Fragwürdiges Schlagzeug: Der Hammer des Geologen Eduard Suess

Warum, wann, wie kam der Hammer des österreichischen Geologen Eduard Suess (1831-1914) in die Schweiz, nach Zürich, an die ETH-Bibliothek? Ein aufmerksamer Mitarbeiter vermerkte 1987 in einem internen Zettelkatalog die Existenz des Werkzeugs.

Die Beschriftung „E Suess“ auf dem Schaft unterhalb des Hammerkopfes hatte ihn auf die Spur des ursprünglichen Besitzers geführt. Doch eine Zuordnung zu einem der in die ETH-Bibliothek gelangten Nachlässe von Geologen oder zu Archivalien aus dem Geologischen Institut fehlt.

Hammer von Eduard Suess (ETH-Bibliothek Zürich, Hochschularchiv. Foto: Lisa Oberli)

Eduard Suess (1831-1914), Professor an der Universität Wien, sammelte selber Steinklopfgeräte aus dem Besitz seiner Kollegen, darunter auch von Arnold Escher von der Linth (1807-1872)  und von Albert Heim (1849-1937) , beide nacheinander Inhaber der Doppelprofessur für Geologie an der Universität und an der ETH Zürich. Wie Suess zu den Sammlungsstücken kam, scheint heute nicht mehr in jedem Einzelfall nachweisbar zu sein. 

Detail des Hammers von Eduard Suess: „Marteau offert par Suess“ (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv. Foto: Lisa Oberli) 

Laut einer mündlichen Überlieferung sollen Albert Heim und Eduard Suess ihre Hämmer getauscht haben. Die französische Beschriftung mit Tinte am Ende des Stiels von Suess‘ Hammer an der ETH-Bibliothek, „Marteau offert par Suess“, will zu dieser Überlieferung allerdings nicht so recht passen. Weshalb hätten zwei deutschsprachige Geologen ihr Tauschobjekt französisch beschriften sollen? Wer also beschriftete den Hammer und zu welchem Zeitpunkt? 

Ein Geologenhammer war zudem kein beliebiger Alltagsgegenstand, sondern ein Spezialinstrument, abgestimmt auf den Forschungsbereich und die persönlichen Bedürfnisse des oder der Forschenden. Ein Tausch wäre somit für beide Seiten ein Verlust des für die eigene Arbeit tauglichsten Instruments gewesen. Wenn ein Tausch stattfand, dann wohl kaum leichtfertig, sondern eher aus besonderem Anlass. 

Solche Anlässe bot seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Kontroverse über den Bau der Alpen. Heim arbeitete eine von seinem Vorgänger Escher erwogene Deutung der verkehrten Altersabfolge von Gesteinsschichten im Glarner Gebirge systematisch zur Doppelfaltentheorie aus. Doch 1884 interpretierte der französische Geologe Marcel Bertrand (1847–1907) die präzisen Aufzeichnungen Heims um zu einer einheitlichen Schubmasse. Während Heim unbeirrt an der bisherigen Erklärung der Glarner Gebirgsformation festhielt, war Suess spätestens 1892 nach einem Augenschein in den Glarner Bergen von der neuen Idee angetan.

Die Vorstellung ist reizvoll, daraufhin habe der hinkende Heim mit dem flammend roten Bart seiner Jugendzeit – eine perfekte Verkörperung des antiken Feuer- und Schmiedegottes Hephaistos oder Vulcanus – wutentbrannt seinen Hammer dem treulosen Suess vor die Füsse geschleudert. Er hätte in einem solchen Moment den Hammer des Kollegen wohl kaum als Gegengabe akzeptiert.

 

Albert Heim, 1889 (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Portr_06339)

Tatsächlich reagierte Heim gelegentlich rabiat auf Zweifel an seiner Doppelfaltentheorie. Einem langjährigen Kritiker verweigerte er zum Beispiel kurzerhand die Teilnahme an der von ihm geleiteten Exkursion während des Internationalen Geologenkongresses 1894 in Zürich. Mutmasslich aus Rücksicht auf seinen Zürcher Gastgeber stimmte Suess nur zögernd zu, an diesem Kongress einen Vortrag zu halten, und lehnte dessen Publikation rundweg ab. Solche Vorkommnisse widersprechen  den „Erinnerungen“ von Suess, in denen er schreibt, Heim habe 1894 die neue Erklärung der Glarner Gebirgsformation akzeptiert. 

