Raus aus dem Schatten des Gatten – Donella Meadows, die erste Ehrendoktorin der ETH Zürich

Ein schwarzer Schnürschuh mit gelbem Grobstrickstrumpf im Schaft zertritt den Erdglobus: Damit erschreckte ein Plakat auf Reklametafeln und in Schaufenstern von Buchhandlungen die Vorbeigehenden 1973. Es warb für das Taschenbuch mit dem gleichen Bild auf dem Umschlag, nämlich für „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“. Mit grausiger Drastik illustriert die Darstellung den Text auf der Umschlagrückseite:

Die Grenzen des Wachstums, Rohwolt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1973, Umschlag: Werner Rebhuhn

„Dieser internationale Sachbuch-Bestseller hat der Umweltdiskussion eine neue Dimension verliehen. Seine Autoren, Mitarbeiter der berühmtesten westlichen Denkfabrik, des Massachusetts Institute of Technology (MIT), nutzen erstmals die neuartigen Techniken der wissenschaftlichen Systemanalyse und Computersimulation, um präzise Prognosen über die Langzeitentwicklung der weltweit verflochtenen Probleme Industrialisierung, Bevölkerungszunahme, Unterernährung, Rohstoffverknappung und Umweltzerstörung abzugeben. Ihr Fazit: Unser Bevölkerungs- und Produktionswachstum ist ein Wachstum zum Tode.“

Schon ein Jahr zuvor war die deutsche Übersetzung des amerikanischen Originals „The Limits to Growth“ in einem anderen Verlag mit einem anderen Umschlagbild erschienen, dessen Bedeutung sich nicht sofort erschliesst: Zwischen zwei sorgfältig getrennten Eierschalenhälften ist statt des Eidotters oder des schlüpfenden Kükens die Erdkugel zu sehen. Ist es ein hartgesottenes Ei, allzu lange gekocht, daher grünblau verfärbt? Weshalb überhaupt Grenzen des Wachstums? Nach dem Sprengen der Schale kann sich das Küken, die Erde, doch endlich ungehindert zum ausgewachsenen Huhn oder Hahn entwickeln. Titel und Bild widersprechen sich: verwirrend. Vermutlich soll jedoch die Erde mit einem rohen Ei verglichen werden, mit dem wegen dessen Zerbrechlichkeit achtsam umzugehen ist.

Die Grenzen des Wachstums, Deutsche Verlags Anstalt, Stuttgart, 1972, Umschlag: Klaus Dempel

Eine weitere Feinheit unterscheidet diesen Umschlag vom Schnürschuh-Schocker: Es wird nur ein Autor genannt, ein Mann. Beim Schnürschuh sind es vier Namen, darunter ein weiblicher. Zwar ist der erstgenannte Name (derselbe wie beim Buch mit dem rohen Ei) rot hervorgehoben wie weiter unten der Club of Rome. Der weibliche Name steht aber in der ersten Zeile ungefähr in der optischen Mitte zwischen den Buchrändern: vielleicht ein Hinweis auf die zentrale Rolle dieser Frau, eine subtile Botschaft im Kontrast zur sonstigen Dramatik des Umschlags?

Mutmasslich hatte der Verlag der deutschen Erstausgabe mit dem rohen Ei sich nicht getraut, den Namen einer Frau auf den Umschlag zu drucken, aus Sorge, dass der Bericht dann nicht ernst genommen werde. Anders formuliert: eher aus Sorge, das Buch nicht verkaufen zu können. Bekanntlich kam es anders. Das Buch – und zwar gerade in der Schnürschuh-Version mit weiblichem Namen unter den Autoren – wurde ein Best- und Longseller.

The Limits to Growth, Universe Books, New York, 1972, Design: Hubert Leckie

Die Betrachtung der Buchumschläge bliebe unvollständig ohne Blick auf das amerikanische Original. Und siehe da: Die Frau steht an erster Stelle. Warum wohl? Weil ihr Beitrag weniger bedeutend ist im Vergleich zu den Beiträgen der männlichen Autoren? „Ladies first“ aus blosser Galanterie? Wohl kaum.

