Photographers aloft – eine Pionierfahrt 1863 im Ballon von Henry Coxwell

Der englische Ballonfahrer Henry Coxwell schrieb 1863 bis 1865 etliche Briefe an den Meteorologen James Glaisher, mit dem er in den 1860er Jahren 28 meteorologisch-wissenschaftliche Ballonaufstiege unternahm. Es sind schnell notierte Mitteilungen, die zwar nicht mit einer Schilderung der Pionierfahrten aufwarten können, die aber die Organisationsfragen und die täglichen Herausforderungen spiegeln und manchmal zeigen, dass sich sogar ein Anflug von Routine ergab, wenn sich die Ballonfahrer über hängige Fragen absprachen.

HS_597_001_01COXWELL_f1e065faf9ad46d7a97f5bc7c95f5c97_0002

Brief von Henry Coxwell (1819-1900) an James Glaisher (1809-1903), 26.5.1863, Seite 1 mit Erwähnung von Mr. Negretti, ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 597:1, doi: 10.7891/e-manuscripta-16222

 HS_597_001_02COXWELL_f1e065faf9ad46d7a97f5bc7c95f5c97_0003

Seite 2 des Briefes, , Hs 597:1, doi: 10.7891/e-manuscripta-16222 

Im Mai 1863 war jedoch zweifellos ausserordentlich, dass Henry Coxwell James Glaisher danach fragte, was er von einem bestimmten, vermutlich bereits in vorhergehenden Briefen erwähnten Vorschlag Negrettis halte:„What about Mr. Negretti’s proposition [?]“ Wer war der erwähnte Negretti? Was hatte er zur Diskussion gestellt? In der vorliegenden Quelle haben wir wenig Anhaltspunkte. Immerhin aber wissen wir, dass die ersten Luftaufnahmen in England über London entstanden sind, 1863 auf einer Ballonfahrt mit Henry Coxwell und seinem Ballon „Mammoth“, geschossen von Henry Negretti. Fünf Jahre zuvor waren dem französischen Fotografen Nadar über Paris die ersten Luftaufnahmen überhaupt gelungen. Laut einem Literaturnachweis zu „Negretti’s Ballon ride“ war die Fahrt über London Thema in der „London Review“ im Juni 1863.

Henry Negretti war ursprünglich Konstrukteur wissenschaftlicher Geräte, zusammen mit Joseph Zambra Firmengründer von Negretti & Zambra und ein Pionier der Fotografie. Er hatte unter anderem als offfizieller Fotograf der Londoner Weltausstellung von 1851 gearbeitet. Negretti & Zambra waren seit den 1850er Jahren bekannt für die Veröffentlichungen von stereoskopischen Ansichten, die Fotografen auch in entfernten Ländern in Kommission erstellten.

Negretti unternahm die Ballonfahrt für seine Luftaufnahmen am 28. Mai 1863. Dieses Datum ist in der Encyclopedia of Nineteenth-Century Photography, herausgegeben von John Hannavy, S. 986 vermerkt. Dies war zwei Tage nach dem Brief von Henry Coxwell an James Glaisher, in dem Coxwell Glaisher um eine telegraphische Benachrichtigung bat:.., „if you think tomorrow will suit you.“ War James Glaisher am 28. Mai ebenfalls mit von der Partie?

Die Ballonfahrt der Fotografen führte auf 4000 feet, rund 1.2 km Höhe. Die „London Review” berichtete am 6. Juni 1863:

“It does not much matter what motive induced Mr. Negretti to go up with Mr. Coxwell on Thursday last, with a dark tent, in the famous “Mammoth”, but Mr. Negretti says he was deeply interested in ascertaining the possibility of taking photographic pictures in a balloon; and whether business, science, or pleasure tempted him to use the camera and hypo-sulphite bath at 4,000 feet above the earth, we, at least, are very much interested in his proceedings and their results. The special hiring of the balloon, when Mr. Coxwell had offered free passages on the occasions of his public ascents, solely for the completely and effectively carrying out his experiment, must make us accord, however, to Mr. Negretti all the honour due to a true scientific investigator; and it is but justice to himself and his firm to acknowledge how readily and ably, on all occasions when new scientific instruments have been required for scientific inquiries, the resources of their manufactory and their own practical skill and experience have been placed at the service of competent observers in furtherance of the attainment of scientific knowledge. Ascending at noon from Sydenham, the balloon rose swiftly…”

Es war ein schneller Aufstieg. Dabei galt es, ein neues, aber nicht unerwartetes Problem zu bewältigen: Fotoshooting diesmal nicht eines sich bewegenden Objekts wie an einem Pferderennen, sondern Aufnahmen von einer bewegenden Basis aus, hier von einem sich drehenden Ballon.

„It is a very different thing to take a photograph of a moving object from a solid base of operations and to take one of an immoveable scene from a whirling and rotative base. It is no wonder, then, Mr. Negretti’s assistant, when views were attempted in the elevated regions of the air, where the motion of the balloon had become steadier, reported of the Pictures „moved”, that is, that the edges of the objects were a little shifted, and the pictures not quite sharp and true.”

Um dem Missstand abzuhelfen, wurden möglichst viele Aufnahmen gemacht. Zudem wurde offenbar der Versuch in der Luft als Erfolg gesehen, da er die gesuchten Klärungen brachte.

„… the primary question to be solved was, whether the actinic powers of the sunbeams ware as effective as in the lower regions; and, indeed, whether sunligt up there had any actinic power at all. The fact that many pictures were taken, although all reported „moved”, distinctly proves that sun-pictures may be taken at from 3’000 to 4’000 feet at least, and higher no doubt when the trial is made.”

Bereits am 25. Mai muss Negretti einen Ballonflug unternommen haben. Dies berichtete Henry Coxwell James Glaisher im vorliegenden Brief. „Yesterday he went up with a party of Officers, but without any instruments or photographic apparatus whatever.”

Wir dürfen vermuten, dass James Glaisher die Fragen, die sich bei Fotoaufnahmen in der Luft stellten, ebenfalls vor Ort verfolgen wollte. Eine Biographie über James Glaisher, die 1996 in der Zeitschrift der Royal Astronomical Society erschienen ist, enthält den spannenden Hinweis, dass sich im Bestand der Library of the Royal Astronomical Society zu James Glaisher eine Fotografie befinde, die Glaisher und Henry Coxwell zeige, „sitting in the balloon car before lift off“, aufgenommen von Henry Negretti.

Damit gibt es vom Experiment Luftaufnahmen vom 28.5.1863 neben den schriftlichen Hinweisen auch eine fotografische Spur. Die zahlreichen Aufnahmen, von denen in der „London Review“ die Rede ist, gelten heute leider als verschollen.

 

Weiterführende links:

Die Briefe von Henry Coxwell in Hochschularchiv der ETH Zürich

Angaben zu Henry Negretti bei „photoLondon“

Biographie über James Glaisher von J.L. Hunt, in: Quarterly Journal of the Royal Astronomical Society, 1996, S.315-347

Zeitungsartikel in der London Review 1863, S. 618

Bestand Glaisher bei der Royal Astronomical Society (RAS) (unter G, Glaisher)

Schreibe einen Kommentar