Ein Hammertausch 1892 oder 1894 zwischen Heim und Suess wäre hingegen denkbar als Bekräftigung der bisherigen gegenseitigen Wertschätzung trotz wissenschaftlich verschiedener Ansichten. Um die Bedeutung des Augenblicks zu unterstreichen, wechselten sie vielleicht in die damalige offizielle Wissenschafts- und Diplomatensprache (Suess war nicht nur Geologe, sondern auch Politiker) zur Beschriftung des Suess-Hammers. Wäre dann aber, falls die Beschriftung als Widmung an den Empfänger zu verstehen ist, nicht auch der jetzt in Wien liegende Heim-Hammer bis auf den unterschiedlichen Namen gleichlautend beschriftet oder mit einer sonstigen Widmung versehen worden?

 

Hans Schardt, ohne Jahr (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Portr_00252) 

Statt eines Tauschs mit Heim wäre jedoch auch möglich, dass Suess am Geologenkongress 1894 oder zu einem späteren Zeitpunkt seinen Hammer Hans Schardt (1858-1931) als Anerkennung für dessen Forschungsergebnisse anbot. Schardt, ein Schüler Heims, Dozent in Lausanne, danach Professor in Neuchâtel und zuletzt Heims Nachfolger in Zürich, untermauerte mit seinen Erkenntnissen, veröffentlicht 1893 und 1898, die Wahrscheinlichkeit von Bertrands These. Er erarbeitete die Grundlagen der Deckentheorie.

 

Maurice Lugeon, um 1905 (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Portr 9852) 

Schliesslich gelang es Maurice Lugeon (1870-1953) , Professor an der Universität Lausanne, auf der Basis der bisherigen eigenen und fremden Untersuchungen eine allgemeine Deckentheorie für die Alpen zu entwerfen. Vor der Publikation vermochte Lugeon 1901 während eines Besuches in Zürich, den immer noch widerspenstigen Heim für seine Argumentation einzunehmen und ihn gar zu einem wohlwollenden offenen Brief im Anhang an die Veröffentlichung der eigenen Überlegungen 1902 zu bewegen. Ein geschicktes Vorgehen. Denn als Lugeon am Internationalen Geologenkongress in Wien 1903 seine Synthese präsentierte, nicht ohne gleichzeitig dem bekehrten Heim grösste Ehrerbietung zu erweisen, erhielt er vom Altmeister Unterstützung gegen die scharfen Reaktionen von empörten Kollegen.

 

Albert Heim, Die Glarner Falten. Obere Hälfte Doppelfalte nach Escher und Heim 1870-1903, untere Hälfte Deckfalte nach Bertrand 1883, Suess 1892, Heim 1903 (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Nachlass Albert Heim, Hs 401:1243. Abbildung: ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Hs_0401-1243)

Suess hätte nun durchaus erst 1903 seinen Hammer Heim übergeben können zum Zeichen, dass der Zürcher Freund nach der öffentlichen Abkehr von seiner bisherigen Überzeugung künftig mit dem geeigneten Werkzeug, nämlich mit den neuen theoretischen Annahmen, weiterforschen möge. Im Falle eines Hammertauschs hätte Suess dann den Heim-Hammer als Trophäe einer endlich erledigten Irrlehre seiner Sammlung einverleiben können. 

Wegen der französischen Beschriftung scheint es allerdings unmittelbar einleuchtender, wenn Suess 1903 seinen Hammer Lugeon überreicht hätte für dessen brillanten Entwurf, der zahlreiche geologische Rätsel löste. Diese Möglichkeit könnte interpretiert werden als symbolische Übergabe der Alpenforschung vom damaligen Doyen der Disziplin an einen der vielversprechendsten Vertreter der jungen Geologengeneration, als Beginn einer neuen Aera.  

