Stricken, flechten, knoten, falten – Architekturen in Holz

Holz lässt sich auf vielfältige und teils unerwartete Weise architektonisch fügen. Vielerorts existiert eine jahrhundertealte Kultur des Holzbaus, hinzu kommen neue Möglichkeiten durch computergesteuerte Fertigungstechniken. Die im Titel aufgezählten Verbindungsarten assoziiert man gemeinhin mit Materialien wie Wolle, Rattan, Hanf und Papier, aber sicher nicht mit Holz – und doch kommen sie gerade da zum Einsatz.

Eine gegenwärtig in der Materialsammlung der ETH Zürich zu sehende Ausstellung versammelt traditionelle Holzverbindungen aus China, Japan, Deutschland und der Schweiz und zeigt diese zusammen mit ausgewählten modernen und innovativen Holzfügetechniken. Die Verbindungen werden jeweils in ihrem architektonischen Kontext vorgestellt, in einem Fall sind sie sogar in 3D-Animation erlebbar.

Beim Bau der Stiva da Morts in Vrin hat Gion Caminada die lokale Tradition der Totentrauer in der heimischen Stube aufgenommen und sie mit den funktionalen Anforderungen einer Aufbahrungshalle kombiniert. Die 2003 am Rande des Friedhofs errichtete Totenstube stellt sowohl städtebaulich und architektonisch als auch konstruktiv ein verbindendes Element zwischen der steinernen Kirche und den hölzernen Wohn- und Stallgebäuden des Dorfes dar. Die hölzerne Aussenfassade ist in Anlehnung an die Kirche mit milchig-weisser Kaseinfarbe gestrichen, die Innenschale mit Schellack veredelt. Der Bau wurde, wie in der Gegend üblich, in Strickbauweise errichtet. Die Balken werden dabei nicht überblattet, sondern versetzt zueinander mit Schwalbenschwanzanschlüssen gestossen.

Stiva da Morts, Vrin (Gion Caminada, 2003). Copyright: Petr Šmídek

Das Holz-Glas-Atrium des 2010 eröffneten Haesley Nine Bridges Country Club House (2010) von Shigeru Ban ist ein dreistöckiger, offener Raum, der als Empfang, Mitgliederlounge und Partybereich dient. Die Grundidee des Dachs beruht auf dem traditionellen koreanischen Bambus-Kissen Jukbuin, bei dem Bambusstreifen zu einer Röhre verflochten sind. 21 baumartige Stützen gehen in eine kissenartige Hexagonalstruktur über, die eine ausgezeichnete Luftzirkulation unter der Dachhaut erlaubt. Alle Balken sind zweifach gekrümmt und über Blattverbindungen gefügt.

Haesley Nine Bridges Country Club House, Yeoju-gun, Südkorea (Shigeru Ban, 2010). Copyright: Tomiko Hirai, Hirai Photo Office

Das ebenfalls von Shigeru Ban entworfene Tamedia-Verlagsgebäude am Stauffacher in Zürich ist der grösste Holzrahmenbau der Schweiz. Das 2013 eröffnete, mit Glas ummantelte Gebäude besteht aus 1400 vorgefertigten Holzteilen, für die 2000 Kubikmeter Fichtenholz verwendet wurde.

Tamedia-Verlagsgebäude, Zürich (Shigeru Ban, 2013). Copyright: CC-BY-SA-4.0, Melissanews

Schon die Montage erfolgte unkonventionell, nämlich in gesteckter Rahmenbauweise statt der üblichen geschossweisen Etappierung. Der ovale Buchenholzzapfen mit dem Hartholzring in den Knoten ist durch das Wellenlager einer Gattersäge inspiriert, deren am stärksten beanspruchte Stelle aus dem Holz der sehr harten Hagebuche besteht. An diesem Gebäude verschränken sich präzise computergestützte Fertigung und Materialwissen mit traditioneller Zimmermannskunst, die auf hoher Passgenauigkeit gründet und sich durch reine Holzverbindungen ohne materialfremde Hilfe auszeichnet.

Tamedia-Verlagsgebäude, Zürich, tragende Holzkonstruktion (Shigeru Ban, 2013). Copyright: CC-BY-SA-2.0, Lorenz Lachauer

Die Faltkonstruktion des zum Théâtre Lausanne gehörenden Pavillon Théâtre de Vidy wurde am Institut für Holzkonstruktion der EPFL Lausanne von Yves Weinand zusammen mit dem Atelier Cube konzipiert. Die Bauteile des Dachs und der Fassade des 2017 eingeweihten und für 250 Personen ausgelegten Pavillons sind aus Mehrschichtplatten gefertigt, die zusammengefügt an eine Origami-Faltform erinnern.

Pavillon Théâtre de Vidy, Lausanne (Yves Weinand, IBOIS, in Zusammenarbeit mit dem Atelier Cube, 2017). Copyright: Ilka Kramer

Die Holzplatten wurden mit einer ausgeklügelten Holz-Holz-Zapfenverbindung gefügt; Leim oder Schrauben waren deshalb kaum nötig. Die gefalteten Wände gehen wie bei einem gotischen Strebewerk in die Decke über.

Pavillon Théâtre de Vidy, Lausanne, Detail der Dachkonstruktion (Yves Weinand, IBOIS, in Zusammenarbeit mit dem Atelier Cube, 2017). Copyright: Ilka Kramer

Die Ausstellung Holzverbindungen – Ausdruck tektonischer Kultur ist noch bis zum 21. Juni in der Materialsammlung der ETH Zürich in der Baubibliothek auf dem Hönggerberg zu sehen.

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