Unter den vier auf dem Umschlag namentlich erwähnten Team-Mitgliedern stammen übrigens drei aus den USA und eines aus Norwegen. Bei der deutschen Schnürschuh Version sind zwei Namen ausgetauscht durch zwei von deutschen Forschern: Verlegerisches Verkaufskalkül in beiden Fällen, obwohl gemäss alter Redensart der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Die Buchhändler diesseits und jenseits des Atlantik rechneten aber offensichtlich mit dem Gegenteil, mit einem erhöhten Interesse an einer Publikation von einheimischen Beteiligten.

20 Jahre später…

Zwanzig Jahre vergingen. Der Club of Rome überprüfte zwischenzeitlich seine Untergangsprognosen mit denselben, jedoch verfeinerten Methoden und veröffentlichte anfangs 1992 die Ergebnisse im Buch „Beyond the Limits“, auf Deutsch „Die neuen Grenzen des Wachstums“. Mit von der Partie waren wiederum der allein genannte Autor der rohen Ei Ausgabe und die Autorin der Schnürschuh Version: Das frühere Ehepaar Dennis und Donella Meadows. Dennis Meadows, Direktor der weltweit verzweigten Forschungsgemeinschaft, ging für die neue Publikation auf Werbetour, hielt Vorträge, nahm an Diskussionsrunden teil, gab Interviews, auch in der Schweiz, auch in Zürich.

Die ETH Zürich würdigte die unermüdlichen Bemühungen zur Rettung der Lebensgrundlagen im November 1992 an ihrer Jahresfeier mit der Vergabe eines Doktortitels ehrenhalber. Doch welche Überraschung: Sie zeichnete nicht etwa den momentan weit und breit beachteten ökologischen Wanderprediger aus. Sondern sie erkor dessen ehemalige Gattin Donella Meadows zur ersten Ehrendoktorin der bisherigen Trutzburg wissenschaftlicher Männlichkeit. Den Antrag hatte die Abteilung für Kulturtechnik und Vermessung gestellt.

ETH-Tag 1992, Photoshooting mit Rektor, Ehrendoktoren und Ehrendoktorin (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, HK_01-00880)

Schon 1975 hatte diese Abteilung mit dem Vorschlag zur Ehrung eines Ehepaares erstmals eine Frau in die Männergesellschaft geschmuggelt. Es handelte sich um die Ehrengäste Olga und Paul Cattani, die sich mit verschiedenen Projekten zur Unterstützung der Berggebiete in der Schweiz verdient gemacht hatten. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb einige Jahre später: „[…] wer bezweifelt, dass dabei Frau Cattani der treibendere Teil war […].“ Aha! Doch Hilfsprojekte sind nie kostenlos, daher war jeweils das Einverständnis des Gatten beim Griff in die gemeinsame Kasse notwendig. Die Ehrung auch der männlichen Ehehälfte war somit naheliegend gewesen und hatte vorsichtshalber möglichen Kritikern einer alleinigen weiblichen Auszeichnung den Wind aus den Segeln genommen. Die gemeinsame Ehrung eines Ehepaars hingegen hatten auch konservative Gemüter gönnerhaft durchgehen lassen können.

ETH-Tag 1992: Gruppenbild erstmals mit Dame (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, HK_01-00875)

1992 nahm die Abteilung für Kulturtechnik und Vermessung die bevorstehende Diplomierung der ersten Umweltingenieure und Umweltingenieurinnen zum Anlass, zwei Pioniergestalten des ökologischen Denkens und Handelns auszuzeichnen. Da die Meadows inzwischen getrennt waren, kam eine paarweise Ehrung wie anno 1975 anscheinend nicht in Frage. Es ging ja nicht um die Präsentation eines erfolgreichen „Career couple“. Es ging um diese Nachhaltigkeit, die damals immer noch ungewohnt klingende Übersetzung der angloamerikanischen Sustainability.

Überdies hätte die Ehrung von gleich zwei Mitgliedern des Club of Rome von skeptischen Kreisen als ideologische Verirrung der staatlichen Bildungseinrichtung verstanden werden können. Also entschied man sich sowohl im Hinblick auf das breite Spektrum des ETH-Studiengangs als auch im Hinblick auf die politische Ausgewogenheit für zwei Persönlichkeiten mit verschiedener Ausrichtung, einerseits eine aus der modellbasierten Forschung, anderseits jemanden aus der konkreten Planung und Umsetzung von Massnahmen in der Praxis.

