En garde! – Über das studentische Duell am Polytechnikum

Als im Mai 1856 die Kopie eines Schreibens des Universitätsrektors Hermann Köchly an die Adresse des Schulratspräsidenten gelangte, war Grund zur Sorge geboten. Studenten der beiden Hochschulen hatten unerlaubterweise mit scharfen Waffen untereinander Duelle ausgetragen. Ob es dabei zu ernstlichen Verletzungen gekommen war, ist in diesem Fall nicht bekannt. Der Hartnäckigkeit dieses «Unwesens» rief in den Exekutivetagen der Zürcher Hochschulen grosse Besorgnis hervor – zu Recht?

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Ansicht des Polytechnikums, ca. 1865, Druckgrafik. (Ans_01786)

Bewaffnete Duelle zwischen erwachsenen Männern mit scharfen Waffen wie Degen, Rapiers oder Pistolen gehen auf die adlige Kultur der europäischen frühen Neuzeit zurück, die wiederum auf die Ritterkultur des Mittelalters zurückgreifen. Dieses heute befremdlich anmutende Phänomen war Ausdruck eines vornehmlich männlichen Bedürfnisses nach Konfliktaustragung und Kräftemessen. Die ritualisierte, mit verbindlichen Regeln versehene Form des Duells stellte dafür einen kontrollierten Rahmen dar. Während im Mittelalter diese Konfliktlösungsform zum Beispiel bei Ehrverletzungen noch durchaus gesellschaftspolitischen Sinn ergeben hatte, da ein Staat mit Gewalt- und Rechtssprechungsmonopol gefehlt hatte, verkam das Duell in der frühen Neuzeit immer mehr zu einem Element des geistesadligen Habitus.

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Auszug aus dem Präsidialprotokoll des Schulratspräsidenten. (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, SR2:1856)

Barbara Krug-Richter fragt sich in ihrem Aufsatz zum Duell in der studentischen Kultur, warum ausgerechnet bei Studenten diese körperliche Form der Konfliktaustragung beliebt waren. Die Antwort dazu fällt leicht. Die Gelehrten der Vormoderne orientierten sich an der (Hoch-)Kultur des Adels. Neben Geistesübungen war auch körperliche Ertüchtigung Teil des akademischen Lehrprogramms, das heisst man ritt, tanzte und ficht. Fechttechniken wurden dabei zusehends in die Konfliktkultur eingebunden. Grösste Kontrahenten der Studenten waren in den Universitätsstädten die Handwerksburschen, die etwa im gleichen Alter waren und sich somit als Gegner anboten. Mit dem Aufkommen von Studentenverbindungen seit dem frühen 19. Jahrhundert war das Fechtduell in erster Linie ein Initiationsritual, das sich in Duellen zwischen rivalisierenden Verbindungen manifestierte. Duelle dieser Art dürften auch am Polytechnikum stattgefunden haben. Der Schulrat schreibt:

«Es ist dem akademischen Senate von Seite des hohen Erziehungsrathes mitgetheilt worden, dass im Laufe des Wintersemesters mehrere Duelle zwischen Studirenden der Hochschule & Polytechnikern stattgefunden haben. Ist es schon überhaupt bedauerlich, dass das Duellieren noch nicht ganz von unserer Hochschule verschwunden ist, während doch diese Unsitte gerade in der Schweiz wenigstens in der öffentlichen Meinung eine Stütze oder Entschuldigung findet, so ist es um so bedauernswerther, wenn Duelle […] vorkommen, denn gerade dadurch würde das gute Vernehmen, welches zwischen den Schwesteranstalten herrscht, leicht auf eine für beide sehr gefährlich Weise gestört werden.» (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, SR2:1856, S. 82-83.)

