Charles Le Morvans “Carte photographique et systématique de la lune”

Rund zehn Jahre vor Charles Le Morvan (1865-1933) veröffentlichten die Pariser Astronomen Maurice Loewy und Pierre Henry Puiseux vom Observatoire de Paris ihren Atlas photographique de la lune, an dem Le Morvan offiziell als Assistent mitwirkte, aber eigentlich als Mitautor genannt werden müsste (Launay 473). Es war mit 80 Fotografien der erste umfassende fotografische Mondatlas.

Von 1914 bis 1926 veröffentlichte Le Morvan dann seinen Atlas, die Carte photographique et systématique de la lune. Er verstand das Werk selber bloss als Supplement zum Vorgänger und er sollte diesen ergänzen. Tatsächlich kann er aber als eigenständiger Atlas gesehen werden: Er enthält ausschliesslich unveröffentlichte Fotografien die zum ersten Mal die gesamte der Erde zugewandte Seite des Mondes abdecken. Der Atlas besteht aus zwei Teilen und erschien in mehreren Lieferungen. Die Titelblätter enthalten jeweils eine schematische Übersicht der einzelnen Tafeln (Abbildung 1).

Abbildung 1: Schematische Übersicht der Tafeln auf der Titelseite

Der erste Teil enthält Aufnahmen bei Sonnenaufgang (Tafeln I-XXIV), der zweite Teil diejenigen bei untergehender Sonne (Tafeln I.A-XXIV.A) aus Sicht eines Beobachters auf dem Mond. Durch die entgegengesetzte Einfallsrichtung des Sonnenlichts werden Strukturen der Mondoberfläche unterschiedlich ausgeleuchtet und erkennbar. Die beiden Tafeln III und III.A illustrieren diesen Kontrast: Sie zeigen einen – nicht ganz deckungsgleichen – Ausschnitt um 0° bis 23° Ost und 0° bis 22° Süd, eben bei entgegengesetztem Sonnenstand.

Abbildung 2: Ausschnitt aus Planche III mit dem Doppelkrater Abenezra (⌀ 43 km) und Azophi (⌀ 48 km) in der Bildmitte bei Sonnenaufgang
Abbildung 3: Gleiche Stelle wie Abbildung 1 aus Planche III.A bei Sonnenuntergang

Die Bildlegenden zu den Fotografien nennen übrigens umgekehrte Ost-West-Bezeichnungen im Vergleich zu der hier verwendeten Notation: Zu Planche III beispielsweise “0° à 23° O” (für ouest). Im Gegensatz zu Le Morvan beschreibt etwa die Nasa diese Stelle als “Ost” (Nasa Lunar Chart of Equatorial Region), wobei Osten als diejenige Richtung definiert wird, in der die Sonne aufgeht (Wikipedia). Die umgekehrte Notation in der älteren Mondkartografie beruht laut dem Selenografie-Eintrag der Wikipedia auf Teleskopen, die die Seiten spiegelten.

Diesem Umstand muss auch Rechnung getragen werden, wenn auf der Planche II die Stelle identifiziert werden soll, an der 67 Jahre später die Landefähre Eagle der Apollo 11-Mission aufsetzte.

Abbildung 4: Ausschnitt aus Planche II (Aufnahme aus dem Jahr 1902) mit Markierung der Apollo 11-Landestelle am südwestlichen Rand des Mare Tranquilitatis nahe des Kraters Sabine.

Die blaue Markierung in Abbildung 4 entspricht einem Bereich von etwa 30 mal 30 Kilometern um die Landestelle der Apollo 11-Fähre bei 0.6742° Nord und 23.4731° Ost. Die Detailgenauigkeit der Aufnahme zeigt sich bei maximaler Zoomstufe im Scan (300 dpi) der Fotografie, der auf e-rara.ch verfügbar ist. Sie beeindruckt auch im Vergleich zur Aufnahme der Nasa-Sonde Ranger 8 aus dem Jahr 1965 aus 500 Kilometern Höhe, die eine Stelle unmittelbar nordwestlich der späteren Apollo-Landestelle zeigt (rechts im Vergleich zur Markierung in Abbildung 4).

Abbildung 5: Angabe des Monddurchmessers auf dem Abzug unten rechts

Die Tafeln enthalten neben der Nummerierung, geografischen Koordinaten und dem Zeitpunkt der Aufnahme auch eine Angabe des Vergrösserungsfaktors der Abzüge in Form des Durchmessers des Mondes auf dem Abzug: Durchschnittlich beträgt dieser Wert 1.04 Meter und er ist für jede Tafel unten rechts angegeben.

Den einzelnen Tafeln beigelegt sind transparente Folien mit der Beschriftung markanter Formationen. So lässt sich beispielsweise leicht das Mare Crisium (Mer des Crises) auf Tafel VII identifizieren (Abbildungen 6 und 7).

Abbildung 6: Mare Crisum auf Planche VII ohne Folie
Abbildung 7: Mare Crisum auf Planche VII mit Folie

Quelle

Charles Le Morvan (1914), Carte photographique et systématique de la lune. Paris: Librairie astronomique G. Thomas. ETH-Bibliothek Zürich, Rar 10187 GF, https://doi.org/10.3931/e-rara-10995 / Public Domain Mark

Mehr zum Thema in Dokumenten der ETH-Bibliothek im Explora-Beitrag Dem Mond so nah: Im Bann der Anziehungskraft unseres Erdtrabanten, https://doi.org/10.22010/ethz-exp-0012-de

Literatur

F. Launay (2007), The Great Paris Exhibition Telescope of 1900. Journal for the History of Astronomy, 38(4), 459–475. https://doi.org/10.1177/002182860703800404

M. Loewy, P. Puiseux, (1896-1910). Atlas photographique de la lune. Paris : Impr. nationale. (Exemplar der ETH-Bibliothek Zürich: Rar 10150)

Monique Sicard (2013), L’Atlas photographique de la Lune, de MM. Loewy et Puiseux. Revue de la BNF, 2013/2 (n° 44), 36–43. URL: https://www.cairn.info/revue-de-la-bibliotheque-nationale-de-france-2013-2-page-36.htm

Web

Nasa, Moon Trek, https://trek.nasa.gov/moon

Nasa Lunar Chart of Equatorial Region (latitudes 45S to 45N) 1 : 10.000.000 (LPC-1). https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Moon_Map_-_Equatorial_region_45S_to_45N_-_LPC1_-_NASA.jpg / Public domain

Nasa, Sabine crater in Mare Tranquillitatis on the Moon (1965) https://nssdc.gsfc.nasa.gov/imgcat/html/object_page/ra8_b045.html

Wikipedia, Selenografie https://de.wikipedia.org/wiki/Selenografie.

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