Von Spitze bis PET – Matrizen in der zeitgenössischen Beton-Architektur

Was hat geklöppelte Spitze mit PET-Getränkeflaschen gemeinsam? Beide dienten namhaften Architekten in den vergangenen Jahren als Vorlagen für Schalungsmatrizen, mit denen Sichtbetonfassaden bzw. Fassadenelemente aus Beton gegossen wurden. Die Möglichkeiten, Betonoberflächen durch unterschiedliche Prinzipien der Schalung zu gestalten, sind heutzutage fast unbegrenzt. In der Materialsammlung der ETH Zürich sind in den vergangenen Monaten diverse Betonoberflächen mithilfe handelsfertiger und selbstgestalteter Matrizen gegossen worden.

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Musterwerkstatt der Materialsammlung der ETH Zürich, Foto: Anas Honeiny

Parallel zu diesen Mustern werden ab Mitte Januar anhand von Fotografien und zum Teil auch Originalmatrizen einige herausragende Architekturbeispiele der letzten 11 Jahre im Rahmen einer kleinen Ausstellung präsentiert.

2006 wurde das vom Architekturbüro Maison Edouard François im sogenannten Triangle d’or in Paris – an der Ecke Champs-Elysées und Avenue Georges V – konzipierte Fouquet’s Barrière Hotel eröffnet. Bei den von Bauten aus der Zeit George-Eugène Haussmanns sowie der 1970er Jahre umgebenen neuen Gebäudeteilen handelt es sich um Betonabgüsse der bestehenden Fassaden aus dem 19. Jahrhundert, durchbrochen von grossformatigen, rechteckigen Fensteröffnungen. Diese orientieren sich nicht an der architektonischen Ordnung der Aussenfassade, sondern ergeben sich einzig aus den Erfordernissen des modernen Innenraums.

©Floriane de Lassée

Maison Edouard François: Fouquet’s Barrière Hotel, Paris (2003–2006), Foto: Floriane de Lassée

Vor 10 Jahren errichtete der Bündner Architekt Valerio Olgiati im Weiler Scharans im Domleschg ein Atelierhaus für den Musiker Linard Bardill. Die Wände des geschlossenen und fensterlosen Gebäudes aus rotbraun eingefärbtem Sichtbeton sind aussen und innen mit 150 Rosetten in drei verschiedenen Grössen ‚geschmückt’. Als Vorlage diente das Ornament auf einer Barocktruhe, die sich in Bardills Besitz befindet. Entscheidend für die spätere Gesamtwirkung war, dass die Ornamente per Hand in die Schalung geschnitzt und nicht maschinell gefräst wurden. Zudem wurde die Anordnung der Ornamente bewusst so gewählt, dass Wiederholungen nicht sichtbar sind und sich das Muster hierarchielos über die gesamte Betonoberfläche verteilt.

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Valerio Olgiati: Atelier für Linard Bardill, Scharans, GR (2005–2007), Foto: Adrian Michael

Etwa zeitgleich realisierten Caruso St John Architects das Museum Nottingham Contemporary in der gleichnamigen Stadt in den englischen East Midlands. Das 2009 fertiggestellte Museum für zeitgenössische Kunst steht in unmittelbarer Nachbarschaft zum ehemaligen Lace Market. Nottingham war im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Produktion maschinengefertigter Spitzen. In der Nähe des Museums fand man unter dem Grundstein der Water Corporation Offices ein eingemauertes Musterbuch von 1847, das unter anderem eine in Nottingham gefertigte Valencienne-Spitze enthielt. Diese wurde von einer Spitzenklöpplerin reproduziert und mittels digitaler Technik auf die Oberfläche der Matrize übertragen. Die beim Abguss der Matrize entstandenen konkaven, rund einen Meter breiten Betonelemente der Museumsfassade beziehen sich mit ihrer Spitzentextur subtil auf die Geschichte des Ortes.

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Caruso St John Architects: Nottingham Contemporary, Nottingham (2004–2009), Foto: Hélène Binet

Diener & Diener gewannen 2005 den Wettbewerb für den Wiederaufbau und die Neufassung des Ostflügels des Museums für Naturkunde in Berlin. Dieser wurde im zweiten Weltkrieg durch eine Bombe zerstört und existierte nur noch als Ruine. Da in dem Gebäudeteil die lichtempfindliche Nasssammlung – 276’000 in Alkohol konservierte Tierpräparate – untergebracht ist, sollte ein fensterloser Gebäudetrakt entstehen. Hierfür wurden von der bestehenden Fassade Silikonabdrücke genommen und die neuen Gebäudeteile mithilfe der so hergestellten Matrizen aus Beton gegossen. Der wiederaufgebaute Abschnitt des Gebäudes mit Blindfenstern in grauem Beton hebt sich deutlich sichtbar von der erhaltenen Bausubstanz aus Backstein ab.