Der Ruf der Hochschulen stand mit Bekanntwerdung studentischer Kraftmeierei mit Stichwaffen offensichtlich unter Druck. Krug-Richter bemerkt, dass trotz oder gerade wegen dieser Angst lange nicht besonders harsch gegen Duellanten und deren Helfer vorgegangen wurde, da viele Hochschulen um ihren guten Ruf fürchteten und Angst hatten, Studenten würden bei allzu drakonischer Ahndung die Schule verlassen. In Zürich schien aber Mitte des 19. Jahrhunderts die Schmerzgrenze allmählich erreicht. 1866 wurde ein kantonales Gesetz verabschiedet, das die Teilnahme an studentischen Duellen unter Strafe stellte. Resultierten leichte Verletzungen daraus, drohte den Duellanten zwischen sechs Tagen und zwei Monaten Gefängnis. Bei schweren Verletzungen oder gar einem Todesfall konnten bis zu drei Jahre Haftstrafe verhängt werden. Sekundanten oder Beteiligte im sogenannten «Späherdienst» konnten ebenso verurteilt werden wie Wirte, die den Duellanten ihr Lokal als Bühne zur Verfügung stellten. Letzteren drohte zusätzlich der Entzug ihrer Schanklizenz.

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Auszug aus einem kantonalen Gesetz vom 28. April 1866. (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, SR5:1521)

Im Jahr 1865 wandte sich Schulratspräsident Kappeler in einem Brief an die Studentenschaft. Das studentische Duell bezeichnete er darin als längst überholte Tradition, die dem rationalen Zeitgeist und insbesondere der politischen Kultur der Schweiz zuwiderlaufen würde:

«[…] Es liegt aber in der Macht der Studirenden, aus eigener Initiative auf eine hergebrachte Ueberlieferung zu verzichten, welche ihres innern Gehaltes längst entkleidet und zu einem blossen Zerrbilde geworden ist, das, wie es auf unserm Boden niemals natürlich Wurzeln geschlagen hat, auch mit der öffentlichen Meinung des Landes im entscheidenden Widerspruche steht. Muss es nicht als eine Verirrung bezeichnet werden, dass jenes Unwesen in einem Lande sich breit zu machen sucht, das den vernünftigen Fortschritt überall zur Wahrheit machen bestrebt ist […]?» (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, SR5:1521)

Das Thema schlug auch in den folgenden Jahren hohe Wellen. Nachdem Ende 1874 publik geworden war, dass in einem Duell fünf Studenten des Polytechnikums involviert gewesen waren, sah sich der Schulrat genötigt, weitreichende Massnahmen zu ergreifen. Die betreffenden Studenten wurden vorgeladen und verhört. Es stellte sich heraus, dass es zwischen den einzelnen Sektionen der betreffenden Verbindung «Helvetia», Uneinigkeiten darüber gegeben hatte, ob nun die «Vertheidigung der Farben», d.h. der Duellkampf, obligatorisch sei oder nicht. Den Studenten wurde untersagt, während der Dauer ihres Studiums am Polytechnikum jegliche Verbindung zur «Helvetia» zu halten. Bei einer Zuwiderhandlung sollten sie von der Schule verwiesen werden.

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Postkarte der Studentenverbindung Helvetia in Zürich, ca. 1910. (Ans_05535)

Im Kern ging es bei solchen studentischen Duellen um das Ideal der männlichen Standhaftigkeit, wobei es als unschicklich wahrgenommen wurde, einer Ehrverletzung nicht angemessen zu begegnen. Vormoderne Rechtsvorstellungen vermischten sich hierbei mit patriarchalisch-männlichen Verhaltensregeln, die angesichts der Genese einer zusehends industriellen, von Maschinen und Automatismen gelenkten Wirtschaft Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich an Bedeutung verloren.

Literatur:

Frevert, Ute: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991.

Ludwig, Ulrike/Krug-Richter, Barbara, Schwerhoff, Gerd (Hg.) Das Duell. Ehrenkämpfe im Mittelalter bis zur Moderne, Konstanz 2012. (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 23)

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