Donella Meadows am ETH-Tag 1992 (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, HK-01-949: Ausschnitt)

Die Wahl fiel wahrscheinlich weder zufällig, noch kurzfristig auf Donella Meadows. Denn wer hätte sich auf der Forschungsseite besser als Vorbild geeignet für die frisch zu Diplomierenden und die künftigen Studierenden, insbesondere für die noch wenigen weiblichen unter ihnen, als die Universitätsprofessorin aus dem Club of Rome? Dank internationaler Vernetzung in den Wissenschaften wussten die Kultur- und Vermessungstechniker sicher lange im voraus von der geplanten Publikation der revidierten Umweltprognosen. Ein Clubmitglied zeitnah zur Veröffentlichung auszuzeichnen, würde daher die öffentliche Aufmerksamkeit auf das neue Umweltstudium der ETH Zürich ziehen. Nicht den Leiter der internationalen Forschungsgruppe zu ehren, sondern die Frau im Hintergrund, welche die grundlegende Methodik geliefert hatte, würde für zusätzliche Beachtung sorgen und den fortschrittlichen Geist der Abteilung betonen.

ETH-Tag 1992: Donella Meadows und Ernst Basler, Ehrendoktorin und Ehrendoktor auf Antrag der Abteilung für Kulturtechnik und Vermessung (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, HK-01-949: Ausschnitt)

Die gleichzeitige Ehrung eines praxiserprobten Bauingenieurs und Unternehmers mochte als Ausgleich dazu diejenigen besänftigen, denen der Club of Rome nach wie vor als anrüchiger Klüngel realitätsferner, wirtschaftsfeindlicher Fundamentalisten galt oder die sich mit der Gleichberechtigung der Frauen in den Wissenschaften nicht anfreunden konnten.

Ob neben den unbestreitbaren Leistungen der Kandidatin und des Kandidaten solche Überlegungen für die Anträge beider Ehrendoktorate tatsächlich eine Rolle spielten, ist allerdings nicht aktenkundig nachweisbar. Wenn ja, wurden sie in informellem Rahmen erörtert.

Die Leitung der ETH Zürich ihrerseits war sicher erfreut über den Vorschlag einer Ehrendoktorin. Denn neuerdings strengte sie sich an, den Anteil der Frauen auf allen akademischen Ebenen zu erhöhen, um damit von den weiblichen Talenten zu profitieren. Es galt, den zweifelhaften Ruf einer angestaubten Männerbastion endlich loszuwerden, der so gar nicht zum eifrig gepflegten Image einer zukunftsträchtigen Lehr- und Forschungseinrichtung passen wollte. Die Verbindung der Kandidatin zum Massachusetts Institute of Technology, wo sie einst studiert hatte und sich der Geschäftssitz des Club of Rome befand, war dabei nur von Vorteil, verglich sich doch die ETH Zürich gerne mit der amerikanischen Spitzenuniversität.

Denn man(n) sieht nur die im Lichte…: Die öffentliche Wahrnehmung

Donella Meadows war trotz der damaligen gesellschafs- und wissenschaftspolitischen Situation keineswegs eine Alibi-Frau, die nur wegen des Zeitgeists geehrt wurde, ohne wirkliche Verdienste vorweisen zu können. Im Gegenteil: Sie hatte massgeblich das Computermodell mitentwickelt, das den Zukunftssimulationen des Club of Rome zugrunde lag. Zudem verfasste sie die Texte der verschiedenen Team-Beiträge in einer allgemein verständlichen Sprache, was wesentlich zur Verbreitung der Ergebnisse in der Öffentlichkeit weit über die akademischen Zirkel hinaus beitrug. Die Begründung für ihre Auszeichnung lautete denn auch:

„Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich verleiht mit dieser Urkunde Frau Prof. Dr. Donella H. Meadows in Würdigung ihrer grossen wissenschaftlichen Leistungen bei der Entwicklung eines Weltmodells ökologischer Zusammenhänge und in Anerkennung ihres ausserordentlichen Einsatzes bei der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Einsicht und adäquates Handeln die Würde eines Doktors der Technischen Wissenschaften ehrenhalber.“

