Fussbad im Trinkwasser – Kampf um den Katzensee: schützen, nutzen, trockenlegen?

Sieben Gestalten, fünf Männer, zwei Knaben, knie- bis hüfttief im Wasser, bekleidet mit sechs Badehosen, davon vier unterschiedlich quergestreift, zwei einfarbig, je eine hell, eine dunkel, vier Hüten, drei dunkel, einer hell, drei Botanisierbüchsen, einer grossen Ledertasche, einem hellen Lendentuch, einem Hemdkragen und einer Zigarette oder zwei Zigaretten.

Das arithmetisch wie optisch sorgfältig arrangierte Bild ist kein Erinnerungsfoto einer gewöhnlichen „Exkursion mit Prof. Schröter an den Katzensee“ wie die Bildunterschrift im Familienalbum des Geologen Albert Heim lautet. Der Anlass des Fussbads in idyllischer Sommerfrische ist weit dramatischer.

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Die Heimatschutz-Kommission des Kantons Zürich beim Augenschein im Katzensee Juli/August 1915. Foto: Rudolf Zinggeler (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Hs_0494b-0115-084-AL)

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts suchte die Obrigkeit Zürichs nach Wasserreserven für ihre Stadt. Albert Heim, Professor für Geologie an der Universität und am Polytechnikum, wurde mit Gutachten über das Grundwasser der näheren Umgebung betraut, darunter das des Katzenseegebiets. Heim kam in seinem Bericht 1885 zu einem trüben Befund:

Die Thatsache steht jedenfalls fest, dass beständig und auf vielen Stellen zerstreut im ganzen Gebiete und ganz besonders in der Nähe der Dörfer die Verunreinigungen aus der oberen nassen Schicht oder direkt von der Oberfläche in das tiefere Grundwasser hinab gelangen können. Wir könnten es unter solchen Umständen niemals verantworten, solches Grundwasser zur Benützung zu empfehlen.

Mit der Katzenseegegend als Trinkwasserbecken war es somit nichts. Dreissig Jahre später drohte ihr jedoch erneute Veränderung. Die Gemeinde Watt-Regensdorf, die nach und nach den Baumbestand zwischen beiden Seen zur Herstellung von Entwässerungsleitungen abgeholzt hatte, wollte das Gebiet 1915 einem privaten Grundbesitzer verkaufen. Der zuständige Kreisforstmeister legte seiner Oberbehörde nahe, anlässlich der Handänderung rechtliche Schutzmassnahmen für die Seeufer zu treffen, und alarmierte zudem die kantonale Heimatschutz-Kommission. In dieser sass des Kreisforstmeisters früherer Lehrer Carl Schröter, Professor für Botanik an der ETH Zürich.

Die Landschaft der Katzenseen war eines von Schröters bevorzugten Forschungsterrains. Er hatte sich nicht nur gründlich mit der örtlichen Flora befasst, sondern auch einen Doktoranden die mikroskopische Fauna der Gewässer untersuchen lassen. Ausserdem war die Gegend ein nahegelegenes Exkursionsziel, wo er seine Studierenden in die praktische botanische Feldforschung einführte und „wo stets ein frisches Bad eingefügt wurde“.

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Protokoll der Heimatschutz-Kommission, 11. Sitzung vom 21. Juli 1913, nachmittags, verbunden mit einem Augenschein am Katzensee (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 398:261)

Die Heimatschutz-Kommission gelangte sofort an die Volkswirtschaftsdirektion, man möge ihr vor Erledigung des Landverkaufs Gelegenheit zur Aussprache mit dem Käufer geben. Am Nachmittag des 21. Juli 1915 trafen sich Schröter und zwei weitere Vertreter der Kommission mit dem Forstmeister und dem künftigen Eigentümer zu einem ersten Augenschein vor Ort. Der Käufer erwies sich als Naturfreund, der mit seinem Ankauf das Torfstechen an den Seeufern verhindern wollte. Er war bereit, seine Wiederaufforstungspläne zugunsten zweier Hochmoorflächen einzuschränken, und erklärte sich auch mit einem Schutzvermerk für das Gelände im Grundbuch einverstanden.

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Heimatschutz-Kommission des Kanton Zürichs, Einladung an die Mitglieder zu einem Augenschein am Katzensee auf Donnerstag, 5. August 1915 (ETH-Bibliothek, Hochschularchive, Hs 398:259)

Am 5. August 1915 fand ein weiterer Augenschein statt. Schröter wurde um Notizen zur botanischen Bedeutung der Seen gebeten. Darauf gestützt verfasste die Heimatschutz-Kommission zuhanden der Behörden am 13. Juli 1915 ein Gutachten, das erst ausführlich die landschaftlichen Reize der Gegend preist, bevor deren Reichtum an besonderen Sumpfpflanzen wissenschaftlich ausgebreitet und eine Reihe von Schutzmassnahmen empfohlen werden. Es schliesst mit den Worten: „Zur Illustrierung unserer Ausführungen verweisen wir zum Schluss auf die beiliegende Serie stimmungsvoller Photographien.“

Vermutlich kamen sie aus der Kamera von Rudolf Zinggeler wie die Aufnahme der sieben Badenden. Der Zürcher Seidenindustrielle, in dessen gastfreundlicher Villa Carl Schröter und Albert Heim verkehrten, war begeisterter Freizeitfotograf. Er setzte Landschaft und Heimatschützer nach Vorbildern aus der Malerei in Szene:

Die Botanisierbüchsen deuten auf Pflanzensammler hin. Professor Schröter, dritter von links, zeigt auf die Blüte in seiner Hand, zieht die Aufmerksamkeit der Personen rechts im Bild auf sich und ist damit als Experte ausgewiesen. Die lange Gestalt mit Federnhut ist möglicherweise der Forstmeister. Bei den Kindern, welche die Erwachsenen flankieren, handelt es sich vielleicht um die Söhne des Grundbesitzers. Die anderen drei Herren lassen sich nicht näher bestimmen.

