Ein Menschenfreund mit Fragezeichen. Aurel Stodola als Ingenieur und Eugeniker

Manchmal lohnt es sich, ganz genau hinzusehen.

Aurel Stodola (1859-1942) gilt als hervorragender Ingenieur, als Pionier der Thermodynamik und Spezialist für Dampfturbinen. In der heutigen Slowakei geboren, kam er als Student an die ETH Zürich und wirkte hier von 1902 bis 1929 als Professor für Maschinenbau. Bei den Studierenden war er als Dozent sehr beliebt.

Weltanschauung

Titelblatt von Stodolas 1931 erstmals erschienenem Buch, Ausschnitt

Stodola gehörte zu den wenigen Ingenieuren, die es wagten, sich als Autor auch an die breitere Öffentlichkeit zu wenden. Sein 1931 in Berlin publiziertes Buch Gedanken zu einer Weltanschauung vom Standpunkte des Ingenieurs war ein grosser Erfolg bei Kritikern und Publikum und erschien in mehreren Auflagen. Stodola trat als Wohltäter für humanitäre Projekte in Afrika in Erscheinung und spendete privat grosszügig für die Förderung von Forschenden und Studierenden an seiner Hochschule.

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Skizze einer Handprothese von Aurel Stodola, 1915 (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 496a: 9)

Im Ersten Weltkrieg zählte Stodola zu den Pazifisten unter den ETH-Professoren. Sein Entsetzen über die Brutalität des Krieges brachte ihn auch auf die Idee, seine Fähigkeiten als Ingenieur in den Dienst der Medizin zu stellen. Mit seinem damaligen Assistenten und späteren Lehrstuhlnachfolger Gustav Eichelberg konstruierte er 1915 eine Handprothese, die Kriegsversehrte in ihrem Alltags- und Erwerbsleben unterstützen sollte. An der ETH gab es damals viele ausländische Studierende, die im Krieg verwundet worden waren. In dieser Hinsicht war Stodola ein Vorläufer der aktuellen Forschungen im Bereich Assistenztechnologien für Menschen mit Behinderungen, wie sie beispielsweise 2016 am Cybathlon präsentiert werden.

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Stodola auf einer Briefmarke der Tschechoslowakei 1959,
das Todesjahr wurde fälschlicherweise mit 1924 angegeben
(ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 496b: 41, Beilage 11)

Doch Stodola hatte auch dunkle Seiten. Die älteste Tochter, Helene Stodola, litt unter seinem strengen Regiment, das wohl auch dazu beitrug, dass sie 1928 Selbstmord beging. Noch problematischer erscheint Stodolas Persönlichkeit, wenn man sein oben erwähntes, 100-seitiges Werk genauer liest, insbesondere seine Ausführungen zur Sozialmedizin.

In jeder Rasse, so Stodola, gebe es „Menschen erster Qualität“ und „Menschen zweiter Qualität“. Zur letzteren Gruppen gehörten für ihn insbesondere Kriminelle, Alkoholiker, Menschen mit psychischen und geistigen Behinderungen. Stodola waren diese „höchst abstossenden“ Menschen ein Dorn im Auge:

Der Menschenfreund, der sich nach Harmonie sehnt, wird daher […] sich mit Wucht ausschließlich gegen das Kranke und Widerliche wenden, wo immer es auftaucht, also erst recht innerhalb der eigenen Rasse. Vor allem sollte man überall den Hebel am Tiefstpunkt der Entartung: dem erblichen Verbrechertum, ansetzen. Fast auf gleicher Stufe steht die psychische Entartung als Irrsinn, Schwachsinn u.a.” (S. 75)

Stodolas eugenische Ideen gipfelten schliesslich in seiner Forderung nach der Legalisierung und breiten Anwendung von Zwangssterilisationen:

 “Gegen das Überhandnehmen dieser Übel gibt es ein Hilfsmittel von solch eminenter Einfachheit und Wirksamkeit, daß uns die Stumpfheit der großen Masse und der Gebildeten ihm gegenüber, nur mit Erstaunen erfüllen kann. Es ist dies die Sterilisation […]. Möge alteuropäischer juristischer Zopf der Einführung dieser segensreichen Institution bei uns nicht länger hinderlich entgegenstehen.” (Ebd.)

Zwar lehnte Stodola die Vorstellung von höher und tiefer stehenden Rassen ab, doch mit seinen Überlegungen zur negativen Eugenik lag er in den 1930er Jahren voll im Zeitgeist. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden in den USA und in Europa (auch in der Schweiz) Hunderttausende von Menschen Opfer von Zwangssterilisationen, darunter rund 400’000 im nationalsozialistischen Deutschland.

Stodola verstand sich Zeit seines Lebens als Menschenfreund und bezeichnete sich in seinen Büchern auch mehrmals als solchen. Aus seiner Perspektive mag dies stimmig gewesen sein, heutzutage wirkt diese Selbsteinschätzung doch eher befremdlich.

 

Quellen:

Im Hochschularchiv der ETH Zürich findet sich der wissenschaftliche Nachlass von Aurel Stodola.
Virtuelle Ausstellung der ETH-Bibliothek: „Heat & Steam“, Aurel Stodola, Maschinenbauer
Aurel Stodola: Gedanken zu einer Weltanschauung vom Standpunkte des Ingenieurs. Berlin 1931
Norbert Lang: Aurel Stodola (1859-1942), Wegbereiter der Dampf- und Gasturbine. Meilen 2003

 

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