Expedition Fungarium – oder: warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Neue liegt so nah

Wie viele verschiedene Pilze gibt es auf der Erde? Pilzkundler vermuten, dass es mindestens zwei bis vier Millionen sein müssen, von denen wir aber nur etwa 135’000 Arten mit Namen kennen. Jeder wird sich fragen, wo denn all die neuen Arten sind. Tatsächlich entdeckt man sie beinahe täglich: im Regenwald, im Boden, in Gewässern, in Pflanzen, in anderen Pilzen, einfach überall. Besonders viele werden auf Expeditionen in wenig erforschten Weltgegenden gefunden und gelegentlich reicht es schon, vor der eigenen Haustüre zu suchen. Erstaunlicherweise kann man selbst in den Eingeweiden der ETH fündig werden, wenn man sich die Mühe macht, ins Fungarium der Vereinten Herbarien der ETH und Uni Zürich hinabzusteigen.

Im Fungarium gibt es etwa eine Million getrocknete Pilzbelege aus aller Welt. Sorgfältig benannt, beschriftet und archiviert werden sie hier zum Nutzen der Wissenschaft aufbewahrt und erforscht. Nicht alle aber wurden korrekt bestimmt und manch eine Art verkannt oder übersehen. Unter diesen Exemplaren sind sie verborgen, die unbekannten Arten und warten nur darauf entdeckt zu werden. Also nichts wie los zur Expedition Fungarium – kostenlos, ungefährlich, effektiv. Die Spannung und den Nervenkitzel des Entdeckens gibt es obendrein, nur ohne die Unbilden (aber auch die Freuden) der Feldarbeit.

In den Tiefen der ETH: Das Mykologenteam auf Expedition im Fungarium (Foto: Reinhard Berndt)

Bei unseren letzten Expeditionen sind uns gleich drei neue Pilzarten ins Netz gegangen, die unerkannt und unter falschem Namen im Fungarium ruhten: Ein parasitischer Rostpilz auf mexikanischen Wildkartoffeln, ein weiterer Rostpilz auf dem Bocksdorn-Strauch aus Argentinien, und schliesslich ein dritter, der als zufälliger «Beifang» mit einem Aronstabgewächs aus Angola zu uns gekommen ist, das eigentlich für das Pflanzenherbarium gesammelt worden war.

Die Kunst ist es, diese Spezialitäten in der grossen Zahl der bekannten Pilze zu entdecken und als neue Arten zu erkennen. Im Fungarium gibt es die notwendigen Voraussetzungen dafür: Vergleichsbelege in Hülle und Fülle und ein Team von Spezialisten, das die Pilze aus dem Effeff kennt.

Dieses Mikrofoto zeigt den Pilz Puccinia telimutans, der die Kartoffelrost-Krankheit von mexikanischen Wildkartoffeln verursacht. Der Pilz lag seit seiner Entdeckung im Jahr 1930 durch den amerikanischen Phytopathologen Donald Reddick unter dem falschen Namen «Puccinia pittieriana» im Herbarium und geisterte unter diesem Namen auch durch die Literatur. Nun haben wir seine wahre Identität gelüftet – und die Wissenschaft muss sich neu orientieren (Foto: Reinhard Berndt)

Puccinia dimidipes haben wir als neue Art vom Bocksdorn-Strauch aus Argentinien beschrieben. Der Name bezieht sich auf die merkwürdig geschwollenen Sporenstiele des Pilzes (Foto: Mónica García Otálora)

Eine noch unbeschriebene Rostpilzart aus Angola, gesammelt im Jahr 1952 vom Professor für Botanik, Hans Ernst Hess. Wir werden sie wohl ihm zu Ehren «Uromyces hessii» taufen. Auf dem Mikrofoto kann man zwei verschiedene Sorten Sporen dieses Pilzes sehen (Foto: Reinhard Berndt)

 

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