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Diener & Diener: Neufassung und Wiederaufbau des Ostflügels am Museum für Naturkunde, Berlin (1995–2015), Foto: Christian Richters

Die Fassade des von Cukrowicz Nachbaur Architekten bis 2012 errichteten Vorarlberg-Museums in Bregenz zieren 16’656 Blüten, gebildet aus Abdrücken von PET-Flaschenböden. Die Idee stammt von dem Südtiroler Künstler Manfred Alois Mayr und bezieht sich inhaltlich auf die bedeutende antike Gefässesammlung des Museums: Diese umfasst unzählige Tonscherben, die seinerzeit analog zu den PET-Flaschen ganz gewöhnliche Alltagsgegenstände darstellten. Für die komplexe Aufgabe der optimalen Verteilung des Blütenmusters wurde der Geometrie-Ingenieur Urs Beat Roth hinzugezogen. Von Seiten der Architekten waren bereits einige Rahmenbedingungen vorgegeben, so sollte die Fassade vor Ort betoniert werden und auch das auf einem Zwei-Meter-Modul basierende Schalungssystem, in das bis zu sechs Meter hohe Kunststoffmatrizen eingelegt werden konnten, war bereits bestimmt. Im Endresultat sind die Blüten so auf der strahlend weissen Fassade verteilt, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Matrizen im Muster nicht wahrnehmbar sind.

Vorarlberg Museum

Cukrowicz Nachbaur Architekten: Vorarlberg-Museum, Bregenz (2010­–2012), Foto: Adolf Bereuter

Bis 2015 erweiterten Diener & Diener das Stadtmuseum Aarau um einen Neubau. Da hierfür ein 130 Jahre alter Mammutbaum gefällt werden musste, erhielt der im Umgang mit Holz geübte Sankt Galler Künstler Josef Felix Müller den Auftrag, den Baum indirekt in die Fassade zu integrieren. Sein daraufhin entwickeltes Konzept sah vor, den Stamm des Baumes zu Brettern sägen zu lassen und diese dann als Bildtafeln zu bearbeiten: 134 lebensgrosse, figurative Reliefs, die sogenannten Menschenbilder, wurden in die Tafeln geschnitzt und letztere zu Negativformen abgegossen. Diese wiederum dienten schliesslich als Matrizen für die 200 x 95 cm grossen Betonelemente der Fassade.

Aarau

Diener & Diener: Erweiterung Stadtmuseum Aarau, Aarau, AG (2007–2015), Foto: Christian Richters

Die hier vorgestellten Architekturbeispiele lassen vor allem zwei Strategien im Umgang mit Matrizen erkennen: Einerseits geht es um die reine Texturierung bzw. Ornamentierung der Betonoberfläche, andererseits wird durch die Anwendung von Schalmatrizen auf alte Bausubstanz rekurriert und diese imitiert, wobei durch die Farbigkeit des Betons oder gestalterische Brüche bewusst auf die moderne Ergänzung verwiesen wird.

Materialsammlung ETH Zürich:

Die Materialsammlung der ETH Zürich ist ein Gemeinschaftsprojekts des Departements Architektur und der ETH-Bibliothek. Sie ist Partner im Netzwerk Material-Archiv.

Ausstellungsankündigung:

‚Von Spitze bis PET – Matrizen in der zeitgenössischen Beton-Architektur’, Materialsammlung der ETH Zürich, Baubibliothek HIL E2, 11. Januar bis 23. Februar 2018

Bibliographie, Weblinks:

Aarau Stadtmuseum: Diener & Diener Basel/Berlin mit Martin Steinmann Aarau in Kooperation mit dem Künstler Josef Felix Müller, mit Texten von Beat Wismer und Kaba Rössler, in: Kunst + Bau, Nr. 3, 2015.

Cukrowicz Nachbaur Architekten 1992–2014, Zürich 2014, S. 219–323.

Diener & Diener, mit Texten von Joseph Abram, Roger Diener, Sabine von Fischer, Martin Steinmann, Adam Szymczyk, London 2012, S. 286–297.

House for a musician: Atelier Bardill by Valerio Olgiati, Zürich 2007.

www.carusostjohn.com/projects/nottingham-contemporary/ (Stand 30.10.2017).

www.edouardfrancois.com/en/projects/hotels-resorts/details/article/145/hotel-fouquets-barriere/#.WfcYyIaDNo5 (Stand 30.10.2017).

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