«Epos Schweizer Technik und Industrie» (Teil 1): die Wandbilder in den Gängen des Hauptgebäudes der ETH Zürich

In der Abschlussphase des Erweiterungsbaus des Hauptgebäudes (1914-1925) durch den Architekten Gustav Gull sind Wandbilder mit der Darstellung wichtiger technischer Werke in der Schweiz entstanden.

Hauptgebäude, Südliches Vestibül im ersten Geschoss mit den Wandbildern (v.l.n.r.) der Färberei A. Weidmann AG Thalwil (Ki-00099), des Ritomsees oberhalb Piotta (Ki-00100), der Staumauer der Barberine (Ki-00101) und der Gotthardbahn bei Giornico von W. L. Lehmann, ca. 1930 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_00263-A-FL / CC BY-SA 4.0)

Diese befinden sich in den Gewölbelünetten der südlichen und nördlichen Gänge des Gull-Baus Richtung Rämistrasse und verdanken ihr Dasein privaten Stiftungen. In der Festschrift zum 75 jährigen Bestehen der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich verfasst im Jahr 1930 liest man auf Seite 87:

Angesicht der gewaltigen Steigerung der Baukosten während der Erstellungszeit der Erweiterungsbauten der E.T.H. hätte an eine künstlerische Ausschmückung des Baues nicht gedacht werden können, wenn nicht private Stiftungen geholfen hätten, an verschiedenen Stellen die Absichten des Architekten zu verwirklichen. Ausser der schon genannten Stiftung des Brunnens im ostseitigen Haupteingangsvestibüls haben wir zu verdanken: die Stiftungen von grossen Wandbildern mit der Darstellung wichtiger technischer Werke in den Gewölbelunetten des südlichen und nördlichen Nebenvestibüls im Erdgeschoss, I. und II. Stock des Hauses […].

Somit ist zwischen 1921 und 1935 ein Zyklus von 28 Gemälden zu Schweizer Industrie, Technik und Ingenieurbaukunst entstanden, der unregelmässig angeordnet, ohne erkennbar räumliche, zeitliche oder inhaltliche Gruppierung, sich über drei Stockwerken erstreckt.

Es sind Viadukte, Tunnelbauten, Kraftwerke, Industriebauten und Maschinen, welche die Hallen beleben. Alle Bilder dienen dazu, den industriellen und technischen Fortschrittstand in der Schweiz der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hervorzuheben, zu dem auch die ETH Zürich als technische Ausbildungsstätte des Landes ihren wichtigen Beitrag leistete.

Wilhelm Ludwig Lehmann, Viadukt bei Wiesen Rhätische Bahn, 1923, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Nordrisalit, Geschoss F (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00106 / Public Domain Mark)

Wilhelm Ludwig Lehmann, N.O.K. Kraftwerk Eglisau, 1925, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Nordrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00120 / Public Domain Mark)

Wilhelm Ludwig Lehmann, Schweizerische Cementindustrie AG Heerbrugg, Fabrik Unterterzen, 1930, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00117 / Public Domain Mark)

Die meisten dieser Bilder, 22 von den insgesamt 28, wurden vom Landschaftsmaler Wilhelm Ludwig Lehmann ausgeführt; auf der Leinwand und anschliessend an die Wand montiert. Die Technik heisst Marouflage. Diese ermöglichte sowohl die Arbeit im Atelier (zeitgünstiger als vor Ort) genauso wie en plein air (getreue, stimmungsvolle Wiedergabe des Sujets).

Lehmann war Maler und Zeichner, hatte aber vor seiner Malerkarriere als Landschaftsmaler ab 1884 bereits ein Studium der Architektur am Eidgenössischen Polytechnikum abgeschlossen (1879-1883). Ab 1923 war er als Professor für Architektur- und Landschaftsmalerei an der ETH Zürich tätig. Dieser Auftrag beschäftigte ihn über 11 Jahre zwischen 1920 und 1931 und beanspruchte in der exakten wissenschaftlichen Reproduktion der technischen Motive sowie diese ins künstlerische zu transponieren nicht nur den Landschaftsmaler, sondern auch den Architekten.

Die restlichen 6 Gemälde wurden von weiteren Künstlern teilweise auch zeitgleich gemalt, wie zum Beispiel Willy Hummel mit seinem «Simplontunnel bei Brig» (1922) oder Alfred Heinrich Pellegrini mit der Darstellung des Farbraums der chemischen Fabrik J. R. Geigy AG Basel von 1935. Weitere Wandfelder dagegen blieben leer.

Willy Hummel, Simplontunnel bei Brig SBB, 1922, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Nordrisalit, Geschoss F (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00107 / Public Domain Mark)

Alfred Heinrich Pellegrini, Farbraum der chemischen Fabrik J. R. Geigy AG Basel (Farbstoff-Fabrikation), 1935, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss F (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00104 / Public Domain Mark)

Private und öffentliche Partner präsentieren sich hier mit ihrem Werk und die Darstellungen zelebrieren die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Wirtschaft. Der zu der Zeit amtierenden Schulratspräsident Robert Gnehm hatte vermutlich grossen Anteil gehabt an dem Zustandekommen dieser Wandgemälde. Er war mit grosser Wahrscheinlichkeit das Verbindungsglied zu den Stiftern der einzelnen Gemälde.

Eduard Zimmermann, Denkmal für Robert Gnehm, Ausschnitt Büste, 1929, Marmor, ETH Zürich, Hauptgebäude, Geschoss G (vor Semper-Aula), (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00020 / CC BY-SA 4.0)

Nach einer langjährigen Tätigkeit in der chemischen Industrie (bei der Basler Anilinfabrik Bindschedler & Busch zuerst, bei Ciba und Sandoz später) war Robert Gnehm 1905 bis 1926 Präsident des Schweizerischen Schulrates gewesen. Gnehms Pionierleistung war, «den verbindenden Antrieb von Akademie und Industrie, der den Austausch von Innovation, Wissen und Erfahrung fördern konnte» frühzeitig erkannt zu haben und diesen gezielt gefördert zu haben (Knöpfli 2014).

«Seine zur damaligen Zeit besondere Leistung als wichtige Schlüsselfigur in den Beziehungen zwischen der ETH und der Industrie» (Knöpfli 2014) blieb auch in der künstlerischen Ausstattung der Vestibüle des Gull-Baus sichtbar.

In diesem Zyklus verbildlicht ist sowohl die Idee Gnehms, die akademische und industrielle Forschung als sich gegenseitig ergänzende Partner zu sehen, aber auch der Gedanke an der Basis der Entstehung einer eidgenössischen technischen Schule 1855, die Techniker, Ingenieure und Naturwissenschaftler für die Industrie der Schweiz und allgemein für das Land zu bilden hatte (Oechsli 1905).

Die Wandbilder können während der Öffnungszeiten des Hauptgebäudes besichtigt werden.

Links:

e-pics Katalog Kunstinventar

www.art.ethz.ch

Literatur:

Oechsli, Wilhelm: Geschichte des eidgenössischen Polytechnikums, 1905

Festschrift zum 75 jährigen Bestehen der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, Zürich 1930, S. 88-90

Knöpfli, Adrian: Robert Gnehm. Brückenbauer zwischen Hochschule und Industrie, in: Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik, Bd. 102, Zürich 2014

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