Vielleicht war der Hergang der Geschichte jedoch ganz anders:

Ein Tausch der persönlichen Instrumente zwischen Heim und Suess ist zur Erklärung der heutigen Standorte beider Hämmer nicht notwendig. Heim hätte zum Beispiel, wie manch anderer Geologe auch, dem geschätzten älteren Kollegen zu dessen 60. Geburtstag seinen Hammer geschenkt haben können ohne zeitgleiche Gegengabe des Jubilars. 

Ein Geschenk des Werkzeugs von Suess sowohl an Heim wie an Schardt oder an Lugeon ist möglich. Wegen der französischen Beschriftung scheint die Gabe an Schardt oder Lugeon plausibler als an Heim.

Heim mit Hammer, aber nicht dem von Suess, 1908  (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Hs_0494b-0115-054-AL)   

Da die Beschriftung des in Zürich liegenden Suess-Hammers nicht mit Sicherheit der Handschrift eines der genannten Geologen zugeordnet werden kann, ist überdies nicht auszuschliessen, dass erst jemand aus der Nachkommenschaft oder aus dem Geologischen Institut der ETH Zürich das Objekt beschriftete. 

Übrigens weist der Suess-Hammer am stumpfen Ende des Hammerkopfes bei der stielseitigen Kante einen rundumlaufenden feinen Riss auf. Hätte Suess somit sein lädiertes Instrument bei einem seiner Besuche in der Schweiz zurückgelassen oder es an einem der Kongresse in anderen Ländern leichthin dem erstbesten Interessenten überlassen und es damit entsorgt? War zu einer Trennung vom persönlichen Werkzeug also gar kein besonderer Anlass notwendig, da Suess ohnehin ein neues benötigte? Oder war erst dem nachfolgenden Besitzer beim Gebrauch des ungewohnten fremden Geräts ein Missgeschick passiert? 

Anmerkungen

Alexander Tollmann (1928-2007), späterer Betreuer der Suess Hammersammlung, erzählte vom Hammertausch zwischen Heim und Suess. Hinweis von Prof. Daniel Bernoulli, Basel per e-mail an die Autorin, 1. April 2013.

Literatur

– Brockmann-Jerosch, Marie/Arnold Heim: Albert Heim. Leben und Forschung, Basel 1952

– Congrès Géologique International, Compte Rendu, IX. Session, Vienne 1903, Vienne 1904

– Franks, Sibylle/Rudolf Trümpy: The Sixth International Geological Congress Zurich 1894. In: Episodes, Vol.28, no.3, pp. 187-192

– Heim, Albert: Lettre ouverte à M. le Professeur M. Lugeon [concernant la théorie des nappes de recouvrement], Zurich, 31 Mai 1902. In:  Bull. de la Soc. Géol. de France, 4e série, t. 1, pp. 823-825

– Heim, Albert: Geologische Nachlese Nr. 17, Über die nordöstlichen Lappen des Tessinermassives. In: V. Natf. G. Z., 51. Jg. 1906, pp. 397-402

– Heim, Albert: Geologische Nachlese Nr. 18, Die vermeintliche ‚Gewölbeumlegung des Nordflügels der Glarner Doppelfalte‘, südl. vom Klausenpass, eine Selbstkorrektur. In: V. Natf. G. Z. 51. Jg., 1906, pp. 403-431

– Klemun, Marianne: The Geologist’s Hammer – ‚Fossil‘ Tool, Equipment, Instrument and/or Badge? In: Centaurus, volume 53, issue 2, May 2011, pages 86-101

– Lein, Richard: Die Hammersammlung des Eduard Suess: Fakten und offene Fragen. In: Berichte der Geologischen Bundesanstalt, Band 89, Wien 2011, pp. 37-38

– Suess, Eduard: Erinnerungen, Leipzig 1916

– Trümpy, Rudolf: The Glarus Nappes: A Controversy of a Century Ago. In: Controversies in Modern Geology, ed. D.W. Müller/J.A. Mc Kenzie/H. Weissert, London et al. 1991, pp. 385-404

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