Auffallend bei genauerem Hinsehen ist der mittlere der Gruppe. Ihm war offenbar unbekannt, dass man bei einer Gewässerinspektion mit Schröter tunlichst die Badehose einzupacken hatte. War er für die Bildwirkung vom Fotografen Hals über Kopf ins Wasser gescheucht worden? Hatte er dabei verwirrt vergessen, sich auch des Hemdkragens zu entledigen und sich stattdessen in der Verlegenheit eine Zigarette angezündet? War ihm der Glimmstengel zur Beruhigung vom Mitleidgenossen ganz rechts spendiert worden, der mit leicht abgewandtem Gesicht ebenfalls zu rauchen scheint? Oder war der Bildkünstler selber kurzerhand ins Nass gestiegen, malerisch umschlungen von einem Badetuch der anderen, behängt mit der schweren Werkzeugtasche als Pendant zu den übrigen Botanisierbüchsen und vorsichtig mit den Händen ein fotografisches Utensil umfassend?

Wie auch immer: Der Verkauf des Moorgeländes zwischen den Seen hatte sich zum Guten gewendet. Doch noch war eine andere Gefahr, die vom Entwässerungsprojekt für eine Bachkorrektur der angrenzenden Gemeinde Seebach ausging, nicht gebannt. Die geplante Absenkung des Seespiegels war für die Sumpfflora nicht unbedenklich. Offenbar erwog die Heimatschutz-Kommission in den folgenden Jahren einen vorbeugenden Ankauf der gefährdeten Zonen durch den Kanton, während der Verschönerungsverein Oerlikons, der Nachbargemeinde von Seebach, der sich an den Baumfällaktionen entlang der Abflusskanäle aus dem Katzensee störte, zuständigenorts genauere Informationen zum ganzen Projekt verlangte.

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Heimatschutz-Kommission des Kantons Zürich/Dr. Hans Peter an Prof.Dr. Carl Schröter, 26. Januar 1917 mit handschriftlichem Kommentar Schröters (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 398:265)

Am 26. Januar 1917 schrieb der Sekretär der Heimatschutz-Kommission an Schröter, dass die Rohrleitung zur Entnahme von Wasser aus dem Katzensee vorläufig nicht ausgeführt werde. Der erleichterte Schröter schickte den Brief an einen unbekannten Adressaten weiter mit dem Kommentar:

L.[ieber] Fr.[eund]

Gute Nachrichten über unser Bijoux!

Bitte um gefällige Rücksendung.

Beste Grüsse!

Dein getreuer

C Schröter

 

Hin- und Nachweise

Eine Version der Fussbad-Fotografie mit höherer Auflösung ist zu finden in der ETH-Bibliothek unter Bildarchiv-Online: Im Suchfeld Hs_0494b-0115-084-AL eingeben, suchen und das grosse Bild wählen.

Die zitierten Dokumente befinden sich im Hochschularchiv der ETH Zürich an der ETH-Bibliothek im Nachlass Carl Schröter unter den Archivsignaturen Hs 398: 254-265.

Das Zitat „wo stets ein frisches Bad eingefügt wurde“ ist aus: Eduard Rübel: Carl Schröter 1855-1939, 103. Neujahrsblatt auf das Jahr 1940 herausgegeben von der Gelehrten Gesellschaft, Zürich 1940, S.31.

Hugo Lötscher: Rudolf Zinggeler – der Industrielle als Photograph, in: NZZ, Nr. 33, Samstag/Sonntag, 9./10. Februar 1991, S. 73-75.

Rudolf Zinggeler – Fotografien von 1890-1936: ein Zürcher Industrieller erwandert die Schweiz, Einleitung und Auswahl der Fotos von Nikolaus Wyss, Basel 1991.  Darin S. 50 der Hinweis auf die Bekanntschaft mit Albert Heim und Carl Schröter.

2 Gedanken zu „Fussbad im Trinkwasser – Kampf um den Katzensee: schützen, nutzen, trockenlegen?“

  1. Die lange Gestalt mit Federnhut ist möglicherweise Eduard Rübel.

    Der Standort des Bildes liegt am Südostufer des unteren Katzensees, wo ein kiesiger Strand mit Schnegglisanden als Singularität im Gebiet vorkommt (zu jenem Zeitpunkt noch mit der Pflanze Eleocharis acicularis). Am gegenüberliegenden Ufer auf der Nordseite war das Gelände zum damaligen Zeitpunkt nahezu unverwaldet und 100 Jahre später besteht dort ein Birkenbruchwald.
    Am Bildstandort bestand bis ca. 1960 das Frauenbad ehe 1965 die aktuell bestehende Badeanlage erstellt wurde. Die Aufnahmestelle ist eingezäunt und präsentiert sich 2016 wenig verändert als offenes Flachmoor mit erkennbarer Verschilfung.

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