Der Schmöcker Klage – Elegie eines Schweizers gegen Rauchverbote im viktorianischen England

Passionierte Raucher beklagen die seit der Jahrtausendwende auch in der Schweiz grassierenden Rauchverbote. Überraschenderweise stösst man auch in Archiven auf Zeugnisse ähnlicher Klagen aus längst vergangener Zeit.

1861 unternahm der Paläobotaniker Oswald Heer zusammen mit seinen Freunden, den Geologen Arnold Escher von der Linth und Peter Merian, eine Reise nach England. Neben Besuchen der paläobotanischen Sammlung der Geological Society oder der Jahrestagung der Britischen Naturforschenden Gesellschaft in Manchester stand eine Rundreise durch den Südwesten Englands und ein einwöchiger Aufenthalt in London auf dem Plan.

1. Seite des Gedichts “Der Schmöcker Klage” von Oswald Heer, ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 4:619, doi: 10.7891/e-manuscripta-7329

Von dieser Reise zeugt unter anderem ein Gedicht mit dem Titel „Der Schmöcker Klage“. Es handelt sich dabei um eine Elegie – ein Klagegedicht. Bereits die erste Strophe beschreibt die Qualen, die ihnen der Aufenthalt in England bereitete.

Was ist des Lebens Freud u. Lust,
Wo der Tabak uns fehlet,
Wo uns man mit dem Rauchverbot,
An allen Orten quälet;
So ging es uns in Engelland
Wo man das Rauchverbot erfand.
O jerum, jerum, jerum
O quae mutatio rerum

Erfunden wurde das Rauchverbot zwar nicht in England, jedoch hatte man das Rauchen bereits sehr früh königlich bekämpft. Jacob I. von England hatte 1603 die Schrift „A Counterblast to Tobacco“ veröffentlicht und daraufhin den Einfuhrzoll für Tabak um 4‘000% erhöht. Trotz vielfältiger Sanktionen durch die Obrigkeit verbreitete sich das Rauchen rasch in allen Ländern und Bevölkerungsschichten Europas. Die Verbote zeitigten kaum Wirkung und wurden nach und nach durch Luxussteuern ersetzt, die zugleich als staatliche Einnahmequelle dienten. Dennoch verblieben punktuelle Rauchverbote, wie das Gedicht von Heer eindrücklich dokumentiert.

Im Wirthshaus wo am Feuerherd
Wir Durst und Hunger stillten,
Dann, was so lange wir entbehrt,
Die Luft mit Rauch erfüllten,
Legt gleich der Wirth sein Veto ein,
Und ruft, lasst nur das Schmöcken sein.
O jerum, jerum.       
 
Drum gingen wir ins Bettgemach,
Uns dorten zu erlaben,
Da schreit die Wirthin wie ein Drach
Das will ich erst nicht haben.
Wir hatten eben angebrannt,
Als sie so kam dahergerannt.
O jerum, jerum.
 
Sie ruft, verletzt in Hauses Ehr’n
Und ohne viel Bedenken,
Es ist hier nicht erlaubt, Ihr Herrn,
Das Haus mir zu verstänken.
Also verkennt Brittania
Des Rauchtabackes Aroma.
O jerum, jerum.

Im Speisesaal und im Schlafzimmer des Gasthauses wurde den Schweizern das „Schmöcken“ – vermutlich eine Abwandlung des englischen „smoking“ – untersagt. Als Begründung wird im Gedicht der Gestank genannt. Ein weiterer möglicher Grund für das Verbot stellen feuerschutztechnische Gründe dar. Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln fanden die helvetischen Raucher keine Ruhe, um ihrer Passion zu frönen.

Im Omnibus, da geht es an,
Da wir den Rauch erneuen,
So tröstet Escher’n Merian,
Doch musst er’s bald bereuen.
Verstänkt mir meinen Kasten nicht
Auch da sogleich der Kutscher spricht.
O jerum, jerum.

Wir gehen in der Eisenbahn
Drumm in die dritte Classe,
Allein auch das war eitel Wahn
Dass man uns rauchen lasse.
Das kostet auf den Mann, o weh,
So ruft, der Steward, zwei Guinée.
O jerum, jerum.

Während einer Fahrt mit der Eisenbahn wurden sie wegen unerlaubten Rauchens mit zwei Guineen pro Person gebüsst. Tatsächlich herrschte im 19. Jahrhundert in englischen Eisenbahnwagen ein allgemeines Rauchverbot. Der Druck der rauchenden Öffentlichkeit war Mitte des Jahrhunderts jedoch so gross, dass ab den 1870er Jahren Raucherabteile eingeführt wurden.

Da ward der Rathsherr zornentbrannt,
Und thäthe raesoniren;
Alt England ist ein arg’ Pedant,
Man muss es reformiren;
Denn so zurück in der Kultur,
Ist auf der Welt doch England nur.
O jerum, jerum.

Nun kommen wir dem eigentlichen Grund des teils kindisch anmutenden Zeterns auf die Spur. Der so fürchterlich enervierte Ratsherr ist Peter Merian. Er sass von 1824-73 im Basler Grossen und von 1836-66 im Kleinen Rat. Das Gedicht besitzt folglich auch eine politische Komponente. 1848 erfasste eine Welle von bürgerlich-revolutionären Erhebungen Europa. Die Aufstände scheiterten – ausser in der Schweiz, wo ein bürgerlich-liberal geprägter Bundesstaat gegründet wurde. Eine Forderung vieler 1848er Revolutionäre war die Aufhebung von Rauchverboten. Deshalb galt öffentliches Rauchen als Anzeichen einer revolutionären Haltung. Der liberal gesinnte Politiker aus der republikanischen Schweiz räsonierte also über das – im Vergleich zum frisch gegründeten schweizerischen Bundesstaat- altertümliche England. Der Wiege des Liberalismus warf er Pedanterie vor und betonte damit, dass Bürger in der Schweiz grössere Freiheit gegenüber der staatlichen Gewalt genossen, zudem sei England weltweit das kulturell rückständigste Land überhaupt. England müsse reformiert werden – natürlich nach Schweizer Vorbild. Die Betonung der Diskrepanz zwischen liberaler Schweiz und monarchistischem England gipfelt im abschliessenden Lobgesang auf den unbeschränkten Rauchgenuss in der Schweiz.

Zurückgekehrt ins Heimathland
Versäumtes wir nachhohlen,
Im Mundt ist stets der Feuerbrand,
Den wir mit Lust verkohlen;
Im Bette erst, um Mitternacht
Wird dieser Lust ein End gemacht.
O lirum, larum, lacum
Hoch lebe der Tabacum!

Quellen:

Conradin A. Burga (Hrsg.). Oswald Heer 1809-1883: Paläobotaniker – Entomologe – Gründerpersönlichkeit. Zürich 2013.

Claus-Marco Dieterich. Dicke Luft um Blauen Dunst: Geschichte und Gegenwart des Raucher/Nichtraucher-Konflikts. Marburg 1998.

Heinrich Zoller. Heer, Oswald. In: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D28847.php

Sibylle Franks. Escher, Arnold (von der Linth). In: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D28816.php.

Thomas Schibler. Merian, Peter. In: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7175.php.

Schreibe einen Kommentar