete man die Stiftungsurkunde und legte als erste Adresse für die Stiftung das Deutsche Seminar der Universität Zürich fest. In der Folge begannen Adolf Muschg und Peter von Matt im Dezember 1979 damit, einen geeigneten Ort für das geplante Archiv zu finden, welches – so die Formulierung in der Stiftungsurkunde – “als Arbeitsstätte für die Forschung” bestimmt sein sollte.

Ein erster Plan, das Archiv an der Zentralbibliothek Zürich anzugliedern, scheiterte. Das Interesse, das Archiv an der ZB zu beherbergen, war zwar vorhanden, aufgrund eines bevorstehenden Umbaus sowie aus räumlichen und personellen Gründen konnte jedoch weder ein fester Arbeitsplatz für einen Stiftungsbeauftragten noch ein Archivraum zugesichert werden. Parallel zu den Verhandlungen mit der ZB waren Adolf Muschg und Peter von Matt mit der ETH Zürich, wo Muschg eine Professur bekleidete, im Gespräch. Dort stiess man auf Interesse, spürte aber auch Vorbehalte, denn das Archivmaterial sollte im Besitz der Stiftung bleiben.

In einem Schreiben vom 30. April 1980 an Muschg und von Matt sicherte Eduard Freitag, Betriebsdirektor der ETH, schliesslich zwei eigene Räume für das Archiv zu:

“Wir betrachten es als einen Gewinn und eine Verpflichtung, das Max-Frisch-Archiv an der ETHZ zu beherbergen. Es herrscht zwar, insbesondere im ETH-Zentrum, grosser Raummangel, wobei für die Räume im Hauptgebäude eine Art Warteliste besteht, doch möchten wir versuchen, in der Raumgruppe E 68 zwei Räume für das Archiv freizubekommen.” (Brief von E. Freitag an P. von Matt und A. Muschg vom 30. April 1980, ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-1.2/08322)

Die eigenen Räumlichkeiten, dazu der prominente Standort beim Bund, überzeugten Max Frisch und die anderen Stiftungsräte. Hinzu kam, dass ETH-Bibliothek bereit war, das Archiv zu katalogisieren und die Kontinuität in der sicheren Aufbewahrung zu gewährleisten. Sie hatte bereits Erfahrungen mit dem Umgang von wissenschaftlich relevanten Archiven sammeln können, namentlich mit dem Thomas-Mann-Archiv und dem C. G. Jung-Archiv.

Brief von Max Frisch an die Betriebsdirektion der ETH vom 4. Juli 1980 (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-1.2/08322)

Max Frisch hielt sich im Frühsommer 1980 noch in den USA auf, weshalb eine Anlieferung erster Dokumente auf den 14. August 1980 geplant wurde. Damit die zugesicherten Räumlichkeiten für das Archiv bereitgestellt werden konnten, mussten neue Büros für zwei Professoren gesucht werden und erst einen Tag vor der Anlieferung des Archivmaterials wurde das Mobiliar für das Archiv geliefert. Für den Transport wurden 50 Schachteln an Frischs Privatadresse geliefert, das Material dort verpackt und schliesslich an die ETH zurückgesendet.

Eine erste Ordnung des Archivmaterials nahm Margrit Baur, die Sekretärin der Deutschabteilung, in welcher sich die Archivräumlichkeiten befanden, vor. Es zeigte sich jedoch schnell, dass die Fachkräfte der Bibliothek nur in beratender Funktion bei der Katalogisierung aushelfen konnten, so dass eine eigene Stelle geschaffen werden musste. Im Februar 1981 nahm der Germanist Walter Obschlager seine Tätigkeit als erster Archivar auf.

Brief von Max Frisch an den Präsidenten der ETH vom 15. Dezember 1980 (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-1.2/08322)

Max Frisch konnte fortan mit einem gewissen Staunen beobachten, wie seine Briefe und Werkmanuskripte geordnet und um Sammlungen von Zeitungsartikeln, Radiosendungen oder wissenschaftlichen Aufsätzen erweitert wurden. Mit Rücksicht auf Zeitgenossinnen und Zeitgenossen liess er selbst eine gewisse Vorsicht walten: Besonders private Dokumente und Briefwechsel versah er mit einer Sperrfrist über seinen Tod hinaus. Aber die alleinige Deutungshoheit über Leben und Werk beanspruchte er nicht. In seinen Entwürfen zu einem dritten Tagebuch, die posthum veröffentlicht wurden, hielt er damals fest:

“Wenn ich in der Eidgenössischen Technischen Hochschule (Hauptgebäude) das Schild lese: MAX FRISCH ARCHIV – wie fühlt man sich:
wichtig?
ausgeliefert?
beschützt?
bestattet?
dankbar?
historisch?
Die Frage, wen das Material, das sich da anhäuft, je interessieren soll, die Frage nach dem öffentlichen Bedürfnis also habe ich nicht zu beantworten. […] Das Archiv ist nicht meine Sache. Sonst wäre es auch nicht so ordentlich.”
(Max Frisch: Entwürfe zu einem dritten Tagebuch. Hrsg. von Peter von Matt, Berlin: Suhrkamp 2010, S. 115.)

Das Max Frisch-Archiv im Jahr 1994 (Barbara Davatz/Max Frisch-Archiv)

Im Jahr 2007 wurde das Max Frisch-Archiv in die ETH-Bibliothek überführt. Wechselnde Ausstellungen und Veranstaltungen laden bis heute ein, den Autor immer wieder neu zu entdecken.

Website des Max Frisch-Archivs

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