Kopie der Urkunde zur Verleihung des Dr.h.c. der ETH Zürich an Donella Meadows, 21. November 1992 (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv ETHZ, Akz 2009-13)

Die Medien reagierten verhalten, wenn überhaupt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatten sie monatelang bis Anfang November fast ausschliesslich den Ex-Mann von Donella Meadows wahrgenommen und publikumswirksam aufgemachte Interviews mit ihm veröffentlicht, ohne irgendeine Zeile oder ein Wort an die anderen Mitwirkenden beim Club of Rome zu verschwenden. Was sollte denn jetzt noch dieser Doktortitel an die Ehefrau, zumal an die ehemalige? Würde das jemanden interessieren? Wirklich Donella, nicht Dennis? Eine Verwechslung der Vornahmen, ein Versehen des ETH-Pressedienstes in der vorab verschickten Medienmitteilung? Der angestammte Platz der Lebenspartnerinnen von Wissenschaftlern war bisher das Vorwort der Bücher gewesen, die „ohne ihre nimmermüde Engelsgeduld und klaglose Unterstützung nie zustande gekommen“ wären – oder wie immer die klassische Formulierung in unzähligen Abwandlungen lautete. Für eine solche Selbstverständlichkeit musste doch nicht gleich ein Ehrendoktortitel verliehen werden.

Die Neue Zürcher Zeitung berichtete traditionsgemäss ausführlich über den ETH-Tag, fokussierte auf den Besuch eines Bundesrates, das damalige neue ETH-Gesetz und drohende Sparmassnahmen. Auf eine erstmalige Ehrendoktorin wies nur ein Zwischentitel vor dem letzten kurzen Abschnitt mit der Aufzählung aller Ehrungen hin. Aber dann immerhin: Der Tages-Anzeiger korrigierte einige Tage später die reduzierte Optik auf einer Zweidrittelseite mit einem Artikel samt grossem Farbfoto über die frisch Geehrte. Darin ist folgende Passage zu lesen:

„Findet sie es nicht frustrierend, im Schatten ihres Ex-Mannes zu stehen? Nein, meint sie, das kümmere sie wenig. ‚Ich bin ziemlich schüchtern und liebe es nicht, im Brennpunkt zu sein.‘ Sie versuche aber doch, ihre Rolle bei der Arbeit korrekt darzustellen, dies im Interesse von anderen Frauen. Dass bei der deutschen Ausgabe des ersten Buches nur Dennis‘ Name auf dem Umschlag stand, hätte sie nicht erlaubt, wenn sie davon gewusst hätte. Und am Ehrendoktortitel der ETH, den sie vergangenen Samstag erhalten hat, freut sie besonders, dass damit erstmals eine Frau ausgezeichnet worden ist.“

Donella Meadows am ETH-Tag 1992 (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, HK_01-00875: Ausschnitt)

Zurückhaltung, Korrektheit: zwei anerzogene weibliche Tugenden, die sich für Frauen im wissenschaftlichen Konkurrenzkampf und dem Gerangel um öffentliche Aufmerksamkeit oftmals zum Nachteil auswirkten. Bis zur nächsten Ehrendoktorin der ETH Zürich dauerte es 11 Jahre. Niemand wird ernstlich glauben wollen, dass es dazwischen weltweit keine weiteren geeigneten Kandidatinnen für den Titel gegeben hätte…

Hinweise

Trachsler, W.: Olga Cattani achzigjährig, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 193, Samstag/Sonntag, 21./22. August 1982, S. 34.

Vonarburg, Barbara: „Wir müssen unser Tempo verlangsamen“. Als erste Frau hat die Umweltschützerin Donella H. Meadows den Ehrendoktortitel der ETH Zürich erhalten, in: Tages-Anzeiger, Dienstag, 24, November 1992, S. 72.

Pfister, Ernst: Donella Meadows und Ernst Basler: Ehrendoktoren der Abteilung für Kulturtechnik und Vermessung der ETHZ. Wortlaut zur Vorstellung der beiden Ehrendoktoren am ETH-Tag, 21. November 1992, in: Vermessung, Photogrammetrie, Kulturtechnik / Mensuration, Photogramétrie, Génie rural, 2/1993, S. 110.

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